Aus dem Leben eines Bayern-Fans: Immer weiter, immer weiter
Der FC Bayern eilt von einem Triumph zum nächsten. Und trotzdem leiden einige Fans der Münchner. Unserem Autor hat die Unbesiegbarkeit seines Klubs die ganz großen Gefühle geraubt. Ein Erklärungsversuch.
Neulich, im Dezember, kurz vor Weihnachten. Bayern München sei am Ziel, heißt es überall in den Medien. Fifa-Klub-Weltmeister! Der FC Bayern hat in Marokko den fünften Titel in einem Jahr gewonnen und gilt nun als beste Fußballmannschaft der Welt. Während Fans anderer Vereine wie Schalke 04, Bayer Leverkusen oder Borussia Dortmund wohl mindestens drei Ausrufezeichen hinter diese Titelserie setzen und diverse Feiern/Besäufnisse/Autokorsi folgen lassen würden, geht es mir als Bayern-Fan eher langsam ans Gemüt. Und ich frage mich: Lebst du noch oder erwartest du schon – zig weitere Erfolge, im Fußballjahr 2014, das heute mit der Bundesliga-Rückrunde beginnt? Eröffnungsspiel in Mönchengladbach. Natürlich mit dabei: Bayern München, geht ja gar nicht anders, live in der ARD (Beginn um 20.30 Uhr).
Da gucken dann wieder am meisten hin, da können sich wieder am meisten freuen. Oder eben ärgern. Wenn der deutsche Rekordmeister erwartungsgemäß gewinnen sollte und seinen Vorsprung in der Tabelle auf zwölf Punkte ausbaut. Und genau das ist es, dieses eine kleine Wörtchen: erwartungsgemäß.
Immer weiter, immer weiter, sagte mal Bayerns ehemaliger Torhüter Oliver Kahn. Titan fühlt nichts. Wenn du immer weitergehst, kannst du eben nirgends mal stehen bleiben und sagen: Mensch, ist das schön hier. Von Titel zu Titel zu Titel. Eine nie enden wollende Hatz. Und deswegen hat der allgemeine Bayern-Fan im Grunde keine Erwartungen mehr an seine Herzenself. Außer dieser einen, klitzekleinen: doch bitteschön jeden Sonnabend, jeden Mittwoch, jeden Sonnabend, jeden Mittwoch gewinnen. Gewinnen, gewinnen, gewinnen.
Liebe Bayern-Hasser, so merkt es endlich: Uns Bayern-Fans ergeht es irgendwann wie einem Drogenjunkie, dem die Dosis von Woche zu Woche nicht hoch genug gesetzt werden kann, um überhaupt noch etwas zu spüren. Vielen Dank auch. Und am Tag nach dem Spiel kommt einem morgens im Büro eben nicht Walter White, der Drogendealer aus der tollen US-amerikanischen Serie „Breaking Bad“ entgegen, um vielleicht über neue, nachhaltigere Suchtstoffe zu reden.
Stattdessen alles erwartungsgemäß. Man trifft auf Kollegen, Fans anderer, unterbetitelter Vereine, deren Haltung gegenüber uns Bayern-Fans zwischen Neid, Groll („He, jetzt holt ihr nach Götze auch noch Lewandowski! Ihr kriegt echt den Hals nicht voll …“), Missachtung („Bayern-Schnösel!“, „Opportunist!“), Unverständnis („Du kommst doch aus Braunschweig? Wieso bist du eigentlich Bayern-Fan?“) und auch ganz unverhohlen, bei ganz abgebrühten Fan-Charakteren, Mitleid changiert. Ahnend, dass da von einem rot-weißen Bazi nonchalant wieder einer von ungefähr 40 Saisonsiegen in die Tasche gesteckt wird, etwas, worüber man sich gefälligst zu freuen hat. Wie über den Bundesliga-Auswärtssieg in Augsburg. Oder über den Champions-League-Triumph in London. Oder über die Klub-Weltmeisterschaft. Oder oder oder.
