Darum tritt der Bundestrainer zurück: Joachim Löw hat das große Ganze im Blick
Im Sommer hört Joachim Löw als Bundestrainer auf. Weil er seinem Nachfolger die Möglichkeit geben will, 2024 im eigenen Land eine erfolgreiche EM zu spielen.
Joachim Löw ist ein Mitarbeiter, wie man ihn sich als Chef nur wünschen kann. Jemand, der nicht allein sein eigenes Fortkommen im Blick hat, sondern auch das große Ganze sieht. Deshalb hat Löw vor einigen Tagen eine Entscheidung getroffen, die ihm – nach allem, was man über ihn weiß oder zumindest zu wissen glaubt – unendlich schwergefallen sein dürfte; die er nach eigener Aussage aber vor allem mit Blick auf das Wohl seines Arbeitgebers getroffen hat.
Im Sommer nach der Fußball-Europameisterschaft beendet Löw, 62, seine Tätigkeit als Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft, nach dann exakt anderthalb Jahrzehnten. Es gibt viele mögliche Gründe für diesen Schritt: eine gewisse Ermüdung im und am Amt oder auch die nicht nachlassende Kritik an seiner Amtseinführung. Aber daran lag es, wenn man Löw glaubt, nicht. Er hat vor allem an den Deutschen Fußball-Bund (DFB) gedacht. So hat er es am Donnerstag in einer digitalen Medienrunde erzählt, in der er sich erstmals zu seiner Entscheidung geäußert hat.
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Der Bundestrainer hat sein Handeln immer schon an den großen Turnieren ausgerichtet. Bei der Entscheidung für seinen Abschied aus dem Amt hat er da keine Ausnahme gemacht. Löw hat sie mit Blick auf die Europameisterschaft getroffen: die Europameisterschaft 2024 in Deutschland. „Dieses Turnier im eigenen Land muss zu einer Explosion führen“, sagt er. So wie es 2006 beim Sommermärchen war, als Deutschland ein wenig von sich selbst verzaubert war. Und diese Explosion „soll nicht daran scheitern, dass der Trainer auf seinem Stuhl klebt“, sagt Joachim Löw.
Bis Ende 2022 läuft sein Vertrag mit dem DFB eigentlich noch, bis nach der WM in Katar, die im kommenden Jahr erstmals im Advent ausgetragen wird. Von da an wären es nur noch anderthalb Jahre bis zur Europameisterschaft in Deutschland. Nicht viel Zeit für einen neuen Trainer, von dem Löw hofft, dass er „mit neuen Ideen, neuen Reizen den richtigen Impuls setzt“.
Löw sieht sich nicht bei der EM 2024
Irgendwann im vergangenen Jahr, als das Land, vor allem aber die Arbeit eines Bundestrainers wegen der Coronavirus- Pandemie zum Stillstand gekommen war, hat Löw für sich beschlossen, dass er einmal in aller Ruhe über sich und seine Zukunft nachdenken wolle. Das hat er in den vergangenen zwei, drei Wochen getan, tagelang darüber nachgedacht: „Wo stehen wir? Wo stehe ich? Was möchte ich? Welches Gefühl habe ich für die Zukunft?“
Die Perspektive der Nationalmannschaft sieht Löw als glänzend an. Er hat nach der missratenen WM in Russland den Umbruch eingeleitet. Nach wie vor glaubt der Bundestrainer, dass dieser Umbruch richtig ist, und nach wie vor ist er davon überzeugt, dass das Team mit Spielern wie Joshua Kimmich, Serge Gnabry oder Leroy Sané 2024 auf dem Zenit sein werde – so wie das Team, das er in den Jahren 2006 ff. entwickelt hat, 2014 beim Gewinn des WM-Titels auf seinem Höhepunkt angelangt war. Eine reizvolle Aufgabe eigentlich für einen Trainer, mit einer solchen Mannschaft in ein Turnier zu gehen. Aber Löw sagt: „Ich sehe mich 2024 nicht mehr in dieser Position.“
Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, erzählt, dass ihn die Entscheidung des Bundestrainers nicht gerade wie der Blitz getroffen habe. Die Frage, wer Löws Nachfolger werden könnte, ist spätestens seit dem historischen Scheitern bei der WM 2018 virulent, und die debakulöse 0:6-Niederlage gegen Spanien vor vier Monaten hat aus einem Abschied des Bundestrainers mehr als nur eine vage Möglichkeit gemacht.
