Moritz Wagner vor dem Start in neue NBA-Saison: „Ich habe noch extrem viel zu lernen“
Basketball-Nationalspieler Moritz Wagner spricht im Interview über den Wechsel zu den Washington Wizards, seinen Bruder Franz und die Verbindung Berlin.
Herr Wagner, nach Ihrer ersten Saison in der NBA haben Sie im Sommer drei Wochen in Berlin verbracht. Zehren Sie lange von solchen Heimaturlauben?
Es bringt mir schon etwas. Vor allem, weil ich meine Familie sehen möchte und meine Freunde. Dann kann man kurz so tun, als wäre alles wieder wie früher. Gerade nach so einer langen Saison mit 82 Spielen war es nötig, in die Heimat zu kommen. Es ist aber nicht mehr so, dass ich Berlin jeden Tag vermisse oder nicht mehr ohne leben könnte – obwohl ich die Stadt sehr liebe.
In Michigan waren Sie auf dem College, danach ging es nach Los Angeles zu den Lakers. Von dort wurden Sie im Sommer zu den Washington Wizards transferiert. Ist es dort besser?
Die Stadt ist geil! Es macht echt Spaß, hier zu leben. Es ist nicht zu viel los, trotzdem gerade genug. Man kann hier auch mal sein eigenes Ding machen und sich auf sich selbst fokussieren. Das ist ein guter Mix. Ich habe wieder mal Glück gehabt.
Sie könnten bei den Wizards deutlich häufiger spielen als zuvor bei den Lakers. Haben Ihre Trainer schon mit Ihnen darüber gesprochen?
Nein, so funktioniert das in der NBA nicht. Die Einsatzzeiten ergeben sich aus einem natürlichen Konzept. Man merkt im Training und auch in den Spielen, welche die eigene Rolle ist, wo man gebraucht wird und wie man spielen muss. Daraus ergeben sich die Spielminuten. Man bekommt hier nicht einfach gesagt, wie viel man voraussichtlich spielen wird und wie die Coaches planen.
Haben Sie Ihre Rolle im neuen Team denn schon gefunden?
Die Saison geht jetzt erst los, dementsprechend wäre es verfrüht, bereits Aussagen über meine Rolle zu treffen. Aber: In jedem Team wird es meine Aufgabe sein, Energie aufs Parkett zu bringen und gut zu kommunizieren. Natürlich wäre es auch schön, wenn ich den einen oder anderen Dreier treffe. Das ist etwas, was mich sehr wertvoll macht in der NBA. Ich will mich aber einfach stetig verbessern. Wir sind ein sehr junges Team, die Organisation möchte eine neue Richtung einschlagen. Teil dieser jungen Gruppe zu sein, macht mich sehr stolz, es ist aber auch eine Verantwortung, die ich sehr ernst nehme.
Apropos Dreier: Sie haben in den Vorbereitungsspielen bereits einige Dreipunktewürfe verwertet. Haben Sie im Sommer besonders daran gearbeitet?
An dem Dreier arbeitet man eigentlich immer. Mit mehr Erfahrung kommt auch mehr Ruhe in den Wurf. Natürlich hängt das auch mit dem Selbstbewusstsein zusammen. Die Leute hier vermitteln mir das Gefühl, dass ich in meinen Wurf vertrauen und im Spiel mutig sein soll. Deswegen denke ich nicht mehr zweimal darüber nach.
Haben Sie nun Dinge ausgemacht, die Sie unbedingt verbessern wollen?
Ich glaube, dass man in der NBA ein guter Spieler sein kann, wenn man zwei bis drei Fähigkeiten sehr gut beherrscht – auf einem Level, wie es nur wenige andere können. Ich will werfen, beim Offensiv-Rebound aggressiv sein, die offenen Mitspieler anspielen und defensiv solide sein. Es war eine große Herausforderung für mich, zu verstehen, dass wenn man in jedem Spiel die einfachen Körbe macht, es schon mal sechs bis acht Punkte sind. Wenn dazu noch ein Dreier und ein anderer guter Move kommen, ist man bereits bei 14 bis 15 Punkten pro Spiel.
Haben Sie in den Vorbereitungsspielen gemerkt, dass Sie bestimmte Sachen bereits besser machen als in Ihrer ersten Saison?
Ja, definitiv. Das Spiel ist nicht mehr so schnell für mich. Ich bin natürlich noch kein Veteran, ich habe noch extrem viel zu lernen. Ich kenne die gegnerischen Spieler und ihre Fähigkeiten aber bereits deutlich besser. Auch an das Regelwerk der NBA, das Unterschiede zum Spiel auf dem College und in Europa aufweist, habe ich mich gewöhnt. Viele Spieler in der NBA sind auch einfach so gut, dass man sie gar nicht komplett stoppen kann. Da muss man abwägen, welche Freiräume man ihnen als Verteidiger gibt und welche Fähigkeiten man deshalb umso mehr versucht einzuschränken. Das sind kleine Sachen, über die ich mir mittlerweile deutlich weniger Gedanken mache. Das ist für den Energieverbrauch natürlich hilfreich.
Wie schwer ist es als ehrgeiziger Sportler zu akzeptieren, dass es Gegenspieler gibt, die man einfach nicht vollumfänglich aus dem Spiel nehmen kann?
Das Schöne am Basketball ist ja, dass man immer Defense und Offense spielt. Wenn der Gegenspieler mir etwas wegnimmt oder mich zwingt, Dinge zu machen, die ich gar nicht mag, werde ich sauer. Ich versuche mich dann in den Spieler hineinzuversetzen und auszuloten, was ihn wiederum aggressiv machen würde. Ich habe also beide Perspektiven.
Wer hat Sie denn bisher am meisten beeindruckt?
