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Fußballgott. Der Fifa-Präsident Joseph Blatter führt den Weltverband seit fast zwei Jahrzehnten.
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Diskutieren Sie mit!: Kann es einen Fußball ohne Fifa geben?

Korrupte Funktionäre, zweifelhafte WM-Vergaben – die Fifa regt auf. Ein anderer Fußball ist möglich – wenn wir uns als Fans selbst ändern. Ein Essay.

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Die Fifa wollte die Sache jetzt selbst in die Hand nehmen. Was sollte der Fußball-Weltverband sonst auch tun? In einer eigenen wöchentliche Fernsehsendung will die Fifa ihre Sicht in die Welt senden. Sie „soll den Fans einen wirklichen Einblick in den Fußball geben“, verkündete die Organisation. Dass die Fifa dabei wunderbar wegkommt, steht außer Frage. Und gute Nachrichten kann die Fifa ja auch dringend gebrauchen. Denn wenn ansonsten über sie berichtet wird, gibt es eigentlich nur schlechte Nachrichten: korrupte Funktionäre, zweifelhafte Vergaben von Weltmeisterschaften sowie einen Präsidenten, der im Privatjet umherreist und den Verband wie ein Sonnenkönig führt.

Die Fifa ist in weiten Teilen der Erde zu einem Synonym für alles Schlechte im Fußball geworden. Für Großmannssucht, Verschwendung und Knebelverträge. Das Image ist ramponiert. Wenn man unter Fußball-Fans ein Thema sucht, bei dem sich alle einig sind, muss man nur ein Wort erwähnen: Fifa. Dann ist jeder empört und kann mindestens eine zweifelhafte Geschichte über sie besteuern. Es regt sich also jeder über die Fifa auf, jeder will eine bessere, andere Fifa. Aber sooft Fußball-Fans nach einem verlorenen Spiel ihres Lieblingsvereins eine Sitzblockade vor dem Mannschaftsbus veranstalten, gegen die Fifa demonstrieren sie nicht.

Alternativverbände zur Fifa existieren schon

Nahezu unangreifbar erscheint der Weltverband, gestützt durch gigantische Fernsehverträge und Sponsorengelder. Wie kann man da also etwas verändern, wenn sich die Fifa nicht ändert? Man müsste einfach einen neuen Weltverband gründen, der in Konkurrenz zur Fifa tritt. Das gibt es etwa im Boxen, da existieren vier Weltverbände nebeneinander. Auch im Schach stritten sich in den 90er Jahren zwei Weltverbände um die Hoheit in ihrer Sportart. Es ist kein Ding der Unmöglichkeit, die Nationalverbände müssten nur bei der Fifa aus- und dem neuen Weltverband beitreten. Und was die Sache noch einfacher macht: Alternativverbände existieren sogar schon. Zum Beispiel die Defa, die Democratic Football Association. Gegründet wurde die Defa im vergangenen Jahr von Mark Schalekamp und Sjaak Zonneveld. Für die beiden Niederländer steht seit der WM-Vergabe an Katar fest: Die Fifa ist nicht mehr zu retten. Sie wollen nun eine vollkommen demokratische, transparente und offene Organisation schaffen, in der die Fans echte Mitsprache haben. So sollen die Anhänger auch den WM-Kader ihrer Nationalmannschaften zusammenstellen können. „Das ist kein Witz“, bekräftigt der 45-jährige Schalekamp. „Wir sind nicht naiv und wissen, dass wir einen langen Atem brauchen.“ Sehr hoffnungsvoll ist die Defa allerdings nicht gestartet. Als Schalekamp und Zonneveld prominente Fußball-Persönlichkeiten baten, sie öffentlich zu unterstützen, lehnten alle ab. Auch die Fans strömen der Defa nicht zu. Bisher haben auf ihrer Facebook-Seite gerade einmal 212 Leute „Gefällt mir“ geklickt.