Bierhoff empfindet keinen Zeitdruck
Bierhoff erklärt, dass er den Fall der Fälle zumindest im Hinterkopf schon durchgespielt habe. „Jetzt geht es ein bisschen mehr ans Eingemachte.“ Als Direktor Nationalmannschaft obliegt ihm nun die Suche nach Löws Nachfolger. „Der Auftrag ist da“, sagt Bierhoff. „Es ist eine wichtige Entscheidung, aber es ist keine dringende Entscheidung.“
Löw hat seinem Arbeitgeber mit der zeitigen Bekanntgabe seiner Entscheidung ausreichend Spielraum verschafft. „Eine zeitliche Vorgabe haben wir nicht“, sagt Bierhoff. Am 2. September bestreitet die Nationalmannschaft ihr erstes Spiel nach der EM. Dann wird der neue Bundestrainer auf der Bank sitzen. „Natürlich soll das nicht zwei Tage vorher passieren“, sagt Bierhoff. „Aber ich werde jetzt kein konkretes Datum nennen.“ Sorgfalt und Qualität gingen vor Schnelligkeit, erklärt Fritz Keller, der Präsident des DFB. „Es gibt keine Denkverbote. Alles ist möglich.“
Ralf Rangnick wäre durchaus interessiert
Auf die Frage, ob auch eine Frau Bundestrainer der Männer werden könnte, antwortet Bierhoff: „Ich würde nie etwas ausschließen. Insofern: Ihr dürft weiter spekulieren.“ Das passiert längst, wobei drei Namen – Hansi Flick, Ralf Rangnick und Stefan Kuntz – vermutlich mehr sind als reine Spekulationsobjekte. Kuntz, aktuell Trainer der U-21-Nationalmannschaft, wäre die naheliegende verbandsinterne Lösung, gewissermaßen das Sprungtuch, in das der DFB vergleichsweise weich fällt, wenn sich alle anderen Lösungen zerschlagen sollten. Die erste Wahl aber ist Kuntz vermutlich nicht, obwohl seine Arbeit mit der U 21 beim DFB sehr wohl geschätzt wird.
„Wir haben klar beschlossen, dass wir nicht in bestehende Verträge eingreifen wollen“, sagt Bierhoff. Das spricht, zumindest aktuell, gegen Flick, den Trainer des FC Bayern München – und für Ralf Rangnick. „Für mich ist es in erster Linie eine Frage des Timings. Im Moment bin ich frei“, hat Rangnick am Mittwochabend bei Sky gesagt. Der Job des Bundestrainers sei eine „Stelle, die niemanden in Deutschland kalt lässt“.
Von Flick wird man solche Aussagen angesichts seiner Vertragssituation derzeit nicht hören, und trotzdem dürfte Löws ehemaliger Assistent beim DFB mehr Wertschätzung genießen als Rangnick. „Wie mein Verhältnis zu Hansi ist, weiß ja jeder“, sagt Joachim Löw. „Aber es ist nicht meine Aufgabe, über mögliche Nachfolger zu sprechen.“
Das sieht auch Oliver Bierhoff nicht als seine Aufgabe an. Von ihm gibt es kein Wort zu konkreten Namen, nicht jetzt und auch nicht in den kommenden Wochen. „Ich werde in der nächsten Zeit keine Kandidaten kommentieren“, sagt Bierhoff. „Dafür haben wir genügend Experten in Deutschland.“