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Von Weiß zu Rot. Lothar Matthäus (rechts) begann seine Profikarriere 1979 bei Borussia Mönchengladbach. Fünf Jahre später schloss er sich dem FC Bayern an, dem Klub von Dieter Hoeneß.
© imago/Kicker/Eissner

Lothar Matthäus zwischen Gladbach und Bayern: „Ich war Borussia Mönchengladbach durch und durch“

Lothar Matthäus im Interview über Borussia Mönchengladbach und Bayern München, seine Heimat Herzogenaurach und die Rivalität von Puma und Adidas.

Mit dem Klassiker Bayern München gegen Borussia Mönchengladbach soll die Bundesliga an diesem Freitag (20.30 Uhr, live bei Sat1 und Dazn) in die Rückrunde starten. Deutschlands Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, 60, hat für beide Vereine gespielt. 1979 begann er bei den Gladbachern seine Karriere als Profifußballer, 1984 wechselte er für eine Ablöse von 2,4 Millionen Mark zu den Bayern.

Herr Matthäus, Ihr Wechsel von Borussia Mönchengladbach zu Bayern München hat 1984 großen Wirbel ausgelöst. Wie war das eigentlich in Ihrer Heimatstadt Herzogenaurach, als Sie von einem Puma- zu einem Adidas-Klub gewechselt sind?

Ob das in Herzogenaurach eine große Rolle gespielt hat, das weiß ich nicht mehr. Ich habe ja damals schon nicht mehr dort gelebt. Aber es stimmt schon: Bayern München und Borussia Mönchengladbach waren damals die Aushängeschilder der beiden großen deutschen Sportartikelhersteller Adidas und Puma. Beide Unternehmen sind in Herzogenaurach ansässig. Die Gründer waren Brüder, die sich später zerstritten haben. Deshalb wird man in der Stadt ganz sicher über meinen Wechsel zu den Bayern gesprochen und diskutiert haben.

Man hört und liest oft, dass Herzogenaurach durch die Konkurrenz zwischen Puma und Adidas quasi eine geteilte Stadt gewesen sei. War es wirklich so schlimm?

In den Siebzigern und Achtzigern war das schon noch eine besondere Situation, ein bisschen wie in Berlin zu Zeiten der Teilung. Nur dass es keine Mauer gab, sondern die Aurach, einen fünf Meter breiten Fluss, der mitten durch die Stadt fließt und sie in zwei Hälften teilt. Rechts war Adidas, links Puma. Aber immerhin gab es Brücken, und man durfte auch ohne Passkontrolle auf die andere Seite gehen.

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Wie war es mit persönlichen Kontakten zwischen den Bewohnern beider Seiten?

Im Nachhinein ist das auch ein bisschen aufgebauscht worden. Aber ein Puma- Mitarbeiter ist nicht zum Adidas-Metzger gegangen, das ist schon richtig. Jede Seite hatte ihre eigene Bäckerei, ihre eigene Metzgerei. Es gab auch zwei Fußballvereine. Der eine, der 1. FC Herzogenaurach, wurde von Puma unterstützt, der andere, der ASV, von Adidas. Wir sind schon so erzogen worden, dass wir die andere Seite meiden. Und wir wussten auch, wo wir als Kinder und Jugendliche hingehen sollten und wo wir nicht hindurften.

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Nach Ihrem Wechsel vom Puma-Klub Borussia zum Adidas-Verein Bayern haben Sie immerhin weiter in Puma-Schuhen gespielt.

Ich glaube, ich war sogar der erste Spieler der Bundesliga, für den es eine solche Regelung gab; der erste, der in einer anderen Schuhmarke gespielt hat als der Rest seiner Mannschaft. Das war meine einzige Bedingung für den Wechsel nach München. Mir ging es nicht um Geld. Ich habe bei den Verhandlungen mit Uli Hoeneß gesagt: „Uli, hör zu: Eine Sache muss geklärt werden: Ich habe mit Puma einen Vertrag und will auch weiterhin in Puma spielen – es sei denn, Puma und Adidas einigen sich irgendwie anderweitig.“

Die Gespräche zwischen Puma und Hoeneß sollen ziemlich heftig gewesen sein.