Andere Fußball-Weltverbände sind da schon einen Schritt weiter. Etwa das Nouvelle Fédération-Board (NF-Board) oder die Confederation for Independent Football Associations (Conifa). Beide Weltverbände repräsentieren Regionen, die keinen Status als souveräner Staat besitzen und daher kein Fifa-Mitglied sind. Beide Organisationen veranstalten eigene Weltmeisterschaften, wie den Viva World Cup oder den Conifa World Cup. Dort nehmen dann Regionen wie Kurdistan, Lappland, Quebec, die Grafschaft Nizza, Bergkarabach oder Nordzypern teil. Auch diesen Weltverbänden könnten sich Deutschland, England, Frankreich und Brasilien einfach anschließen. Und schon würde nicht mehr die Fifa den Ton angeben im Weltfußball.

Eine EM ergänzt durch die besten Fußball-Länder der Welt

So unrealistisch dies sein mag, es gäbe durchaus eine Variante, die die Fifa ins Wanken bringen könnte. Die große Macht des Weltverbands speist sich vor allem aus der WM. Dies ist das einzige von zwölf organisierten Turnieren, mit dem die Fifa wirklich Gewinn erzielt. Ohne die WM wäre die Fifa nahezu bedeutungslos und wohl auch schnell pleite.

Ein seriöses Ersatzturnier könnte besonders der Europäische Fußball-Verband Uefa auf die Beine stellen. Die Uefa müsste einfach nur zu ihrer Europameisterschaft die besten übrigen Fußball-Nationen als Gastteilnehmer einladen: etwa Argentinien, Brasilien, Elfenbeinküste, Mexiko, USA und Japan. Aufgrund der vielen starken Verbände in Europa gilt die EM ohnehin als das am schwierigsten zu gewinnende Turnier. Wer bräuchte bei solch einer EM, ergänzt durch die besten Fußball-Länder der Welt, noch eine Fifa-WM? Und auch das Prinzip der Gastteilnehmer wäre nichts Ungewöhnliches. Südamerika praktiziert das beim eigenen Kontinentalturnier seit Jahren und lädt vor allem Mannschaften aus Mittelamerika und der Karibik ein.

Es gäbe also genug Möglichkeiten, den Fußball ohne die Fifa zu gestalten. Doch die Nationalverbände halten davon nichts. So teilte der Deutsche Fußball-Verband (DFB) auf Anfrage des Tagesspiegels mit, ernsthafte Gedanken über eine Abspaltung von der Fifa oder einen alternativen Weltverband habe es beim DFB nie gegeben. Auch Michael van Praag, Präsident des Niederländischen Fußball-Verbands und aktueller Fifa-Präsidentschaftskandidat, sagt dazu: „Ohne die Fifa geht es nicht.“ Selbst die derzeit stärkste Fifa-Opposition, die von britischen Abgeordneten, Unternehmen und ehemaligen Fifa-Funktionären getragen wird, zielt allein auf die Reform des Weltverbands ab. Sie nennt sich „New Fifa Now“, der Gedanke an eine andere Organisation des Fußballs spielt dabei keine Rolle.

Aber warum gibt es keine ernsthaften Überlegungen zu Fifa-Alternativen?

Die Fifa zu verklagen hat wenig Aussicht

Rechtlich wäre es möglich, jeder Nationalverband ist freiwillig Fifa-Mitglied und kann jederzeit austreten, die Gründung eines neuen Verbands steht jedem frei. Es sind eher praktische Bedenken, die dagegen sprechen. Im Sport gilt das sogenannte Ein-Platz-Prinzip: für jede Sportart nur ein Verband. Das zieht sich durch die ganze Pyramide vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) bis hinunter zu den Landessportbünden. Das Prinzip soll den Wettbewerbscharakter des Sports unterstützen: Nur wenn alle nach den gleichen Regeln spielen, sind Leistungen wirklich vergleichbar. Wer blickt bei vier Boxverbänden schon durch, wer der beste Boxer seiner Klasse ist? Und wenn die Defa ihre Nationalkader von Fans wählen ließe und die Fifa parallel von Trainern nominieren, wäre das Chaos perfekt.

