Im letzten Bundesliga-Auswärtsspiel der Saison: Hertha BSC zeigt noch einmal Siegeswillen
Nach einem Zwischentief hat sich Hertha BSC wieder berappelt. In Augsburg wurde das am Samstag beim 4:3-Auswärtssieg noch einmal deutlich.
Vedad Ibisevic mag ein bisschen in die Jahre gekommen sein, aber das nimmt der bosnische Stürmer und Kapitän von Hertha BSC recht gelassen. Im Trainingslager hat er einmal grinsend mit seinen grauen Haaren kokettiert, von denen selbst die militärische Kurzhaarfrisur nicht ablenken kann, die Ibisevic seit Jahren trägt. Ein Instinkt ist dem Alterspräsidenten im Berliner Profikader jedoch nie abhanden gekommen: der für gewisse Situationen in einem Fußballspiel.
Am späten Samstagnachmittag etwa - Hertha hatte in einem verrückten Spiel beim FC Augsburg gerade zum dritten Mal ausgeglichen – marschierte Ibisevic voran, wie es von Führungsspielern erwartet wird: er sprintete ins Augsburger Tor, schnappte sich den Ball und trug ihn mit einer Entschlossenheit zum Mittelkreis zurück, dass es im Grunde so kommen musste wie es kam: Hertha gewann dank eines verwandelten Foulelfmeters von Salomon Kalou in der Nachspielzeit noch mit 4:3 und ist vor dem abschließenden Heimspiel gegen Bayer Leverkusen am kommenden Samstag im heimischen Olympiastadion auf einem guten Weg, eine Saison mit Höhen und Tiefen halbwegs ruhig und erfolgreich zu Ende zu bringen.
„Ich wollte vier Punkte aus den letzten beiden Spielen – jetzt haben wir schon drei“, sprach Pal Dardai nach seiner letzten Dienstreise als Profi-Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten. „Respekt an meine Mannschaft und den gesamten Stab“, ergänzte der 43-Jährige, „es ist nicht leicht, ein Team zu motivieren, wenn man nächstes Jahr nicht mehr Chef ist.“
Neben Ibisevics kurzem Ausflug als Ballholer nach dem 3:3 gab es – vor allem in der zweiten Halbzeit – zahlreiche Aktionen, die vom ausgeprägten Siegeswillen der Gäste zeugten. Nach einem nicht gegebenen Foul an Pascal Köpke auf Höhe der Mittelinie blaffte Dardai den Linienrichter und kurz darauf auch den vierten Offiziellen an, als handele es sich um ein Europapokalfinale und nicht um ein vermeintlich belangloses Bundesliga-Spiel am vorletzten Spieltag. Wie die Berliner Bank nach dem siegbringenden 4:3 durch Salomon Kalou geschlossen aufsprang und jubelte, verdeutlichte das kollektive Bestreben der Gäste nach drei Punkten ebenfalls.
Es war der erste Auswärtssieg seit Februar für Hertha
Als der Schlusspfiff ertönt war, fielen sich schließlich Dardai und sein scheidender Co-Trainer Rainer Widmayer um den Hals und ließen alles raus. Auch das sprach Bände: Das über Jahre gepflegte, harmonische Verhältnis zwischen Dardai und Widmayer galt in dieser Saison zwischenzeitlich als belastet, weil die beiden phasenweise eben nicht gemeinsam nach Toren jubelten. Am Samstagnachmittag war all das, waren all die Vorgeschichten vergessen. Aus, Schluss, vorbei. Der Moment zählte – und alle hatten sich lieb. „Wir sind drei Mal in Rückstand geraten – und drei Mal zurückgekommen“, sagte der Torschütze zum zwischenzeitlichen 2:2-Ausgleich, Marko Grujic. „Das spricht für die Mannschaft“, ergänzte der Mittelfeldspieler, „wir wollten unbedingt gewinnen.“
Bis der fünfte Auswärtssieg der laufenden Saison - und der erste seit dem furiosen Auftritt beim 3:0-Sieg in Mönchengladbach Anfang Februar – in den Büchern war, mussten die Beteiligten allerdings reichlich Nerven und Adrenalin lassen. Es sei ein tolles Spiel für die Fans gewesen, befand Matchwinner Salomon Kalou. Der mitgereiste Anhang in Blau-Weiß, der vor dem Anpfiff ein wunderbares Transparent entrollt hatte (Aufschrift: „Hertha BSC – Gesangsabteilung“), wusste diesen Umstand entsprechend zu würdigen. Die Fans des Vereins harrten noch lange nach Abpfiff in ihrem Block aus und feierten das Team; später auf der Heimfahrt im ICE intonierten sie sämtliche Klassiker des Hertha-Liedguts – angefangen beim Europapokal-Song bis hin zur „Alten Dame“. Man musste fast den Eindruck gewinnen, als könnten manche ihr Glück gar nicht fassen. Aus-wärts-sieg!
Dass die Berliner am Samstag auch ein bisschen Glück hatten, war im Anschluss an die Partie konsensfähig. Plötzlich klappten in Augsburg Dinge, die man lange nicht gesehen hatte: So trug sich Marvin Plattenhardt nach zwei Jahren und zwei Monaten ohne Bundesliga-Treffer mal wieder in die Torschützenliste ein; mit dem 1:1-Ausgleich des Außenverteidigers nahm die Begegnung richtig Fahrt auf und kippte. Und auch Pascal Köpke trug seinen Teil zum gelungenen Betriebsausflug bei: der junge Stürmer, vor der Saison vom Zweitligisten Erzgebirge Aue verpflichtet, hatte bis Samstag exakt 50 Einsatzminuten in seiner ersten Bundesliga-Saison gesammelt – ohne ein Tor zu erzielen oder eines vorzubereiten. Ein Treffer war ihm zwar auch diesmal nicht vergönnt – dafür erzwang er jenen Elfmeter, den Kalou zum 4:3-Sieg verwertete. Dass der Pfiff von Schiedsrichter Guido Winkmann ein höchst zweifelhafter war und die Ausgburger zumindest im ersten Moment erzürnte, konnte der Reisegruppe aus Berlin ziemlich egal sein.