Olympia 2016 in Rio: Kalter Krieg im Schwimmbecken
Der Start von Schwimmerin Julija Jefimowa gerät für die Russin zum Spießrutenlauf. Dabei hat das Thema Doping längst auch eine politische Komponente.
Das Schwimmbecken im Olympic Aquatic Stadium von Rio de Janeiro ist drei Meter tief, am Montagabend hätte zwischen Bahn 3 und Bahn 5 aber genauso gut der Marianengraben liegen können – stockfinster und eiskalt. Auf Bahn 3 bejubelten Lilly King und Katie Meili Gold und Bronze, die russische Silbermedaillengewinnern Julija Jefimowa auf Bahn 5 würdigten die US-Amerikanerinnen dabei keines Blickes. Vor dem Start war die Russin mit Buhrufen und Pfiffen empfangen worden, das Finale über 100 Meter Brust war längst zu mehr als einem Schwimmrennen geworden: Es ging um Recht und Unrecht, Gut gegen Böse, West gegen Ost.
Jefimowa ist zwei Mal des Dopings überführt worden, in Rio ist sie trotzdem dabei. Sie gehört zu jenen russischen Sportlern, die ihren Start in letzter Minute beim Internationalen Sportgerichtshof Cas eingeklagt haben. Bereits zuvor hatte die 24-Jährige vom Welt-Schwimmverband Fina ungewöhnliche Milde erfahren. Nachdem sie 2013 positiv auf ein Steroid getestet worden war, sperrte die Fina sie nicht wie üblich für zwei Jahre, sondern nur für 16 Monate. Rechtzeitig zur Heim-WM in Kasan war die Russin wieder startberechtigt und gewann zwei Mal Gold. Später wurde das verbotene Herzmittel Meldonium bei ihr festgestellt, abermals entkam die viermalige Weltmeisterin einer Sperre. In Rio gilt sie deshalb den meisten Schwimmern als Inbegriff für alles, was im Weltsport und im Schwimmen falsch läuft.
Die Amerikaner attackieren die Russen
Nachdem Lilly King als Siegerin angeschlagen hatte, lehnte sich die 19-Jährige aus Indiana über die Bahnbegrenzung und drosch zwei Mal mit der Faust in das Wasser auf Jefimowas Bahn. Bereits vor dem Rennen hatte die junge Amerikanerin Jefimowa verbal attackiert, nach ihrem Olympiasieg legte sie nach. „Mein Sieg beweist, dass man auch sauber siegen kann, wenn man genug Arbeit reinsteckt“, sagte King. „Es gibt auch den richtigen Weg, um die Beste zu werden.“ Den falschen Weg, darin waren sich bis auf die russische Delegation fast alle im Schwimmstadion einig, hat Jefimowa eingeschlagen. Die Münchnerin Alexandra Wenk, die kurz nach dem 100-Meter-Brust-Finale antrat, berichtete, im Warteraum sei spontan Jubel über Jefimowas Niederlage ausgebrochen.
Vor dem Rennen hatte es das Gerücht gegeben, im Falle eines Sieges der Russin würden Trainer und Athleten vieler Nationen der Siegerehrung den Rücken zukehren. Dieser bei Olympia unerhörte Affront fiel dank Lilly Kings Sieg aus. Ein weiteres Pfeifkonzert blieb Jefimowa bei der Siegerehrung aber nur erspart, weil sich die Halle um kurz nach Mitternacht schon vollständig geleert hatte. Für das Siegerfoto stellten sich die drei Medaillengewinnerinnen kurz zusammen, gratulieren wollten die Russin und die Amerikanerinnen einander aber nicht. „Ich habe gedacht, dass sie von mir bestimmt keine Glückwünsche will“, sagte King. „Falls doch, möchte ich mich entschuldigen.“
Die Australier kritisieren die Chinesen
Das Tribunal für die Russin war damit noch lange nicht beendet. Sogar der 19-fache Olympiasieger Michael Phelps meldete sich zu Wort: „Es bricht mir das Herz, wenn Leute bei diesen Spielen antreten dürfen, die nicht nur einmal, sondern zweimal positiv getestet wurden.“ In den Katakomben brach Jefimowa zusammen und schluchzte minutenlang in den Armen eines russischen Teammitglieds. Auch in der Pressekonferenz, die einem Verhör glich, kämpfte sie mit den Tränen. „Stellen sie sich einfach vor, wie sie sich an meiner Stelle fühlen würden“, flehte die Russin. „Ich habe einmal einen Fehler gemacht und bin dafür gesperrt worden.“
Ihre positiven Tests auf Meldonium seien aber nicht ihr Fehler gewesen, das Verbot des Herzmittels sei vergleichbar mit der plötzlichen Ächtung von „Joghurt, Proteinen oder irgendeiner Sache, die alle Sportler nutzen“. Sie sei froh, in Rio zu sein, „aber es war heute sehr schwer zu schwimmen, die letzten drei Wochen waren unglaublich hart für mich“. Jefimowa lebt und trainiert seit drei Jahren in den USA und ist nur selten in ihrer Heimat. „Ich weiß nicht, was in Russland passiert“, sagte sie mit brechender Stimme. „Ich verstehe das alles nicht. Während der Olympischen Spiele sollen doch alle Kriege unterbrochen werden. Aber weil es keinen anderen Weg gibt, Russland anzugreifen, werden jetzt wir Athleten benutzt.“
Selbst Sprinter Gatlin wird angegangen
Bereits zuvor hatte es in Rio eine hochpolitische Doping-Kontroverse gegeben. Der australische Kraulschwimmer Mack Horton hatte den in der Vergangenheit wegen eines verbotenen Herzmittels gesperrten Sun Yang einen „Doping-Betrüger“ genannt. In China hatte diese Aussage zu einem Aufschrei geführt, in chinesischen Medien und den sozialen Netzwerken wurde Horton scharf attackiert. Der Wunsch, der Australier solle von einem „örtlichen Känguru getötet werden“, gehörte dabei noch zu den humorvolleren Statements. „Mack Horton hat das ausgesprochen, was alle denken“, sagte Lily King. „Ich bewundere ihn dafür.“ Es gebe zurzeit zu viel Verwirrung, im Sport und zwischen verschiedenen Ländern, sagte die 19-Jährige. „Wir müssen die Regeln in Stein meißeln und das alles beenden.“
King wurde noch gefragt, was sie davon halte, dass es auch im US-Olympiateam mit dem zweimal überführten und zweimal gesperrten Sprintstar Justin Gatlin einen doppelten Dopingsünder gebe: „Die Entscheidung liegt nicht bei mir, ich muss das akzeptieren“, sagte die Schwimmerin. „Aber sollten solche Leute meiner Meinung nach in unserem Team sein? Nein.“ Diese Aussage wird in Rio noch häufig zitiert werden – von den Russen und allen anderen, die sich von den USA und anderen westlichen Nationen pauschal verdächtigt und angegriffen fühlen.
Der olympische Kalte Krieg rund um das Doping hat gerade erst begonnen.
Lars Spannagel