Schlussspurt in der Fußball-Bundesliga: Hertha BSC eröffnen sich ungeahnte Perspektiven
Für Hertha BSC ist plötzlich sogar die Europapokal-Teilnahme möglich – allerdings sind die Berliner an den letzten Spieltagen auf fremde Hilfe angewiesen.
Unter den Trainern der Fußball-Bundesliga gibt es eine Art ungeschriebenes Gesetz: Sprich nicht über die Konkurrenz, sofern sie als negatives Beispiel dienlich sein kann. Kommt einfach nicht gut an das Ganze und kann bisweilen ziemlich überheblich und provokant wirken. Am besten kehrt man noch immer vor der eigenen Haustür.
Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, hat am Sonntag diesbezüglich eine Ausnahme gemacht. „Schaut mal nach Köln, was da passiert ist“, sagte der Ungar nach dem 3:0-Erfolg tags zuvor in Frankfurt, „oder nach Freiburg, die auch mal internationale Gedanken hatten.“
Dardais Ausführungen waren gar nicht böse gemeint, im Gegenteil. Sie sollten vielmehr zum Ausdruck bringen, was Berlins führendes Fußball-Unternehmen in dieser Saison erreicht hat. „42 Punkte“, sagte Dardai, „das ist sehr viel für die Doppelbelastung, die hinter uns liegt.“ Auf der Zielgeraden der ersten Europapokalspielzeit seit 2010 eröffnen sich den Berlinern plötzlich ungeahnte Perspektiven: Dank des 3:0-Sieges in Frankfurt liegt rechnerisch sogar wieder die Europa League im Bereich des Möglichen. Vier Punkte sind es nur noch auf Rang sieben, der höchstwahrscheinlich für die direkte Europapokal-Qualifikation genügen würde. Geht da tatsächlich noch was nach oben? Dürfen Herthas Anhänger von Ausflügen an exotische Ziele träumen, von Dienstreisen nach Lemberg, Bilbao oder Östersund?
„Wenn wir das nächste Heimspiel gewinnen, können wir vielleicht über solche Dinge reden, aber im Moment will ich keinen zusätzlichen Druck aufbauen“, sagt Dardai auf die neuen Ambitionen angesprochen. Dafür gibt es auch einen plausiblen Grund: „Wir haben es nicht mehr selbst in der Hand und müssen schon alle Spiele gewinnen – dann klappt es vielleicht“, hat Dardai nachgerechnet.
Die Tendenz stimmt wieder bei Hertha
Auf jeden Fall stimmt die Tendenz bei Hertha. Der Sieg in Frankfurt war der zweite innerhalb einer Woche und hat die Berliner aus dem Gröbsten herausgebracht; seit Samstag ist ihnen der Klassenverbleib nicht mehr zu nehmen. Aber mit solchen Szenarien mussten sich die Verantwortlichen in der Ära Dardai bisher ohnehin nicht beschäftigen, abgesehen von seiner ersten halben Saison, als er das Team im Abstiegskampf übernahm.
„Wir haben jetzt zwei Mal in Folge gewonnen, das macht ja auch was mit den Jungs und gibt ihnen Selbstvertrauen“, sagt Manager Michael Preetz. „Jetzt versuchen wir, den Schwung in die nächsten Wochen mitzunehmen.“ Valentino Lazaro, in Frankfurt einer der fleißigsten und auffälligsten Berliner, äußerte sich ähnlich. „Unser Ziel muss es sein, jedes Spiel zu gewinnen und neun Punkte zu holen. Dann können wir vielleicht nochmal hoffen.“
Lust auf Europa, so scheint es, haben sie jedenfalls bei Hertha BSC – obwohl die Teilnahme am Europapokal auch Unwägbarkeiten birgt. Wie sagte Dardai: Schaut mal nach Köln.
Herthas Trainer hat kürzlich angekündigt, vermehrt auf die Nachwuchskräfte des Vereins setzen zu wollen, sobald die Saison gelaufen ist. Dieses Vorhaben könnte sich nun um einige Tage oder Wochen verzögern. „Ich werde keine Experimente machen“, sagte Dardai am Sonntag. „Wenn ich sehe, wir schaffen es nicht mehr, dann schmeiße ich junge Spieler rein“, kündigte er an, „wir müssen ja schon für das nächste Jahr planen.“ Für den Moment hat Dardai bei allen Spielern Pluspunkte gesammelt, ob jung oder alt. Am Tag nach dem Sieg in Frankfurt gab er trainingsfrei und entließ seine Jungs in den Sonntag.