Nach den Ausschreitungen in Dresden: „Jetzt sollte niemand die Fans pauschal kritisieren“
Fanforscher Harald Lange fordert eine sorgfältige Aufarbeitung der Ausschreitungen bei Dynamo Dresden - ohne populistische Schnellschüsse.
Am Sonntagnachmittag steht Dynamo Dresdens Wiederaufstieg in die Zweite Fußball-Bundesliga fest. Die Mannschaft hat gegen Türkgücü München 4:0 gesiegt. Rund um das Dresdener Rudolf-Harbig-Stadion ist die Stimmung geladen. Schon während des Spiels gibt es Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und 3000 bis 5000 gewaltbereiten Fans. 44 Menschen müssen von den Rettungskräften medizinisch versorgt werden, darunter elf Polizisten. Dresdens Polizeipräsident Jörg Kubiessa spricht von „erschreckenden Szenen“. Harald Lange, 52, ist Professor für Sportwissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Zu den Schwerpunkten seiner Forschung gehört das Thema Fankultur.
Herr Lange, was sagen Sie zu den Ausschreitungen von Dresden?
Was passiert ist, ist zu verurteilen. Auch ich bin enttäuscht und entsetzt. Wenn etwas in dem Ausmaß passiert und man die Videos sieht, ist man natürlich geschockt. Trotzdem hatte sich die Eskalation in der vergangenen Woche ein stückweit andeutet, weil sich die Lage in Dresden zuspitzte
Was meinen Sie genau?
Am Mittwoch wurde das Aufstiegsspiel auf Sonntag verlegt, weil am Samstagnachmittag eine „Querdenken“-Demo geplant war, die aber frühzeitig verboten wurde. Dennoch rechnete die Polizei mit vielen Querdenkern und wollte vermeiden, dass beide Veranstaltungen parallel laufen. Das ist durchaus nachvollziehbar. Die Fans waren über die Verlegung dennoch nicht glücklich. Einige fühlten sich auch mit den Querdenkern in eine Schublade gesteckt.
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Schon lange vor Anpfiff versammelten sich etwa 1100 Polizisten rund um das Stadion. War das eine kluge Maßnahme?
Hohe Polizeipräsenz und kreisende Hubschrauber sind immer eine unglückliche Situation für die Fans. Allerdings hatte die Polizei sicher Informationen und gute Gründe für diese Entscheidung. Aber: Letztes Jahr beim Abstieg, als sich die Dresdener ungerecht behandelt fühlten, war die Situation ähnlich brisant. Damals wurde die Fans jedoch bis ans Stadion gelassen und es blieb ruhig. Geltende Corona-Regeln wurden aber definitiv auch dort verletzt. Dennoch stellt sich die Fragen, weshalb das Vorgehen der Polizei so unterschiedlich war.
Die Fans dürfen seit mehr als einem Jahr nicht ins Stadion. Wie viele Emotionen stauen sich da auf?
Die Fußballabstinenz führt bei den meisten Fans eher zu einer Entfremdung. Viele verfolgen ihre Lieblingsmannschaft nur noch puristisch im Fernsehen. Bei anderen aber ist der Frust und die Sehnsucht größer denn je. Das zeigte sich auch Ende letzten Jahres, als viele verschieden Fanlager die Abreise ihrer Klubs zu Auswärtsspielen begleiteten.
War die Eskalation am Sonntag also nur die Spitze des Eisbergs?
Nein. Die Geschehnisse sind absolut ernstzunehmen, jedoch widersprechen sie dem Trend. Insgesamt geht die Gewalt im Sport deutlich zurück. Im Kontext der letzten zwölf Jahre ist die Eskalation ist Dresden schon sehr ungewöhnlich. Daher sollte jetzt niemand die Fans pauschal kritisieren. Wie überall gibt es aber natürlich auch in Dresden einen Kern gewaltbereiter Fans.
Die Politik forderte am nächsten Tag Antworten und Konzepte vom Verein.
Die Aufarbeitung ist wichtig, weil sie immer auch der Prävention dient. Wir müssen daraus lernen! Allerdings ist das Thema zu komplex, um es am nächsten Tag zu lösen. Der Kontext ist wichtig. Es ist verlockend jetzt eine möglichst einfache Ursache, wie die große Polizeipräsenz, oder einen einfachen Schuldigen, wie die bösen Fußballfans zu präsentieren. Ich hoffe aber, dass alle Beteiligen dem jetzt widerstehen. Es hilft niemandem, wenn jetzt voreilig Pingpong darum gespielt wird, wer schuld ist. Den Verein trifft aber in diesem Fall keine Schuld. Ich glaube, dass er sich richtig verhalten hat.
Luca Füllgraf