Hertha - München 0:6: Hertha erlebt ein Debakel
Nichts zu verlieren - das war die Einstellung der Berliner vor dem Spiel gegen den Rekordmeister aus München. Nach dem 0:6 steht fest: Hertha hat auch nichts gewonnen.
Ein paar Minuten vor der Pause gab es im Olympiastadion fast schon frenetischen Beifall. Die Anhänger von Hertha BSC jubelten – über die erste Ecke für ihre Mannschaft. Die Häme war nur schwer zu überhören. Der Berliner Fußball-Bundesligist lag zu diesem Zeitpunkt bereits 0:3 gegen den FC Bayern München zurück, das Duell zweier ungleicher Gegner war längst entschieden. Doch neben dem desaströsen Ergebnis drückte auch der blamable Auftritt der Berliner mächtig auf die Stimmung. 0:6 hieß es am Ende für den Aufsteiger. So hoch haben die Berliner erst zweimal in der Bundesliga verloren. Beide Male – 1980 und 1991 – stiegen sie anschließend ab. Dieses Szenario wird auch für diese Saison immer wahrscheinlicher.
Am Abend eines schönen Frühlingstages machte sich im Olympiastadion Endzeitstimmung breit. Als Adrian Ramos in der zweiten Hälfte ausgewechselt wurde, gab es heftige Pfiffe von den eigenen Fans. Die Langmut des Publikums ist aufgebraucht, die Mannschaft hat auch die letzten Sympathisanten inzwischen weitgehend vergrätzt. Im neunten Spiel der Rückrunde kassierten die Berliner ihre achte Niederlage, zum siebten Mal blieben sie ohne Tor, und erstmals in dieser Saison belegen sie nun einen direkten Abstiegsplatz. Gewinnt der 1. FC Kaiserslautern an diesem Sonntag gegen den FC Schalke 04, fällt Hertha sogar auf den letzten Tabellenplatz zurück.
Die Situation der Berliner hatte sich schon vor dem Anpfiff noch einmal zugespitzt. Weil die Konkurrenten Freiburg und Augsburg am Nachmittag ihre Spiele gewonnen hatten, begannen die Berliner ihre Begegnung gegen den Rekordmeister als virtueller Vorletzter. Kurz vor dem Anpfiff war im ausverkauften Olympiastadion unter den Hertha-Fans so etwas wie eine Jetzt-erst-recht-Stimmung auszumachen. Aber die hielt nicht lange vor.
Dazu trug auch Otto Rehhagel einen nicht unerheblichen Teil bei: Während die Bayern mit derselben Elf begannen, die schon in den beiden vorangegangenen Spielen zwei Kantersiege gefeiert hatte, rüttelte Herthas Trainer seine Mannschaft einmal komplett durch, sowohl personell als auch taktisch. Es schien, als hätte Rehhagel elf Würfel mit den Namen seiner Spieler in einen Becher gesteckt, sie aufs Feld geschüttet – und sein Team dann genau in dieser Formation spielen lassen. Heraus kam ein 4-1-4-1-System, in dem kaum ein Spieler sich auf seinem angestammten Platz wiederfand. Raffael, der anstelle des verletzten Andre Mijatovic und des gesperrten Lewan Kobiaschwili die Kapitänsbinde tragen durfte, lief als einzige Spitze auf, Nikita Rukavytsya spielte rechts im Mittelfeld, neben ihm Christian Lell. Dessen Position rechts in der Viererkette übernahm Fanol Perdedaj.
Die Idee war wohl, dass der bissige Perdedaj dem Franzosen Franck Ribéry die Lust am Spiel nehmen sollte. Der Plan ging vollkommen daneben. Schon nach 45 Sekunden zog der Münchner zum ersten Mal an Herthas U-20-Nationalspieler vorbei, bis zur neunten Minute leitete Ribéry über die rechte Berliner Abwehrseite zwei weitere Angriffe ein, mit dem vierten Versuch war es dann geschehen: Der Franzose ließ Perdedaj mit einem kurzen Antritt einfach stehen, passte in die Mitte – und Müller verwandelte nach nicht einmal zehn Minuten zum 1:0 für die Bayern.
Das selbstmörderische Experiment war damit beendet, Lell rückte wieder auf seinen gewohnten Platz – die Bayern aber ließen sich dadurch in ihrer Offensivlust nicht bremsen. Hertha wurde regelrecht überrannt. Drei Minuten nach dem 1:0 erhöhte Arjen Robben nach einem Konter mit einem Schuss ins kurze Eck auf 2:0, kurz darauf nahmen Lell und Janker Thomas Müller in die Zange, den folgenden Elfmeter verwandelte Robben zum 3:0. Immerhin: Im Vergleich zum Hinspiel hatten die Münchner diesmal fünf Minuten länger für dieses Ergebnis gebraucht.
Sonst ließ sich aus Berliner Sicht wenig Positives finden. Dass Hertha in der ersten Hälfte sogar zu drei Chancen durch Raffael, Ramos und Roman Hubnik kam, lag vor allem daran, dass die Münchner einer stringenten Defensivarbeit schon sehr früh keinen besonders großen Wert mehr beimaßen. Sie berauschten sich lieber an ihrer Offensivleistung. Die Berliner wurden von den Münchnern regelrecht der Lächerlichkeit preisgegeben. Bei einem Freistoß knobelten Ribéry und Toni Kroos per Schnick-Schnack-Schnuck aus, wer zur Ausführung schreiten durfte.
Man kann gegen Bayern verlieren, für einen Abstiegskandidaten wie Hertha ist das sogar der wahrscheinliche Fall, aber man dürfe sich dann nicht abschlachten lassen, hatte Otto Rehhagel schon vor dem Spiel gesagt: Man müsse als Held vom Platz gehen. Die Berliner verließen das Feld wie Trottel – auch weil Rehhagel seinen schlimmsten Fehler aus der ersten Halbzeit einfach noch einmal wiederholte. Zur zweiten Hälfte wechselte er den 21 Jahre alten Alfredo Morales ein, der über die Erfahrung von sechs Bundesligaeinsätzen verfügt, Lell rückte wieder ins Mittelfeld, Morales in die Viererkette. Sein erster Zweikampf mit Ribéry hatte den zweiten Elfmeter für die Münchner zur Folge, den Mario Gomez zum 4:0 verwandelte; eine Viertelstunde später foulte Morales den Franzosen ein zweites Mal, wieder gab es Elfmeter, diesmal durfte Robben wieder: 6:0.
Dazwischen leisteten sich die Berliner eine weitere Peinlichkeit. Nur eine Minute nach dem 0:4 vertändelte Janker den Ball im Mittelfeld, Torhüter Sascha Burchert, der zur Pause für den angeschlagenen Thomas Kraft in die Mannschaft gekommen war, konnte zunächst noch retten, war dann aber gegen den Nachschuss von Toni Kroos machtlos. Auf der Bank verfolgte Otto Rehhagel das Grauen, das er durch seine wirren Personalentscheidungen maßgeblich begünstigt hatte, mit starrem Blick. Vom Zauber des alten Meisters war nichts mehr zu spüren.