Uli hat gesagt, er werde sich darum kümmern. Was er genau gemacht hat, das weiß ich nicht. Aber mir war von Anfang klar, dass Puma mich auch aufgrund der langjährigen Beziehung nicht zum größten Konkurrenten, noch dazu aus demselben Ort, ziehen lassen würde. Als feststand, dass ich zu Borussia Mönchengladbach wechseln würde, habe ich gleich einen Ausrüstervertrag bekommen – ohne dass ich ein einziges Bundesligaspiel bestritten hatte. Deshalb war in meinem Vertrag mit den Bayern eindeutig festgeschrieben: Gibt es keine Einigung zwischen Adidas und Puma, darf ich weiterhin in Puma spielen.

Woher kam Ihre enge Beziehung zu Puma?

Durch meine Familie. Mein Vater hat 40 Jahre im Unternehmen gearbeitet. Er war eigentlich gelernter Schreiner, aber als Hausmeister bei Puma so etwas wie das Mädchen für alles. Wir wohnten direkt neben dem Werksgelände. Meine Mutter war ebenfalls für Puma tätig. Sie saß zu Hause an der Steppmaschine und hat Fußballschuhe zusammengenäht. Und als Schüler habe ich in den Sommerferien natürlich bei Puma gearbeitet, habe in der Kantine ausgeholfen oder im Lager Schuhkartons sortiert. Als ich noch kleiner war, bin ich meinen Vater auch oft bei der Arbeit besuchen gegangen. Ich kannte alle, und alle kannten mich. Dadurch war ich als kleiner Lausbub fast so etwas wie das Maskottchen von Puma.

Posterboy. Borussia Mönchengladbach war die erste fußballerische Liebe von Lothar Matthäus. Dem Klub fühlte er sich verbunden, weil er sich dessen Ausrüster verbunden fühlte.
Posterboy. Borussia Mönchengladbach war die erste fußballerische Liebe von Lothar Matthäus. Dem Klub fühlte er sich verbunden, weil er sich dessen Ausrüster verbunden fühlte.
© imago/Sven Simon

Kannten Sie auch Rudolf Dassler, den Firmengründer?

Natürlich. Ich durfte jederzeit in sein Büro und mir von den weggeworfenen Briefumschlägen die Briefmarken ablösen. Unser Verhältnis war fast so wie zwischen Großvater und Enkel. Er ist mit mir an der Altmühl angeln gewesen, ich habe ihn auch zu Hause besucht und bekam ab und an neue Schuhe, einen Trainingsanzug oder einen Ball von ihm geschenkt.

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass Sie von Dassler auch Ihr erstes Auto bekommen haben.

Ja, das war so. Aber nicht von Rudolf, sondern von seinem Sohn Armin, der die Geschäfte nach dem Tod seines Vaters geführt hat. Irgendwann hat er mich gefragt, ob ich schon meinen Führerschein gemacht hätte. Ich war gerade dabei. Dassler ging in seinem Büro ans Fenster und zeigte nach draußen auf einen grünen Golf. „Wenn du den Führerschein hast, kommst du zu mir. Dann ist der Golf deiner“, sagte er. „Aber bring eine D-Mark mit!“

Wieso das?

Als ich ihm paar Wochen später meinen Führerschein zeigte, sagte Armin Dassler, ich solle zu seiner Sekretärin gehen und von ihr einen Kaufvertrag aufsetzen lassen. Die Sekretärin wusste schon Bescheid. Ich gab ihr eine Mark und bekam einen Pfennig zurück. So hatte ich für 99 Pfennig mein erstes Auto gekauft, einen gebrauchten Golf mit 50 PS und 60 000 Kilometer auf dem Tacho.

Welche Rolle hat Puma 1979 bei Ihrem Wechsel zu Borussia Mönchengladbach gespielt?