Auch die Fifa zu verklagen hat wenig Aussicht, obwohl sie ein klassisches Monopol in ihrer Sportart besitzt. Dennoch lässt sich diese Marktdominanz vor dem Kartellrecht verteidigen, weil die Vorteile für alle überwiegen. Und Vorteile heißt vor allem Geld.

Die Fifa, offiziell ein gemeinnütziger Schweizer Verein, inoffiziell ein global operierendes Milliardenunternehmen, könnte Verbände, die nicht an ihrer WM teilnehmen, mit Schadensersatzklagen überziehen und alternative Weltturniere markenrechtlich als Plagiate angreifen.

Da bleiben doch alle lieber beim Status quo, denn sie verdienen auch alle prächtig daran: die Fifa, die Nationalverbände, die Vereine, die Spieler, die Sponsoren. In den vergangenen vier Jahren hat der Weltverband 5,2 Milliarden Euro erwirtschaftet, bei einem Gewinn von 310 Millionen Euro. Und wenn sich die Klubs beschweren, dass die Katar-WM in den Winter verlegt wird, stellt die Fifa sie mit 195 Millionen Euro pro Turnier ruhig.

„Die Fifa versteht nur eine Sprache: Geld“, sagt der Schweizer Politiker und frühere Weltverbands-Mitarbeiter Roland Büchel. Es ist ein binärer Code, wie bei einem Computer: Geld oder kein Geld, eins oder null. Skandale sind unangenehm, aber solange die Einnahmen fließen, sind sie auszuhalten. Die Fifa-Sponsoren protestieren auch nur leise, die Verträge kündigen sie deshalb nicht.

Fußball ist einfach zu populär, die Nachfrage steigt weltweit, die Kundschaft reißt ihn der Fifa aus den Händen. Es sind leicht verdiente Unsummen und daher ist die Prognose naheliegend, das jeder Alternativverband nach wenigen Jahren ebenfalls mit Korruption zu kämpfen hätte.

Die Fifa ändert sich nicht, wenn wir uns nicht ändern

Damit kommen wir zum wahren Grund, warum es eine andere Fifa auf absehbare Zeit nicht geben wird: uns, die Fans. Wir haben mehr Macht, als wir glauben. Wir können den Fernseher ausschalten und den Stadionbesuch verweigern. Aber wir tun es nicht. Weil wir süchtig sind nach dem Stoff, den die Fifa dealt.

Wenn Deutschland in Rio Weltmeister wird und wir uns selig in den Armen liegen, ist es uns auf einmal egal, wie viele Favela-Hütten in Brasilien für die Stadien weichen mussten. Fußball ist ein Blutdiamant, aber kein Skandal bleibt wirklich an ihm hängen. Egal wie sehr wir über die Fifa schimpfen, das Spiel selbst ist uns heilig. Wir wollen gar nicht wissen, unter welchen Bedingungen dieses Produkt hergestellt wird. Und wenn wir es erfahren, verdrängen wir es schnell, wie bei den Chips in unseren Handys aus afrikanischen Minen oder in asiatischen Sweatshops genähten Turnschuhen. Ein Fairtrade-Logo auf dem Fußball, sauber und korruptionsfrei hergestellt, interessiert uns nicht, solange Trikots und Stadionbesuch bezahlbar bleiben und das Bier zum Spiel schmeckt.

Die Fifa ändert sich nicht, wenn wir uns nicht ändern. Also sollten wir Sitzblockaden organisieren? Wo denn? Die Fifa sitzt in Zürich, aber gefühlt auf einem anderen Planeten. Nein. Es reicht, zu verstehen: Die Fifa speist sich aus uns. Wir pumpen das Geld ins System, weil wir hinsehen und hingehen, wenn gespielt wird. Wenn uns sauberer Fußball wichtig ist, müssten wir aushalten, ihm auf Zeit den Rücken zu kehren. Es wäre der binäre Code, den das System Weltfußball versteht und es verändert: null statt eins, keine Aufmerksamkeit, kein Geld. Das täte uns erst mal weh – aber noch mehr der Fifa.

Ein anderer Weltfußball ist möglich – was denken Sie? Teilen Sie uns Ihre Meinung gerne über die Kommentarfunktion unter diesem Text mit.

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