Doch im Grunde sind so viele Siege ja alle eins. Zu viel Zuckerwatte, wie damals als Kind auf dem Rummel. Zu viele Weihnachtsgeschenke, eines größer und teurer als das andere, so dass man mit dem Auspacken und Dankesagen gar nicht nachkommt. Zu viele leckere Dinge auf dem schönen, riesigen Buffet. Nur noch eine klebrige Masse Erfolg. Rezept fast egal. Selbst der flexible, oft richtig schön anzusehende Bayern-Fußball unter Wundertrainer Pep Guardiola in dieser Saison hat die Erregungsfähigkeit des verwöhnten Bayern-Fans nur wenig anheben können. Denn auch wenn mit dem Spanier an der Seitenlinie der Vorwurf des blutleeren Ergebnisfußballs gegenüber Bayern-Anhängern neuerdings des Öfteren wegfällt – glaubt mir, Schalke- und Dortmund-Fans, das kann als Roter auch schon mal wehtun, sehr weh sogar.
Ganz zu schweigen von den wenigen, dafür aber umso herberen Pleiten. So etwas gab es ja. Barcelona, 26. Mai 1999, Champions-League-Finale. Bayern München gegen Manchester United. Bis zur 90. Minute steht es noch 1:0 für die Bayern, erwartungsgemäß. Dann fallen in der Nachspielzeit zwei Gegentore nach Eckstößen. Schweigen. Ecken gegen Bayern lösen bis heute ungute Gefühle aus. Oder Bremens 3:1 in München, mit dem Werder vor zehn Jahren die Deutsche Meisterschaft gewann. Ich kann Ihnen sagen … Normalerweise höre ich mir solche Spiele ja lieber im Radio an, aus der Ferne. Aber wer hat ausnahmsweise die weite Reise auf sich genommen und war am 8. Mai 2004 im Münchner Stadion? Ich. Ganz zu schweigen von dem Unsinn, als Bayern-Fan Public Viewing in der Kneipe zu betreiben. In der Regel beginnt, verläuft und endet das damit, dass sich so gut wie alle im Raum gegen meine Mannschaft verbünden.
"Euer Neid, euer Hass, macht uns Bayern-Fans stark"
Und es ist den anderen nicht nur egal, sie sind nicht nur nicht für Bayern, sie wollen sogar, dass Bayern verliert. Vielen Dank auch dafür. Oder der Versuch, im öffentlichen Raum (nicht nur im notorisch Bayern-feindlichen Berlin) mit einem Trikot der Münchner oder auch nur einem Schal ein schiedlich-friedliches Auskommen mit seinen Mitmenschen zu haben. Unmöglich! Das Vorhaben gleicht einem Spießrutenlaufen. „Eh, du Bayern-Sau! Großkotz! CSU-Wähler!“ war noch das Harmloseste, was ich mir mal als kleiner Junge von Fans des Hamburger SV anhören musste – am Urinal im Münchner Olympiastadion. So viel Hass schlägt einem auch nicht alle Tage entgegen. Wäre nicht ein beherzter Rentner dazwischengegangen, hätte ich mir das vielleicht noch mal überlegt, das mit dem Bayern-Fan-Sein, rein überlebenstaktisch. Da hilft es auch nur wenig, solchen Menschen jenen Spruch aus der Südkurve entgegenzuschleudern: „Euer Neid, euer Hass, macht uns Bayern-Fans stark.“
Diesen Spruch sollte eigentlich auch Jürgen Klopp kennen. Der Trainer von Borussia Dortmund hat neulich in einem Interview mit „Bunte“ gesagt, worin für ihn der Unterschied zwischen der „echten Liebe“ zum BVB und der zum FC Bayern München bestehe. Echte Liebe zeige sich darin, in den letzten zehn Jahren die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen durchlebt zu haben, „aber die Fans sind uns immer treu geblieben. Die kommen nicht erst, wenn wir wie Schmidts Katze abgehen“. Das „Mia san mia“ des FC Bayern strahle hingegen zu Recht ein „unglaubliches Selbstbewusstsein aus“. Es habe eine „gewisse Arroganz“, sei trotzdem cool. „Unser Gegenstück zu ‚Mia san mia’ heißt: Wir sind Fußball“, sagt Klopp.
