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Klatsch und Tratsch. Herthas Sieg gegen die Bayern hat dem Verein bundesweit Beachtung eingebracht. Am Samstag wollen die Berliner in Mainz nachlegen. Foto: Soeren Stache/dpa
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Nach dem Sieg gegen Bayern: Hertha BSC und die Reifeprüfung in Mainz

Teams, die den FC Bayern besiegen, haben im darauffolgenden Spiel oft Probleme. Wie Hertha BSC diesem Phänomen bei Mainz 05 entgegenwirken will.

Das Phänomen des Montagsstücks, eines Produkts minderwertiger Qualität also, ist längst auch außerhalb der Automobilbranche bekannt und überliefert; neuerdings hat es sich sogar auf die Fußball-Bundesliga übertragen. Als Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, zu Wochenbeginn nach dreitägiger Pause den Schenckendorffplatz betrat, hakte es mit der sportlichen Fließbandarbeit jedenfalls an vielen Ecken und Enden. „Die erste Einheit war … wie soll ich das ausdrücken?“, erzählt Dardai. Umgangssprachlich würde man vielleicht sagen: larifari, halbherzig, von Fehlern geprägt, in jedem Fall nicht so, wie sich das der Ungar vorgestellt hatte. Es war gewissermaßen eine Montagseinheit, obwohl sie faktisch am Dienstagnachmittag stattfand. „Aber nach so einem Erlebnis ist das völlig normal“, sagt Dardai, „am Ende war das Niveau ja auch wieder da.“ Mit dem Erlebnis meinte er natürlich den viel beachteten Sieg über den FC Bayern, Herthas ersten gegen den unumstrittenen Branchenführer seit neun Jahren.

Was den Berlinern zum Trainingsstart im Kleinen, also auf dem heimischen Übungsplatz widerfahren ist, wollen sie an diesem Samstag in der Fußball-Arena von Mainz (15.30 Uhr, live bei Sky) unbedingt verhindern: einen temporären Spannungsabfall. „Die Kunst ist nicht, nach zehn Jahren wieder die Bayern zu schlagen. Die Kunst ist, jetzt drei Punkte nachzulegen“, sagt Dardai, „wir sind der Favorit, das müssen wir hinkriegen.“ Wer die Bayern verdient schlägt, wird – bei allem gebotenen Respekt – mit Mainz doch wohl keine Probleme haben, oder?

Wer die Bayern besiegt, hat danach oft Probleme

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass es sich ganz offensichtlich um einen Trugschluss handelt, um einen naheliegenden Gedanken vielleicht, dessen Alltagstauglichkeit jedoch überschaubar ist. Man spricht auch vom „Bayern-Fluch“. Im März hat RB Leipzig einem Erfolg gegen die Münchner ein 3:2 gegen Hannover folgen lassen – die neun Bayern-Bezwinger davor schafften es dagegen nicht, das folgende Spiel zu gewinnen (sieben Niederlagen, zwei Unentschieden).

Wie kann das sein? Warum verstärkt ein überraschender wie überragender Erfolg das Selbstvertrauen nicht weiter, sondern wirkt sich im Regelfall kontraproduktiv aus? Christoph Kittler vom Fachbereich für Sportpsychologie der Humboldt-Universität wählt einen interessanten Vergleich. „Man könnte es mit dem sogenannten Gesetz des DFB-Pokals erklären – nur in einem anderen Kontext“, sagt Kittler. Gerade in den ersten Pokalrunden und gegen unterklassige Gegner gehe es schließlich darum, den Gegner nicht zu unterschätzen. „Nach großen Siegen wie gegen die Bayern ist eher das Gegenteil der Fall: Da muss man aufpassen, dass das Selbstvertrauen nicht zu groß wird und in Überheblickeit umschlägt. Dann fällt schnell die Spannung ab, und es fehlen ein paar Prozent“, sagt Kittler, der neben seinem Job an der Universität auch am Landesstützpunkt in Hohenschönhausen als Nachwuchstrainer tätig ist.

In der Sportpsychologie gibt es einen Fachbegriff dafür: soziales Faulenzen. Er beschreibt den Leistungsabfall des Einzelnen, sobald dieser in einer Gruppe arbeitet. Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, gibt es verschiedene Lösungsansätze: So bietet es sich an, mit einzelnen Spielern individuelle Ziele – etwa eine bestimmte Zweikampfquote – zu vereinbaren. „Auch mit Blick auf Herthas Spiel in Mainz wäre das eventuell eine sinnvolle Maßnahme“, sagt Kittler. „Im Idealfall läuft es dann so, dass sich niemand nur auf die Mannschaft verlässt, die gerade den Deutschen Meister besiegt hat, sondern selbst alles einbringt, was er hat.“

In der Sportpsychologie spricht man von "sozialem Faulenzen"

Falls Herthas Profis darüber hinaus einen Denkanstoß benötigen, sei ihnen ein Blick zurück in die jüngste Vergangenheit empfohlen: In der Saison 2017/18 waren die Berliner die einzige Mannschaft, die nicht gegen die Bayern verlor: Im Hinspiel gab es für die Gäste ein 2:2, im Rückspiel nahmen die Berliner einen Punkt aus München mit; sie mauerten sich zu einem 0:0. Oder wie es Coach Dardai so wunderbar formulierte: „Wir haben den Mannschaftsbus vor unser Tor gefahren.“ Gegen den FSV Mainz 05 aber, damals Abstiegskandidat und am Ende Tabellen-14., holte Hertha in der vergangenen Saison exakt: null Punkte.

„Wir haben jetzt eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass es auch anders geht. Es wird für uns darum gehen, das Spiel so fokussiert anzugehen wie die letzte Aufgabe“, sagt Manager Michael Preetz. „Mainz hat Qualität, ist gerade zu Hause stark. Wir müssen konzentriert sein, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.“

Auch Christoph Kittler ist diesbezüglich optimistisch. Das liegt allerdings vielmehr am Gesamteindruck, den der Sportsychologe in dieser Saison von Hertha BSC gewonnen hat – und nicht an irgendwelchen Statistiken. „Der größte Vorteil, den Hertha BSC für mich als Außenstehenden hat, ist der Umstand, dass Pal Dardai sehr nah dran ist“, sagt Kittler. „Weil seine aktive Karriere noch nicht sehr lang zurückliegt, weiß er, wie man sich als Spieler fühlt.“ Siehe neulich in der Montagseinheit.

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