Zweiter in der Fußball-Bundesliga: Hertha BSC überzeugt jetzt mit spielerischer Leichtigkeit
Vier Spiele, zehn Punkte - nie zuvor ist Hertha BSC so gut in eine Bundesligasaison gestartet. Und jetzt stehen die nächsten Spitzenspiele an.
Fabian Lustenberger ist inzwischen 30 Jahre alt, seit 2007 spielt er für Hertha BSC, er hat mit dem Klub sowohl höchste Höhen als auch tiefste Tiefen erlebt, und trotzdem zeigt er in fortgeschrittenem Fußballeralter keinerlei Anzeichen von Abstumpfung. Der Heimsieg gegen Borussia Mönchengladbach war am Samstagnachmittag schon so gut wie sicher, die Berliner führten mit zwei Toren Vorsprung, die letzte Minute lief, als Lustenberger seinen linken Fuß kurz vor der Torlinie in einen Schuss des Gladbacher Stürmers Alassane Plea hielt und den Ball zur Ecke klärte. Anschließend ballte er seine Hand zur Faust und feierte sich.
Der Eifer bis zur letzten Minute war einer der Gründe, warum die Berliner ihren bisherigen Angstgegner mit 4:2 bezwingen konnten. „Dieses Jahr strebt jeder nach mehr“, sagte Linksverteidiger Marvin Plattenhardt. „Die Jungs sind heiß.“ Aber im Unterschied zu den vergangenen Jahren, in denen Hertha ein stabiler Bundesligist war, aber eben keiner, der die Fantasie anregt, bringt die Mannschaft nun auch eine wertvolle spielerische Note auf den Platz. „Das ist jetzt eine andere Hertha“, sagte Trainer Pal Dardai.
Acht der jüngsten neun Duelle gegen Gladbach hatte Hertha verloren; der einzige Sieg gelang, als die Borussen mehr als eine Halbzeit in Unterzahl spielen mussten. Trotzdem verfielen die Berliner nicht in Angststarre. Im Gegenteil. „Die ganze Woche haben wir darüber geredet, dass wir es spielerisch lösen wollen, nicht kämpferisch“, berichtete Dardai. „Die Jungs haben das durchgezogen.“
Am Dienstag spielt Hertha in Bremen, Freitagabend kommen die Bayern
Aus den ersten vier Spielen der neuen Saison hat Hertha zehn Punkte geholt. „Nicht nur zehn Punkte“, sagte Dardai, „sondern verdiente zehn Punkte.“ Nie zuvor ist der Verein so gut in eine Bundesligasaison gestartet; die Mannschaft ist Tabellenzweiter, weiterhin ungeschlagen und wird nach dem Topspielen gegen Wolfsburg und Gladbach im Idealfall in dieser Woche zwei weitere Spitzenspiele bestreiten: am Dienstag in Bremen (derzeit Vierter) und am Freitag gegen den Tabellenführer Bayern München.
„Es ist schwierig zu sagen, wo das Limit ist“, sagte Kapitän Vedad Ibisevic. „Ich bin kein Experte oder Wissenschaftler.“ Aber man muss weder Experte noch Wissenschaftler sein, um zu erkennen, dass in Berlin gerade etwas passiert. Auch wenn sich das vor zwei Monaten kaum jemand hätte vorstellen können: Hertha BSC ist im Moment eines der aufregendsten Projekte in der Fußball-Bundesliga.
„Die Mischung passt“, sagt Dardai. Da gibt es immer noch die abgezockten Alten Vedad Ibisevic oder Salomon Kalou, die beim Tor zum 3:1 die Gladbacher Defensive ganz alleine aushebelten. Dazu aber gesellen sich mehr und mehr junge Wilde, die nach dem erfolgreichen Saisonstart über ausreichend Selbstbewusstsein verfügen, um immer weiter nach vorne zu spielen. Und ihre Euphorie wirkt ansteckend. „Wenn die jungen Spieler talentiert und fleißig sind, machen die erfahrenen Spieler auch noch mehr“, sagte Dardai, der sich sich am Samstag gegen Gladbach an seine eigene Zeit als Spieler erinnert fühlte, „wo wir den Gegner in der ersten halben Stunde fast auseinander genommen haben und es schon 2:0 oder 3:0 stand. Das war immer Spaß.“
Mit Spaß ist Hertha zuletzt selten in Verbindung gebracht worden
Mit Spaß ist Hertha in den vergangenen Jahren nur selten in Verbindung gebracht worden. Die Mannschaft galt als eher unangenehm zu bespielen, als defensiv stabil, uneingeschränkt diszipliniert – also gewissermaßen als Ebenbild des früheren defensiven Mittelfeldspielers Dardai. Alles schön und gut für einen Verein, der in den vergangenen acht Jahren zweimal abgestiegen ist; aber für mehr, so lautete die Unterstellung, tauge der Ungar als Trainer wohl nicht. Man hat ihn, wie schon als Spieler, auch in dieser Hinsicht unterschätzt. Dass die Mannschaft nun so auftritt, wie sie auftritt, das ist auch sein Werk.
„Dass wir seit drei Jahren stabil sind, haben wir mit Disziplin und harter Arbeit hingekriegt“, sagt Dardai. „Jetzt aber haben wir sogar eine Mannschaft, die man richtig genießen kann.“ Fast unmerklich hat das Team ein neues Gesicht bekommen. „Wir haben die Spieler systematisch ausgetauscht“, erklärt Herthas Trainer. Nachdem es zwischenzeitlich mal so aussah, als sei Schnelligkeit die Schlüsselqualifikation, um einen Job bei den Berlinern zu bekommen, wird jetzt mehr und mehr auf die spielerische Potenz geachtet. Spieler, die davon zu wenig mitbringen, Lukas Klünter oder Alexander Esswein, haben es zunehmend schwerer.
Dardai ging am Sonntag noch einmal seine Aufstellung vom Samstag durch und zählte alle Spieler auf, die in der Lage sind, Tore vorzubereiten. Bis auf den Torhüter und die Innenverteidiger waren es alle. „Wir haben Spieler geholt, die wir bisher nicht hatten“, erklärte er. Javairo Dilrosun zum Beispiel, der in drei Einsätzen in der Bundesliga ein Tor erzielt und drei vorbereitet hat. Oder Mittelfeldspieler Marko Grujic, der trotz seiner jugendlichen 22 Jahre entscheidend zu Herthas stabiler Mitte beiträgt. „Ich habe so etwas noch nie gesagt: Aber Marko ist für uns schon ein Ausnahmespieler“, sagte Dardai. „Dass wir Grujic gekriegt haben, ist nicht normal. Solche Spieler werden Hertha BSC normalerweise nicht angeboten.“
Umso ärgerlicher ist, dass der Serbe nach dem Tritt von Gladbachs Patrick Herrmann auf sein Sprunggelenk jetzt erst einmal mit einem Kapsel- und Bänderriss ausfällt, möglicherweise, so deutete Dardai es an, sogar die komplette Hinrunde. „Seine Verletzung wird nicht eins zu eins zu kompensieren sein“, sagte Herthas Trainer. „Aber wir haben einen guten Kader, gute Jungs, fleißige Jungs.“