Michael Preetz und Bruno Labbadia müssen gehen: Hertha BSC lässt es krachen
Dass bei Hertha BSC vieles schiefläuft, verrät nicht allein die Tabelle. Mit den Möglichkeiten steigt der Anspruch – aber größer wird nur der Spott.
Michael Preetz hatte einen langen Weg vor sich. Er startete an der Höhe der Eckfahne, wo er noch ein Interview für das Aktuelle Sportstudio gegeben hatte. „In jedem schwierigen Moment ist auch die Chance da, es besser zu machen.“ So lauteten seine letzten Worte. Im menschenleeren Olympiastadion liefen bereits die Abbauarbeiten: Werbebanden wurden verpackt, Kabel eingerollt. Endzeitstimmung machte sich breit.
Preetz, der Manager und Sportvorstand von Hertha BSC, begab sich Richtung Ausgang in Höhe der Mittellinie. Er war allein, ging langsam, schlenderte fast. Der Blick ging nach unten. Vermutlich wusste er schon, dass er diesen Weg, in seinem Stadion für längere Zeit zum letzten Mal gehen würde. Zumindest ahnte er es. Michael Preetz wird bei Hertha keine Chance mehr bekommen, es besser zu machen.
Bei Bruno Labbadia war es ähnlich gewesen. Nach dem Schlusspfiff hatte er noch einmal die Ersatzbank abgeschritten, hatte seine Mitarbeiter abgeklatscht, auch Preetz und Sportdirektor Arne Friedrich. Dann blieb er zwischen den beiden Trainerbänken stehen, schien zu überlegen, ob er noch einmal den Rasen betreten und zu seinen Spielern gehen sollte. Er ließ es. Labbadia ging ein paar Schritte Richtung Kabinentrakt, drehte sich noch einmal zum Spielfeld um. Ein letzter Blick. Dann stieg er die Treppen ins Untergeschoss des Olympiastadions hinab. Es war vorbei.
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Wenn Trainer scheitern, so wie Bruno Labbadia bei Hertha BSC gescheitert ist, dann geht das selten geräuschlos ab. Das Volk murrt, das Volk pfeift, das Volk wütet. In Zeiten der Pandemie ist das anders. Die Stadien sind leer, der Resonanzboden für die allgemeine Unzufriedenheit fehlt. Aber selbst unter diesen besonderen Bedingungen hat es Hertha BSC am Samstag, nach der 1:4-Niederlage gegen Werder Bremen in der Fußball-Bundesliga, richtig krachen lassen.
Der Klub, der wieder einmal in großer Gefahr steckt, hat sich nicht nur von Bruno Labbadia, 54, getrennt, sondern in einem Abwasch auch von Michael Preetz, 53. „Das Ergebnis und das Spiel haben uns das ein Stück weit diktiert“, erklärt Carsten Schmidt am Mittag nach der 1:4-Niederlage gegen Werder in einer digitalen Medienrunde. Schmidt ist erst seit Anfang Dezember für Hertha tätig. Er ist als Vorsitzender der Geschäftsführung eingestellt worden, besetzt einen Posten, den es bis dahin de jure nicht gegeben hat bei den Berlinern, den de facto aber Michael Preetz innehatte, der für die Öffentlichkeit über viele Jahre das Gesicht von Hertha BSC gewesen ist.
Schmidt, 57, kommt vom Fernsehsender Sky, dessen Chef er viele Jahre war. Ihm fehlt das, was im Fußball als Stallgeruch bezeichnet wird, eine erfolgreiche Karriere als Spieler, die Insiderkenntnisse aus der Kabine, die Seilschaften aus gemeinsamen Zeiten auf dem Platz. Genau deshalb hat Hertha ihn geholt. Weil Schmidt bei Sky gezeigt hat, dass er ein strategischer Denker ist, weil er Entscheidungen, auch unangenehme, ohne Sentimentalität trifft, im Stall auch mal die Fenster aufreißt, wenn es zu sehr müffelt. Weil er also das Gegenmodell zu Michael Preetz ist, der sich am liebsten mit ehemaligen Mitspielern umgeben hat.
Das Bild, das von Hertha entsteht, ist verheerend
Dass Schmidt so schnell würde stoßlüften müssen, damit war allerdings nicht zu rechnen. Exakt 55 Tage ist er im Amt, als er am Samstagabend für Michael Preetz die Zeit bei Hertha BSC beendet. Nach fast einem Vierteljahrhundert.
Dass bei Hertha vieles nicht gut läuft, ist nicht nur an der Tabelle abzulesen. Es zeigt sich auch im Kleinen. Das Spiel gegen Werder Bremen ist gerade ein paar Minuten zu Ende, da kommt die „Bild“- Zeitung mit der Meldung auf den Markt, dass die Ablösung von Bruno Labbadia beschlossene Sache sei und Pal Dardai, der frühere Cheftrainer, erneut als Helfer in der Not einspringe.
