Hertha BSC: Jos Luhukay steckt in einem Dilemma erster Klasse
Lieber offensiv? Oder doch defensiv stabiler? Nach sechs Bundesliga-Spieltagen lässt sich noch nicht mit finaler Gewissheit sagen, wie es um die Konkurrenzfähigkeit des neuformierten Teams von Hertha BSC bestellt ist.
Die Nacht zu Montag war zwar kurz, späte Rückreise und so weiter, dann gleich wieder Training. Trotzdem hat sich Jos Luhukay noch ein paar Mal die Aktion angesehen, über die er sich am Sonntag so empört hatte. „Ich bleibe bei meiner Meinung“, sagte der Trainer von Hertha BSC nach dem Auslaufen am nächsten Morgen und blinzelte in die Sonne, „für mich ist das kein Elfmeter.“ Dann schob er noch einen demütigen Satz hinterher: „Wir müssen aber ganz ehrlich sein: Der Schiedsrichter hat nicht dafür gesorgt, dass wir in der ersten Halbzeit schlecht gespielt haben. Das haben wir schon selbst gemacht.“
Am Vorabend hatte es Luhukay noch unterlassen, sein Team in dieser Deutlichkeit zu kritisieren. Nach dem 0:1 beim FC Augsburg war Schiedsrichter Bastian Dankert in der allgemeinen Wahrnehmung der Berliner schnell als Hauptverantwortlicher für die Niederlage ausgemacht worden. Dankert hatte nach einem vermeintlichen Foul von Torhüter Thomas Kraft an Augsburgs Stürmer Raul Bobadilla auf Strafstoß entschieden. Luhukay tobte daraufhin an der Seitenlinie auf und ab und lieferte sich einen öffentlichkeitswirksamen Disput mit Augsburgs Manager Stefan Reuter. Er wurde dabei sogar ein bisschen ausfallend, zumindest gestisch.
Diese Szene lässt sich durchaus als Zeichen der Verunsicherung beim sonst so höflichen Niederländer deuten. Kein Wunder: Nach intensiven Wochen der Vorbereitung und nunmehr sechs Bundesliga-Spieltagen lässt sich noch nicht mit finaler Gewissheit sagen, wie es um die Konkurrenzfähigkeit des neuformierten Teams bestellt ist, wie es taktisch zu agieren gedenkt und welche Konstanten das Luhukaysche System in dieser Saison ausmachen. Ganz im Gegenteil: Die bisherigen Eindrücke sind in etwa so wechselhaft wie die Ergebnisse.
Unter der neuen defensiven Ausrichtung leidet die Offensive
In den ersten vier Spielen gegen Bremen, Leverkusen, Mainz und Freiburg offenbarten die Berliner unübersehbare Defizite im Abwehrverhalten. Die Konsequenz: sieben eigene Treffer, aber auch elf des Gegners und allerhand wöchentliche Umstellungen. Am Sonntag in Augsburg begann zum ersten Mal die identische Formation aus der Vorwoche, und die Mannschaft war wie schon gegen Wolfsburg sichtlich um defensive Stabilität bemüht – übrigens einer der Lieblingsbegriffe des Trainers, aus gutem Grund. „Das war unsere große Stärke in den letzten Jahren“, sagt Luhukay.
Andererseits leidet die Offensive unter der neuerlichen Ausrichtung – ein Dilemma erster Klasse. In Augsburg blieben die Berliner zum ersten Mal in dieser Saison ohne eigenen Treffer. Wer es gut mit Hertha meint, der attestiert der Mannschaft bei einem Blick auf die letzten 180 Spielminuten drei hundertprozentige Torchancen, allesamt durch Salomon Kalou. „Ich habe immer gesagt, das ein Team mit so vielen Neuzugängen Zeit und Geduld braucht. Aber wir sind auch noch längst nicht da, wo wir es uns erhofft haben“, sagt Luhukay. „Offensiv fehlt uns die Durchsetzungskraft.“
Salomon Kalou beispielsweise bewegte sich in Augsburg über weite Strecken auf ziemlich verlorenem Posten, wenngleich er noch die beste Chance der Berliner besaß. Auch andere vielversprechende Neuzugänge wie die Flügelstürmer Genki Haraguchi und Roy Beerens haben bislang bestenfalls situativ ihr Potenzial angedeutet. Ihre technischen Fertigkeiten im Verbund mit ihrer Grundschnelligkeit haben der Japaner und der Niederländer aber auch deshalb nicht abrufen können, weil sie viel zu selten von ihren Mitspielern in Szene gesetzt, also auch mal in die Tiefe des Raumes geschickt werden.
„Ja, ja“, sagt Luhukay darauf angesprochen, „das Umkehrspiel...“ Auch das war in der letzten Saison eine große Stärke der Berliner. Ihre Auftritte etwa in München oder Dortmund sind nachhaltig in Erinnerung geblieben. „Um schnell umschalten zu können, müssen wir den Ball besser erobern, als wir es zuletzt getan haben“, sagt Luhukay. „Das aber setzt eine bessere Zweikampfführung voraus.“ Es gibt da nur ein kleines Problem: Die Statistik weist Hertha BSC im Moment als zweikampfschwächstes Team der Bundesliga aus.