Das Double ist das Werk des Trainers: Hansi Flick lässt die Bayern fliegen
Von der Zwischenlösung zur Idealbesetzung: Hansi Flick hat beim FC Bayern München bewiesen, wie wichtig der Trainer für den Erfolg der Mannschaft ist.
Hansi Flick stand auf goldenem Grund, als er vor der Haupttribüne – für wen auch immer – die Welle anstimmte. Der Trainer des FC Bayern München verließ das Stadion über einen Teppich aus glänzenden Konfettischnipsel, die von der Siegerehrung übrig geblieben waren. Entspannte Jazzklänge waberten durch die Arena. Aber im Sieger-T-Shirt konterkarierte Flick jeden Anschein von übertriebener Erhabenheit. Am liebsten mag er es bodenständig.
Vermutlich ist das der Grund, warum die Bayern unter ihm zu einem unvergleichlichen Höhenflug angesetzt haben.
In der 120-jährigen Geschichte des Vereins hat es schon einige Phasen gegeben, in denen die Münchner ihrer Konkurrenz weit enteilt waren. 2013 etwa, als die Mannschaft unter Jupp Heynckes das Triple gewann. Oder in den Jahren darauf mit Pep Guardiola, dem besten Trainer des Universums. Das Besondere an der aktuellen Dominanz ist, dass Flick die Mannschaft zu einem Zeitpunkt übernommen hat, als nichts auf eine solche Entwicklung hindeutete. Die Bayern hatten gerade 1:5 bei Eintracht Frankfurt verloren, und noch kurz vor Ende der Hinrunde – nach Niederlagen gegen Bayer Leverkusen und Borussia Mönchengladbach – lagen sie in der Tabelle der Fußball-Bundesliga lediglich auf Platz sieben.
Zu alt, zu satt? Das Team hat das Gegenteil bewiesen
Seitdem aber haben sich die Dinge für die Münchner nur noch in eine Richtung entwickelt: nach oben. Eine Woche nach dem Gewinn der Meisterschaft haben sie am Samstagabend durch den 4:2-Erfolg im DFB-Pokalfinale gegen Bayer Leverkusen die nächste Zwischenetappe auf dem Weg zum Triple erreicht.
Das ist – auch wenn er sich selbst ungern in den Mittelpunkt stellt – in erster Linie das Werk von Hans-Dieter Flick. „Er hat wieder FC-Bayern-liken Fußball spielen lassen“, sagte Karl-Heinz Rummenigge über den Trainer, der im November als Zwischenlösung eingesprungen war und inzwischen als Idealbesetzung gilt. „Er hat die Empathie zurück in die Mannschaft gebracht.“
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Die ersten Monate der Saison, noch unter dem Trainer Niko Kovac, hatten bei der Konkurrenz ja tatsächlich die Hoffnung genährt, dass die Bayern inzwischen vielleicht doch ein bisschen zu alt und nach all den Erfolgen auch ein bisschen zu satt sind. Flick, 55, aber hat gezeigt, was ein Trainer mit ausgeprägter Sach-, Sozial- und Vermittlungskompetenz aus einer alten und vermeintlich satten Mannschaft noch herausholen kann. „Es macht Spaß, wenn du merkst, alle sind hungrig, alle wollen gewinnen und bis ans Limit gehen“, sagte Leon Goretzka, der unter dem neuen Trainer den Sprung vom „Er ist auch dabei“ zum Stamm- und Führungsspieler gemacht hat. „Aktuell sehe ich kein Limit.“
Es waren nicht zuletzt die älteren Spieler, die für den Durchmarsch der Bayern eine wichtige Rolle gespielt haben. Spieler, zu denen Flick durch seine Vergangenheit als Co-Trainer der Nationalmannschaft eine besondere Beziehung hat: Torhüter Manuel Neuer, 34, Jerome Boateng, 31, und Thomas Müller, 30, mit denen Flick 2014 in Rio Weltmeister geworden ist, bilden bei den Bayern wieder eine stabile Achse. Wenn es gut läuft, sind die Spieler auch nicht mehr zu alt. Dann verfügen sie einfach über einen unglaublichen Erfahrungsschatz. „Im richtigen Moment machen die das Spiel tot“, sagte Leverkusens Trainer Peter Bosz über die Bayern. „Da zeigt sich ihre Erfahrung.“
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Noch vor einem Jahr, nach dem Pokalsieg gegen Leipzig, hatte der damalige Präsident Uli Hoeneß Boateng öffentlich einen Vereinswechsel eher be- als empfohlen. Inzwischen ist der Innenverteidiger wieder ein verlässlicher Faktor, an der Seite von David Alaba, den Flick mit großem Mehrwert auf die ungewohnte Position in der Viererkette verschoben hat. Thomas Müller wiederum, der seinen Unmut über die Geringschätzung durch Kovac zeitweise nur schwer unter Kontrolle halten konnte, darf unter Flick wieder seinem Spaß am Spiel frönen – zum Nutzen der gesamten Mannschaft.
Und dann ist da ja auch noch Robert Lewandowski. Der 31 Jahre alte Pole erzielte gegen Leverkusen die beiden finalen Tore der Bayern. Es waren seine Pflichtspieltreffer 50 und 51 in dieser Spielzeit. „Das ist schon eine Hausnummer“, sagte Flick. Lewandowski war in der Saison 2019/20 der beste Torschütze der Bundesliga, er war der beste Torschütze im DFB-Pokal – und auch in der Champions League, die im August zu Ende gespielt werden soll, führt er die Torschützenliste an.
Lewandowski als Weltfußballer?
Dass Flick sich nach dem Finale öffentlich für die Wahl Lewandowskis zum Weltfußballer aussprach, schmeichelt nicht nur dessen Ego. Es belegt auch, dass der Trainer ein Gespür für die Wünsche und Belange seiner Spieler hat. Ähnlich ist es im Fall des spanischen Mittelfeldspielers Thiago, der bei den Bayern nie unumstritten war. Einigen gilt er als Schönwetterspieler, der sich gerade in den wichtigen Momenten wegzuducken pflegt.
Vermutlich wird Thiago den Klub noch in diesem Sommer verlassen. Doch seine Einwechslung gegen Leverkusen Mitte der zweiten Hälfte war keine freundschaftliche Abschiedsgeste des Trainers, sondern Ausdruck einer sportlichen Notwendigkeit. „Er hat die Ballsicherheit, die wir gebraucht haben, wieder ins Spiel gebracht“, erklärte Flick. „Das hat er hervorragend gemacht.“ Dass er einen Weggang des Spaniers sehr bedauern würde, hat er Thiago nach dem Finale noch einmal gesagt. Mit allem, was er habe, werde er sich für dessen Verbleib einsetzen, erklärte Flick. Und ahnt doch, dass seine Bemühungen vergeblich sein werden.
Aber wenn jemand Thiago umstimmen kann, dann vermutlich Hansi Flick. Bei seinen Spielern genießt er höchste Wertschätzung. Spät am Abend nahmen sie ihn im Olympiastadion auf ihre Schulter und ließen ihn in die Luft steigen. „Ich habe nicht gewusst, dass meine Mannschaft so stark ist“, sagte er. „Es ist schön, mal so ein bisschen zu fliegen.“ Zur Pressekonferenz erschien der Trainer der Bayern mit durchnässtem T-Shirt, er roch ein bisschen streng. Ob das Sekt sei, wurde Hansi Flick gefragt. „Eher Champagner“, antwortete er.