Man spielt in der NBA ständig gegen sehr gute Spieler, hier ist niemand schlecht. Aber: James Harden von den Houston Rockets ist schon sehr beeindruckend, weil er nach Belieben punkten kann. Gegen den kann man nicht wirklich etwas machen. Paul George von den Los Angeles Clippers fand ich immer schon beeindruckend – und umso mehr, als ich ihn dann live gesehen habe. Ich habe selten einen Spieler so einfach 48 Punkte machen sehen wie ihn gegen uns bei den Lakers im vergangenen Jahr. Generell lebt diese Liga von einer extrem hohen individuellen Klasse. Das merkt man dann auf dem Spielfeld.
In Los Angeles war LeBron James der Star Ihres Teams. In Washington ist der zweifache All-Star Bradley Beal der Anführer, der jüngst einen neuen lukrativen Vertrag unterschrieben hat. Wie arbeitet es sich mit ihm?
Er ist eine sehr angenehme Person und nimmt seinen Job sehr, sehr ernst. Man spürt, dass er in seiner Zeit in der NBA viel gelernt und dadurch einen gewissen Stolz hat, aber auch die Verantwortung spürt, den jüngeren Spielern zu helfen. Wie er seinen Ehrgeiz an uns übergibt, so etwas habe ich noch nie gesehen. Dass er, als Spieler, der seit Jahren auf höchstem Niveau spielt, sich auf die neue Richtung mit vielen jungen Spielern einlässt, finde ich sehr beeindruckend. Auch wenn ich nicht von einem Neuaufbau sprechen würde, diesen Begriff mag ich gar nicht.
Ein geflügeltes Wort in der NBA, das immer dann verwendet wird, wenn ein Team sich auf lange Sicht komplett neu aufstellen will – und das viele Experten auch Ihren Wizards anheften. Warum mögen Sie es nicht?
Der Begriff steht oft dafür, dass ein Team alles einreißt und sich in ein reines Entwicklungsjahr begibt. Dieses Einreißen finde ich respektlos den Leuten gegenüber, die schon da sind und die auch ihren Job machen und sich reinhängen. Und wenn man mit dem Anspruch eines Entwicklungsjahres in die Saison geht und nicht ums Gewinnen mitspielt, entwickelt man sich sowieso nicht. Das wirkt dann fast schon wie ein Trostpreis – und dafür spiele ich nicht Basketball. Ohne Ehrgeiz kann man sich nicht verbessern. Aber, ich glaube, dass das auch jedem hier bewusst ist. Jeder hier bei den Wizards arbeitet hart, damit wir in der kommenden Saison so viele Spiele wie möglich gewinnen.
Oft ist die Rede davon, dass manche Teams bewusst nicht viele Spiele gewinnen wollen, um sich eine bessere Ausgangsposition für die große Talentewahl, den Draft, zu sichern. Nervt sie so etwas?
Das ist das sogenannte Tanking. Ich hoffe, dass ich so etwas in meiner Karriere nie mitmachen muss. Als während der letzten Saison bei den Lakers klar wurde, dass wir die Play-offs nicht erreichen, hat mich das Gefühl extrem gestört, dass wir um nichts mehr gespielt haben. Ich möchte gewinnen, deswegen spiele ich Basketball, deswegen liebe ich das so. Das Tanking ist respektlos dem Spiel und auch dem Spieler gegenüber. Ich habe mein ganzes Leben hart dafür gearbeitet, um zu gewinnen. Dann um die goldene Ananas spielen? Darauf habe ich keinen Bock.
Sie wohnen nun deutlich näher bei Ihrem Bruder Franz, der Alba Berlin im Sommer verlassen hat und vor seiner ersten College-Saison in Michigan steht, wo Sie auch drei Jahre gespielt haben.
Genau. Natürlich haben wir beide viel zu tun, so oft können wir uns dann doch nicht sehen. Da wir nun aber nur noch eine Stunde Zeitverschiebung zueinander haben, ist allein ein Videotelefonat deutlich leichter einzufädeln als zuvor.
Am 6. Oktober haben Sie getwittert „ALBA!!!“. Zuvor hatten die Berliner in Bamberg gewonnen. Sie verfolgen das Geschehen hier in Berlin also weiterhin?
O ja! Alba ist mein Team und wird das auch immer bleiben. Seitdem ich sechs oder sieben Jahre alt bin, bin ich zu den Spielen gegangen. Ich erinnere mich noch gut an Spieler wie Rouben Boumtje-Boumtje; Julius Jenkins war damals mein Idol. Das bleibt natürlich im Blut. Ich mag die Leute im Verein, die machen einen super Job und bauen ein tolles Programm auf mit Marco Baldi. Außerdem ist Aito ein unglaublich guter Trainer – wie er den jungen Spielern Vertrauen schenkt. Malte Delow ist jetzt bei den Profis dabei, Jonas Mattisseck spielt immer mehr. Ich bin wirklich stolz, aus diesem Verein zu kommen.
Haben Sie noch einen Draht zu den jungen Spielern?
Jonas Mattisseck kenne ich sehr gut. Mein Bruder und er haben in der U16 gegeneinander gespielt, als Jonas noch bei TuS Lichterfelde war. Danach haben sie lange zusammengespielt. Das Coole bei Jonas ist: So mutig, wie er jetzt spielt, spielt er schon immer. Er lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen, spielt mit sehr viel Energie, kann gut werfen und ist für seine Position schon sehr kräftig. Es macht Spaß, ihm zuzugucken.
Am Wochenende finden einige NBA-Partien zwischen 20 Uhr und 23 Uhr europäischer Zeit statt. Die Spiele am Samstag werden auf Dazn übertragen, an Sonntagen können die Spiele neben Dazn auch auf www.spox.com gestreamt werden.
Louis Richter