Wir Bayern-Fans sind also keine richtigen, glühenden Fans? Das zu hören tut schon weh. Es nervt, immer wieder seine echte Liebe beweisen zu müssen. Jürgen Klopp ist ja kein Vollidiot. Trotzdem, die Platte ist dermaßen alt. Das dauernde Wiederholen macht sie auch nicht besser. Aber was soll’s? Das mit dem Fan-Sein ist eh nicht zu ändern oder willentlich zu beeinflussen. Wo die Liebe hinfällt. Das eint uns doch alle, die Anhänger von Schalke, Dortmund, Köln, Gladbach, Bremen oder Hertha. Einmal Fan, immer Fan. Und Anhänger dieser Vereine zeichnen sich anscheinend ausnahmslos dadurch aus, dass sie mit ihrem Verein leiden. Und da hat Jürgen Klopp dann sicherlich doch ein bisschen recht.
Leid und Freud sind Weggenossen des Lebens, sagt ein japanisches Sprichwort. Wenn es dann aber kaum noch Leid gibt, so wie für mich 2013, macht die Freude immer weniger Sinn. Der Weg eines Bayern-Fans ist halt anders, angesichts der Erfolgsgeschichte seines Klubs. Ich erwarte ja jetzt schon wieder Allesallesmögliche für 2014. Walter White, bitte melden.
Das klingt großkotzig, sicher. Erwartungsgemäß. Aber es hofft – ein Fan. Denn auch Bayern-Fans haben ein Recht darauf, à la Nick Hornby in die Kreise derer aufgenommen zu sein, denen es quasi romantisch in die Wiege gelegt worden scheint, welchem Verein sie bis zum letzten Atemzug die Treue halten werden. Von wegen Berechnung und Opportunismus. Nein, das ist ein ehernes Gesetz! Man kann sich das mit der bedingungslosen Vereinsliebe nicht aussuchen, nirgends auf der Welt. Schon gar nicht aufgewachsen in einer kleinen, drögen Stadt, 30 Kilometer entfernt von Braunschweig, fußballmäßig sozialisiert in den frühen 70ern vor dem Fernseher, es spielten Gerd Müller, Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß.
Meine Wahl fiel also vollkommen selbstverständlich auf den großen FC Bayern. Das war vielleicht nicht von Gott gegeben, aber sicherlich unabänderlich. Welcher Verein auch sonst? Borussia Dortmund? Die gab es zu der Zeit irgendwie gerade nicht. Union Salzgitter? Eintracht Braunschweig? Gut, Borussia Mönchengladbach, die Fohlen, die hätten es auch noch werden können. Dann ginge es mir jetzt vielleicht besser und der gewonnenen Klub-WM wäre auch mal eine ausgiebige Feier, ein großes Besäufnis gefolgt. So wurde das Ergebnis nur lässig abgehakt. Zu viel Schmidts Katze. Jürgen Klopp hätte seine Freude daran.
Zugegeben, das alles ist Jammern auf hohem Niveau. Ernsthaftes Mitgefühl ist nicht wirklich angezeigt. Die Triple-Saison 2013 gehörte zu den schönsten in meinem Leben überhaupt (neben der Geburt meines Sohnes, der übrigens auch schon weiß, wo der erfolgreiche Fußball gespielt wird). Ich hätte es nur gerne noch etwas mehr – gespürt. Das ist das Leid, ein Bayern-Fan zu sein.
Markus Ehrenberg
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