Der 1. FC Union Berlin empfängt den VfB Stuttgart: Hannes Wolf: Eine Mischung aus Klopp und Tuchel
Der 1. FC Union empfängt heute den Bundesligaabsteiger VfB Stuttgart. Das Projekt Wiederaufstieg haben die Schwaben dem jungen Trainer Hannes Wolf anvertraut.
Mehmet Scholl ist inzwischen 46 Jahre alt, er hat seine Karriere als Fußballer lange beendet, aber noch immer verfügt er über ein herausragendes Spielverständnis. Er weiß einfach, wie die Dinge laufen. Also hat er vor gut zwei Monaten seinen früheren Mitschüler Hannes Wolf angerufen und ihm klare Instruktionen mit auf den Weg gegeben. Wenn also, wie zu erwarten, die Frage nach dem Laptoptrainer komme, solle er einfach mit folgendem Satz antworten: „Der Mensch ist wichtiger als der Laptop.“
Hannes Wolf hat das so erzählt, als er Ende September beim Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart als neuer Trainer vorgestellt wurde. Von seiner Vita her entspricht er ziemlich genau dem Bild, das Scholl einst mit seiner Kritik an den Laptoptrainern gemalt hat: an den Neunmalklugen, die glauben, den Fußball erfunden zu haben. Wolf ist mit 35 Jahren noch vergleichsweise jung, er kann keinerlei Profierfahrung als Spieler vorweisen, dafür ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Und trotzdem genießt er offenbar die fachliche Anerkennung Scholls, mit dem er gemeinsam den Lehrgang zum Fußballlehrer besucht hat. Weil – siehe oben – der Mensch eben wichtiger ist als der Laptop.
In der Branche wurde Wolfs Arbeit sehr wohl registriert
Es war eine Überraschung, als der VfB den weitgehend unbekannten Wolf zum Nachfolger des zurückgetretenen Jos Luhukay ernannt und einem vermeintlichen Berufsanfänger das Projekt Wiederaufstieg anvertraut hat. Zuvor hatte Wolf nur bei unterklassigen Amateurklubs und seit 2009 in der Nachwuchsabteilung von Borussia Dortmund gearbeitet. Mit der U 17 und der U 19 des BVB war er immerhin drei Mal hintereinander Deutscher Meister geworden. „Er hat den Nachwuchsbereich von Borussia Dortmund in den vergangenen fünf, sechs Jahren mit geprägt“, sagt Jan Schindelmeiser, der Sportvorstand des VfB. „Vor sieben Jahren sah es da nicht so aus wie heute.“
Dem breiten Publikum mag der Name Wolf nicht viel gesagt haben, in der Branche selbst sah das ganz anders aus. Dass da in Dortmund ein außergewöhnliches Trainertalent heranwächst, hatte sich längst herumgesprochen. Auch deshalb sind sie beim VfB froh, dass sie Wolf für ihren Klub gewinnen konnten – ein paar Monate später wäre es vielleicht schon zu spät gewesen. Und bereut haben die Stuttgarter diese Entscheidung bisher nicht, weder menschlich noch fachlich.. „Bei Wolf hat alles Hand und Fuß“, hat Kapitän Christian Gentner der „Stuttgarter Zeitung“ gesagt.
So viel ist in den vergangenen beiden Monaten schon deutlich geworden: Wolf besitzt klare Vorstellungen von seiner Arbeit und der Arbeit seiner Mannschaft, er hat Spaß daran, Spieler individuell voranzubringen und ein Team zu entwickeln. „Uns durchschlängeln oder durchmogeln – das kriegen wir nicht hin“, sagt er. „Und das will ich auch nicht.“ An diesem Sonntag (13.30 Uhr) tritt der VfB als Tabellenzweiter zum Zweitligaspitzenspiel beim 1. FC Union in der Alten Försterei an. Unter Wolf hat die Mannschaft von sechs Ligaspielen vier gewonnen und nur eins verloren, das allerdings mit 0:5 bei Dynamo Dresden recht deftig. Zuletzt gab es drei Siege hintereinander.
„Er hatte das Glück, mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel zwei Trainer zu haben, bei denen er sich Inspiration holen konnte“, sagt Stuttgarts Sportvorstand Schindelmeister. Es war Klopp, dem Wolf die Anstellung beim BVB zu verdanken hat. Sie haben sich bei einer Veranstaltung kennengelernt, bei der Wolf als „Dortmunds Amateurfußballer des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Am Ende des Abends schlug ihm der damalige BVB-Trainer vor, sie sollten mal was zusammen machen. „Da hab’ ich gesagt: Okay.“
Wie Klopp erwartet Wolf von seinen Spielern „Leidenschaft, Geschwindigkeit, Intensität“, er will sie „emotional Fußball spielen“ sehen. Im Grunde aber steckt noch sehr viel mehr Tuchel in ihm. Beide haben eng zusammengearbeitet, nicht nur weil einige von Wolfs Spielern wie Felix Passlack und Christian Pulisic schon regelmäßig bei den Profis trainiert haben. Wenn Wolf Sätze sagt wie „Wir müssen uns in den Prozess stürzen“, klingt das ein bisschen wie bei Tuchel. Und auch in der Trainingsarbeit lassen sich Parallelen erkennen. Beide fordern ihre Spieler, die Übungen sind komplex und intensiv. „Es ist schon anspruchsvoll mit mir“, sagt Wolf selbst.
Auch Tuchel ist in Mainz U-19-Meister geworden und dann zu den Profis befördert worden. Ein solcher Werdegang hat inzwischen nichts Anstößiges mehr. Alter, Erfahrung – all das hält Schindelmeiser nicht für entscheidend. „Ob es jemand nach ganz oben schafft, hängt sehr stark von der Persönlichkeit ab“, sagt er. Ein Trainer brauche natürliche Autorität, Authentizität und ein gewisses Geschick, sich vor den Medien zu behaupten, „diese Voraussetzungen bringt Hannes Wolf alle mit“.