Durch Puma bin ich Fan von Borussia Mönchengladbach geworden. Es hat Poster gegeben, Schuhe mit den Namen der Spieler. Ich hatte die ganze Mannschaft von Borussia Mönchengladbach über dem Bett hängen, und Günter Netzer war mein Hero. Als ich elf war und der Fotograf für das Klassenfoto in die Schule kam, hatte ich ein T-Shirt mit dem Konterfei von Günter Netzer an. Das war eben die große Anfangszeit von Borussia in der Bundesliga, mit den ersten Meisterschaften und den ersten internationalen Erfolgen. Ich war Borussia Mönchengladbach durch und durch. Und irgendwann war man selbst dabei.

Wissen Sie noch, ob Borussia mal bei Puma in Herzogenaurach zu Besuch war?

Ab und zu hat man einzelne Spieler von Borussia bei Puma gesehen, Berti Vogts, Jupp Heynckes oder Günter Netzer. Und ein- oder zweimal war auch die ganze Mannschaft da. So wie die Bayern bei Adidas. Aber die sind natürlich etwas häufiger in Herzogenaurach gewesen.

Wie ist Ihr Wechsel nach Mönchengladbach vonstattengegangen?

Dass ich zu Borussia gewechselt bin, lag speziell an Pumas PR-Chef Hans Nowak, einem ehemaligen Nationalspieler, der für Bayern, Schalke und Offenbach gespielt hatte. Er war nicht nur PR-Chef bei Puma, sondern auch Ratgeber und teilweise sogar Trainer bei dem Verein, für den ich damals gespielt habe.

Beim 1. FC Herzogenaurach.

Genau. Hans kannte ich sehr gut. In seinem Büro hatte er einen eigenen Kühlschrank, der ist immer von meinem Vater aufgefüllt worden. Puma war ja wie eine große Familie, man ist sich einfach häufig über den Weg gelaufen. Deshalb wusste Hans natürlich auch, für welchen Verein ich schwärmte. Trotzdem hat er mich irgendwann einmal provokativ gefragt: „Lothar, wenn du die Möglichkeit hättest, in der Bundesliga zu spielen: Zu welchem Verein würdest du am liebsten gehen?“ – „Hans“, habe ich geantwortet, „du weißt doch, dass ich Borussia-Mönchengladbach-Fan bin, und natürlich wäre es super, wenn ich für diesen Verein spielen könnte.“

Wussten Sie, dass er den Kontakt zu Borussia hergestellt hatte?

Ja, ich wusste alles. Helmut Grashoff hatte mich angerufen, und dann ist Jupp Heynckes nach Herzogenaurach gekommen. Damals war er noch Assistent von Udo Lattek, aber es war schon klar, dass er ihn im Sommer 1979 als Cheftrainer ablösen würde. Jupp Heynckes hat sich ein Spiel von mir angeschaut. Ich weiß sogar noch, welches.

Nämlich?

Gegen die Spielvereinigung Vohenstrauß aus der Oberpfalz, Landesliga, Senioren. Ich war damals 17 Jahre alt. Dass Jupp Heynckes sich das Spiel angeschaut hat, war natürlich ein Riesengesprächsthema. Man wusste auch, dass er meinetwegen da war. Wir haben das Spiel 5:1 gewonnen, und ich habe zwei Tore gemacht.

Das Interview mit Lothar Matthäus stammt aus dem Buch „Das Gladbach-Trikot. Von 1900 bis heute“.
Das Interview mit Lothar Matthäus stammt aus dem Buch „Das Gladbach-Trikot. Von 1900 bis heute“.
© promo

Bei dem Beitrag handelt es sich um die gekürzte Fassung eines Interviews aus dem Buch „Das Gladbach-Trikot. Von 1900 bis heute“ von Stefan Appenowitz, Matthias Gorke und Tagesspiegel-Redakteur Stefan Hermanns. Es ist im Verlag Die Werkstatt erschienen (256 Seiten, 29,90 Euro).

Stefan Hermanns

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