Serie: Berliner Sportler und ihr Arbeitsplatz (II): Heimat Hockey-Platz
Beim Berliner HC in Zehlendorf wurde Natascha Keller zur Rekordspielerin – jetzt ist sie Co-Trainerin bei Berlins bekanntestem Hockey-Klub.
Auch Sportler haben einen ganz gewöhnlichen Arbeitsplatz. Einen, an den sie jeden Morgen fahren. An dem sie mal Freude und mal Frust erleben. Mit dem sie viel verbinden. Und der das Basislager für ihre Karriere ist. In unserer Serie stellen Berliner Sportler ihre Arbeitsplätze vor.
Draußen ist es kalt und drinnen hängen Meister-Wimpel. Exakt 72, sie bedecken die komplette Rückseite vom Klubheim des Berliner HC, so dass sie in Zehlendorf wohl ein bisschen anbauen müssen, wenn es denn mit dem Erfolgen so weitergeht. Vielleicht wäre da drüben noch ein bisschen Platz, aber da fliegt auch schon die Tür auf und Natascha Keller schiebt ihre Sporttasche in den Raum. Zum Aufwärmen klopft sie die Hände aufeinander, „wird Zeit, dass die Hallensaison beginnt“, und sie sei leider ein bisschen spät dran. Gut, dass der Chef noch nicht da ist, bleibt noch ein bisschen Zeit zum Plaudern über den Berliner HC im Allgemeinen und das Stadion an der Wilskistraße im Besonderen.
Hier ist Natascha Keller groß geworden, als Hockeyspielerin und darüber hinaus, gleich nebenan in der Zinnowald-Grundschule. Wann sie das erste Mal hier war? Hmm, gute Frage, „kann ich mich nicht erinnern, ist aber schon eine Weile her“. An der Wilskistraße hatten sie damals noch einen Rasenplatz, ein Relikt aus vergangenen Zeiten, die Spielerinnen ihrer aktuellen Mannschaft haben ihn nie betreten. Seit gut einem halben Jahr verdingt sich Natascha Keller beim BHC als Co-Trainerin der Frauen-Mannschaft, wobei: Es handelt sich bei den Frauen vor allem um junge Mädchen, die ihre prominente Trainerin in der Klub-Zeitschrift als „unsere Kindheitsheldin“ preisen.
Natascha Keller ist 39 Jahre alt und blickt zurück auf eine Karriere mit 425 Länderspielen, sie war Welt-Hockeyspielerin, Olympiasiegerin und durfte 2012 zur Eröffnungsfeier der Spiele von London die deutsche Fahne ins Olympiastadion tragen. In der Nationalmannschaft war danach Schluss, beim BHC hat sie noch ein Jahr weitergespielt und sich dann mit dem Gewinn der Meisterschaft in der Halle und auf dem Feld verabschiedet. Zwanzig Jahre lang hat sie für den BHC in der Bundesliga gespielt, das erste Mal im Mai 1993 gegen Bad Kreuznach, da war sie noch 15 und hat natürlich gleich ein Tor geschossen, das erste von... noch eine gute Frage. „Wissen Sie, darüber werden leider keine Statistiken geführt.“ Aber da sie gleich in der ersten Saison Bundesliga-Torschützenkönigin wurde, im Lauf der Jahre immer besser wurde und selten verletzt war, dürfte sie schon nah an die Tausend gekommen sein.
Wer könnte schon über den BHC sprechen ohne die Familie Keller zu erwähnen?
Wer über Hockey und Berlin spricht, der spricht über den BHC, und wer könnte schon über den BHC sprechen ohne die Familie Keller? Nataschas Großvater Erwin gewann 1936 bei Olympia in Berlin Silber, da residierte der BHC noch am Hüttenweg. Aber schon ihr Vater Carsten, Olympiasieger 1972 in München, spielte an der Wilskistraße, wie auch ihre Brüder Andreas (Gold 1992 in Barcelona) und Florian (Gold 2008 in Peking). Den Standort hat der BHC nach dem Neubau der Klubanlage im Jahr 1950 nicht mehr verlassen.