Labbadia steht zu diesem Zeitpunkt auf der herthablauen Tartanbahn im Olympiastadion und wird live vom Fernsehsender Sky interviewt. „Was macht das mit Ihnen?“, fragt der Moderator Herthas Trainer. Oder auch Ex-Trainer. Am Tag danach entschuldigt sich Carsten Schmidt „im Namen des Klubs“ bei Labbadia. „Das war eine Schlechtleistung von Hertha BSC“, sagt er.
Es ist nur ein ganz kleiner Kreis, der schon unmittelbar nach dem Spiel gewusst haben kann, was passieren wird. Die Mitglieder des Präsidiums zum Beispiel zählen nicht dazu. Obwohl das Gremium eine Entscheidung dieser Tragweite billigen muss, werden dessen Mitglieder von Präsident Werner Gegenbauer erst im Detail unterrichtet, als die „Bild“ bereits Tatsachen verkündet hat. Für die Bewertung der Dinge ist es nicht ganz unerheblich, ob das Blatt zuvor gezielt informiert worden ist oder ob es einfach eins und eins zusammengezählt und die richtigen Schlüsse gezogen hat. Das Bild aber, das von Hertha entsteht, ist verheerend. Wieder einmal.
Dass es bei einer weiteren Niederlage gegen Bremen personelle Konsequenzen geben würde, hatte sich schon unter der Woche angedeutet. Die Frage war nicht mehr, ob etwas passieren würde, sondern allenfalls, wen es erwischen würde. Nur Labbadia, der erst im April des vergangenen als Trainer bei Hertha angefangen und die Mannschaft vor dem Abstieg gerettet hat? Oder auch den unverwüstlichen Michael Preetz, der in all den Jahren schon viele Krisen überstanden hat?
Dabei hat das mit Preetz und Hertha richtig hoffnungsvoll begonnen. Im Frühjahr 1996 war das, als Preetz noch gar nicht bei Hertha unter Vertrag stand, sondern mit Wattenscheid gegen Hertha spielte. Kurz vor Schluss vergab er damals eine große Chance, was Hertha den Abstieg aus der Zweiten Liga ersparte. Die Geschichte ist oft erzählt worden, und mit jedem Mal wurde die Chance, die Preetz ausgelassen hatte, noch ein bisschen hundertprozentiger. Nur wenige Wochen nach seinem Fehlschuss wechselte er nach Berlin. Preetz war schon Ende 20 und hatte den Ruf, für die Zweite Liga zu gut zu sein, für die Erste aber nicht gut genug. Doch mit Hertha stieg Preetz gleich im ersten Jahr in die Bundesliga auf, er wurde Torschützenkönig, Herthas Rekordtorschütze und auf seine alten Tage sogar noch Nationalspieler.
Der Stürmer Preetz war bei den Fans beliebt, er galt als klug und eloquent, und als er 2009 nach ausgiebiger Lehrzeit und erfolgreichem Machtkampf gegen Dieter Hoeneß zu Herthas Manager befördert wurde, hofften viele auf einen Neustart in eine erfolgreiche Ära des Vereins. Stattdessen ging es erst einmal tief nach unten. 2010, nach der ersten Saison mit Preetz als sportlich Alleinverantwortlichem, stieg Hertha in die Zweite Liga ab, und 2012, nur ein Jahr nach der umgehenden Rückkehr in die Bundesliga, gleich noch einmal.
Die Kritik an Preetz wurde zuletzt immer größer
Zwei Abstiege in drei Jahren: Eine solche Bilanz überlebt man als Manager normalerweise nicht im Amt. Preetz aber durfte bleiben, weil Werner Gegenbauer, Herthas Präsident, stets seine schützende Hand über ihn hielt. Das erschien einigen Fans so abstrus, dass sie bis heute der irrigen Ansicht sind, Preetz sei mit einer Tochter Gegenbauers verheiratet. Anders als mit familiären Verbindungen können sie sich dessen Nibelungentreue einfach nicht erklären.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Im Oktober ist Gegenbauer, 70, mit lediglich 54 Prozent der Stimmen wiedergewählt worden. Der Präsident ist selbst geschwächt und nicht mehr in der Position, sich unbeirrt gegen die Mehrheitsmeinung zu stemmen. Vielleicht wollte er es auch nicht mehr.
Zuletzt hat sich die Kritik der Fans mehr und mehr auf Preetz fokussiert. Die Mannschaft, für viel Geld verstärkt, tummelt sich weiterhin im Niemandsland der Tabelle. Es geht nicht voran. Im Gegenteil. Inzwischen stellen sie sich bei Hertha sogar auf eine tiefere Verstrickung in den Abstiegskampf ein. „Ich habe keine Angst, aber ich habe Respekt“, sagte Vorstandschef Schmidt über die Situation. „Wir können uns nichts darauf einbilden, dass wir ein Polster haben.“ Im Internet ist vor zwei Wochen eine Online-Petition für Preetz’ Entlassung gestartet worden, am Samstag, vor dem Spiel gegen Bremen, protestierten 250 Anhänger am Olympiastadion gegen den Manager. Solche Initiativen gibt es an fast jedem Bundesligastandort, an dem es nicht läuft. Man kann das aushalten, sofern man seine Vorgesetzten hinter sich weiß.
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Aber auch im Verein hat Michael Preetz an Rückhalt eingebüßt. Seit Ende des vergangenen Jahres stand er intern stärker in der Kritik, und durch die unbefriedigenden Ergebnisse vor und nach Weihnachten hat dieser Prozess noch einmal entscheidend an Dynamik gewonnen. „Die letzten Spiele waren von den Ergebnissen her eine einzige Enttäuschung“, hat Preetz am Samstag gesagt.
Für ihn ist Hertha ein zunehmend komplizierteres Umfeld geworden. Jahrelang musste Preetz aus ziemlich wenig möglichst viel machen, was ihm durchaus gelungen ist. Durch den Einstieg des Investors Lars Windhorst und seiner Tennor-Gruppe aber hat sich die Geschäftsgrundlage verändert. Seit dem Sommer 2019 hat der Investor mehr als ein Viertelmilliarde Euro in den Klub gesteckt. Hertha ist plötzlich reich. Das heißt aber auch, dass die Ansprüche andere sind. Windhorst will Hertha zum „Big City Club“ machen, der auf einer Stufe mit Arsenal, Real Madrid oder Paris Saint-Germain steht.
Aber groß ist nur der Spott, den Hertha auf sich zieht, erst recht wenn derartige Ambitionen freudig in die Öffentlichkeit getragen werden. Die Realität sieht anders aus. Obwohl Preetz voriges Jahr für 110 Millionen Euro neue Spieler verpflichtet hat, ist die Mannschaft keinen Meter vorangekommen. Aktuell steht sie sogar schlechter da als im Januar 2020. Statt sich den Europapokalplätzen anzunähern, auf die der Investor vor der Saison spekuliert hatte, liegt Hertha nur noch zwei Punkte vor der Abstiegszone. Und für diesen Stillstand wird vor allem Michael Preetz verantwortlich gemacht.
Jürgen Klinsmann, der in der vergangenen Saison als Gesandter von Lars Windhorst zwei Monate lang Trainer des Klubs war, hat nach seinem Rücktritt vor allem mit Preetz und Gegenbauer abgerechnet. Ihr oberstes Ziel sei die Bewahrung der bestehenden Zustände, hat er in einer internen Analyse geschrieben. Die Klubführung sei unbeweglich und inkompetent, die Geschäftsleitung mit Preetz an der Spitze „unterer Durchschnitt“.
Natürlich wird nun darüber spekuliert, ob Windhorst die treibende Kraft hinter Preetz’ Entmachtung ist. Aber so war es wohl nicht. In die Entscheidung war er weder eingebunden, noch wurde er um sein Einverständnis gebeten. „Die Tennor Group wurde von mir heute Morgen über die Veränderungen informiert“, sagt Carsten Schmidt am Sonntag. „Einen weiteren Austausch gab es nicht und ist auch nicht geplant.“ Widerspruch des Investors ist allerdings auch nicht zu erwarten.
Windhorsts Einstieg bei Hertha fiel zeitlich mit dem Ende der Amtszeit von Trainer Pal Dardai zusammen, der die Mannschaft über viereinhalb Jahre stabilisiert hatte. Aber Preetz wollte mehr: mutigen Fußball, einen neuen Impuls, mehr Schwung. Vier Trainer haben sich seitdem versuchen dürfen. Keiner hat den Klub entscheidend vorangebracht. Und jetzt soll ausgerechnet Dardai, der seit dem Sommer Herthas U 16 trainiert, bis zum Saisonende bei den Profis einspringen, den Abstieg verhindern und der Führung damit die Zeit geben, den Klub strategisch neu aufzustellen.
„Wir wollen einen Neustart“, erklärt Carsten Schmidt. „Wir gehen das von Grund an.“ Am Dienstag soll der neue Trainer erstmals mit der Mannschaft arbeiten, am Samstag steht dann das Auswärtsspiel bei Eintracht Frankfurt an. „Wir wollen und brauchen Erfolg“, sagt Schmidt. Aber nicht alles läuft wie erhofft. Während Arne Friedrich bis Saisonende die Aufgaben von Michael Preetz übernimmt, gestaltet sich die Suche nach einem Trainer für den Übergang schwierig. Dardai ziert sich wohl noch, den Trainerposten für ein halbes Jahr zu übernehmen. Sollte das so bleiben, wäre das ein echtes Problem für Hertha.
Vielleicht ist es ja so, wie es Michael Preetz am Samstag ausgedrückt hat, als er vor dem Spiel gegen Bremen bei Sky über die schwierige Situation bei Hertha sprach: „Das hindert uns nicht daran, unseren Optimismus zu verlieren.“