Zehlendorf ist hier, wie es das Klischee verlangt. Elegante Villen und hohe Bäume, eher unerwartet öffnet sich die Front zum Ernst-Reuter-Sportfeld, an dessen nordwestlichem Ende der BHC zu Hause ist. Gleich vorn das Klubhaus, Natascha Keller kann sich noch erinnern, „dass es früher anders war“ – stimmt, es hatte nur eine Etage, die zweite kam in den Neunzigerjahren dazu. Und sonst? Kennt sie hier jeden Quadratmeter? „Ganz bestimmt nicht“, sagt sie. „Zwischen den Bäumen sollten wir uns schon als Kinder nicht aufhalten, da kenne mich heute noch nicht so gut aus.“ Aber in ihrem neuen Job als Co-Trainerin hat sie immerhin den Kabinentrakt ein bisschen besser kennengelernt, ein denkmalgeschütztes Gebäude mit dem Reetdach schräg gegenüber vom Klubhaus. „Ich darf jetzt auch in die Männerkabine rein, da wird nämlich das ganze Material aufbewahrt.“ Ein Stück weiter hat sich der BHC einen neuen Athletikraum gebaut, auch den gab es zu Natascha Kellers aktiven Zeiten noch nicht.
Die gravierendste Änderung aber ist das neue Stadion, es wurde vor sechs Jahren eingeweiht und ist eines der schönsten in Berlin nach dem olympischen von 1936, wo einst Opa Erwin im Finale gegen Indien auflief. 1,5 Millionen Euro hat der Bezirk in zwei neue Kunstrasenplätze mit Flutlicht- und Lautsprecheranlage investiert. Den Hauptplatz zieren zu beiden Seiten Tribünen, die hintere ist überdacht, „das ist schon eine schöne Sache, wenn mal Publikum kommt“, sagt Natascha Keller. Hockey findet in Deutschland nur im eingeweihten Kreis statt, ganz anders als etwa in Argentinien, wo die Stadien bei den Gastspielen der Nationalmannschaft immer voll sind und die Volksheldin Luciana Aymar bei Umfragen schon mal vor Lionel Messi landete.
Keller hat die Heimat nur zweimal kurz für Gastspiele in Spanien und Italien verlassen
In Argentinien wäre Natascha Keller ein Star, aber sie hat die Heimat nur zweimal kurz für Gastspiele in Spanien und Italien verlassen, „nach Holland wäre ich auch ganz gern mal gegangen, aber das hat nie gepasst“. Nach dem Rücktritt hat sie sich zweieinhalb Jahre ferngehalten vom Hockey, aber nicht vom BHC. Sie steht der Ü-30-Tennismannschaft als Kapitänin vor und spielt ein bisschen Golf, aber es war schön, als im März der neue Cheftrainer anrief und fragte, ob sie nicht wieder zum Hockey wolle. Da fliegt auch schon die Tür auf und der Chef schiebt seine Sporttasche in den Raum. „Flori!“, ruft Natascha Keller, „was hast du denn mit deinem Vollbart gemacht?“, und zur Antwort lächelt ihr der glattrasierte Bruder ins Gesicht.
Seit einem halben Jahr sind Florian und Natascha Keller das prominenteste Trainergespann der Hockey-Bundesliga. Die Mannschaft ist jung und motiviert, aber der Erfolg lässt noch auf sich warten. Das letzte Spiel der Feldsaison gegen den Tabellenführer Mannheimer HC geht 1:5 verloren und der BHC überwintert auf Platz zehn, fünf Punkte vor einem Abstiegsplatz. „Nicht so gut gelaufen“, sagt Natascha Keller. Höchste Zeit, dass die Hallensaison beginnt.
- Bisher erschienen in unserer Serie "Ein Platz fürs Leben": Wasserspringer Patrick Hausding und die Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark.
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