RB Leipzig: Guter Bulle, böser Bulle
RB Leipzig spaltet die Fußballgemeinde. Viele hassen den Klub. Nur zeigt die Geschichte: Wer heute Feindbild ist, kann morgen schon etabliert sein.
Die Feinde sind überall. Sogar am Zentralstadion. Auf einem Plan vor dem Eingang zur Leipziger Arena prangt ein Aufkleber. Das Klublogo von RB Leipzig ist durchgestrichen, daneben steht: „100 % Werbung, 0 % Fußball.“ Das folgende Zweitligaspiel kann das nicht bestätigen. Der Aufsteiger spielt den Gegner Erzgebirge Aue schnell schwindelig. Als schon nach drei Minuten das 1:0 für Leipzig durch Daniel Frahn fällt, erheben sich die meisten der 34.000 Menschen in der schmucken WM-Arena von ihren bunten Sitzen. In der Leipziger Fankurve hüpfen sie. Auch das gesetztere Fußballvolk, Familienpublikum und viele Kinder mit Fanschals, klatscht und johlt. Hier fühlt sich an diesem Freitagabend alles so an, wie in jedem anderen Bundesligastadion. Fast.
Denn so einfach ist es nicht, wenn Rasenballsport und damit eigentlich Red Bull Leipzig spielt. Erst 2009 hat der österreichische Getränkemilliardär Dietrich Mateschitz dem Amateurklub SSV Markranstädt seine Firmeninitialen und den Stadtnamen verpasst. Und seit der Umbenennung klettert Deutschlands jüngster Profifußballklub nun unter dem Juxnamen Rasenballsport Leipzig nach oben. Zuletzt ging es „ab durch die Dritte“, wie der Klub als Motto für die vergangene Saison in der Dritten Liga auslobte. Und es ist nicht die Frage ob, sondern wie kurz die Zweite Liga Heimat für die Sachsen ist. Denn: RB Leipzig funktioniert. Geld schießt Tore. Das ist eine starke Nachricht aus Leipzig an die deutsche Profifußballszene. Und es ist ein Schock für alle Traditionalisten, die gängige Fußballfankultur und ihre romantisierenden Hüter, die oft kaum eine Schnittmenge mit den Ultras haben, sie aber zum Wohlfühlen aus sicherer Entfernung im Stadion sehen und hören wollen.
Die Hüter der Fußballtradition kommen am Freitag aus Aue. Auf manchem Trikot der Gästefans ist zu lesen, dass es den Klub seit 1949 gibt. Damals hieß er allerdings BSG Pneumatik Aue, später spielte er auch mal als SC Wismut Karl-Marx-Stadt in der DDR-Oberliga und nach etlichen Umbenennungen jetzt also als FC Erzgebirge. Natürlich protestieren die 4000 Fans von Erzgebirge im Kommerzstadion „Red Bull Arena“. Es singt sich locker gegen die Leipziger Geldgier, fernab vom eigenen „Sparkassen-Erzgebirgestadion“ in Aue. „Und ihr macht unsern Sport kaputt“ und „Red Bull Schweine“ haben sie im Repertoire. Die Anhänger aus Leipzig retournieren: „Wir sind Schweine, rote Bullenschweine, wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier.“ Die typischen Fanreflexe funktionieren. Später spricht Leipzigs Trainer Alexander Zorniger sogar von „guter Derbystimmung“ – in einem sächsischen Derby ohne Geschichte. An diesem Freitag haben sich beide Mannschaften in Leipzig erstmals in einem Pflichtspiel gegenüber gestanden.
Es ist angesagt, gegen RB Leipzig zu sein
Der Anhang aus Aue hat schon vorher zu erkennen gegeben, dass dieses Derby keine Tradition bekommen soll. Vergangenen Monat hat sich die „Nein zu RB“-Faninitiative formiert, Anhänger von 19 Klubs gehören dazu, darunter auch von Borussia Dortmund. Es ist angesagt, gegen RB zu sein. In München gab es vor dem Gastspiel der Leipziger am zweiten Spieltag einen Protestmarsch von etwa hundert Fans von 1860, Ultras aus Aalen blieben dem Spiel zum Ligaauftakt in Leipzig gleich ganz fern. Die Leipziger Geldsäcke mit ihrem Eintrittsgeld noch praller zu machen, das kam für sie nicht infrage. Mitunter ist der Protest auch originell. So haben Fans des Karlsruher SC etwa eine Demo „Gegen Kommerzialisierung und für das Ehrenamt“ im Zentralstadion angemeldet. Mitunter ist der Protest dämlich. Ein schwedischer Journalist nannte Leipzigs Schwesterklub RB Salzburg als „meistgehassten“ Fußballklub überhaupt in einem Zusammenhang mit Adolf Hitler und Josef Fritzl. Sein Chefredakteur hat sich dafür bei Ralf Rangnick, dem Sportdirektor beider Vereine, entschuldigt.
Das alles ist nicht neu. Aufregung gab es schon vor Jahrzehnten, als Bayer seine Werksklubs aus Uerdingen und Leverkusen an den Start brachte. Allerdings war das nichts im Vergleich zum Wirbel um die TSG Hoffenheim. Und als einst Tennis Borussia Berlin dank der Hilfe eines zweifelhaften Sponsors nach oben wollte, boykottierten Anhänger des Lokalrivalen 1. FC Union das Mommsenstadion und spendeten das Eintrittsgeld ihrem Klub.
Wird sich der Protest gegen RB Leipzig irgendwann aufbrauchen?
Auch im Falle RB ist es möglich, dass sich der Fanprotest irgendwann aufbraucht. Die Vorstellung, dass sich Tradition heute noch von selbst nach oben spielt, ist pure Fußballnostalgie. Daran ist der Ostfußball nach der Wende zu- grunde gegangen und leidet darunter immer noch. Ohne Geld und mit schlechtem Wirtschaften gibt es für viele Vereine nur eine Richtung: nach unten. Hansa Rostock, Energie Cottbus und Dynamo Dresden haben sich zurückentwickelt – auch weil sie nie einen großen Investor hatten wie Mateschitz. Der Österreicher, im Profisport inzwischen breit aufgestellt von Fußball und Formel 1 über den Extremsport bis hin zum Eishockey und nicht immer beliebt, konnte sich für sein Bundesliga-Projekt keinen besseren Standort als Leipzig aussuchen. Hier steht eines der modernsten und gleichzeitig traditionsreichsten Stadien der Republik. Die Stadt strebt seit Jahren nach oben. Hier leben viele sportbegeisterte Menschen, die nicht dabei sein wollen, wenn bei einem unterklassigen Spiel der abgeschmierten Traditionsklubs Lok und Sachsen Leipzig, die Polizeihubschrauber über wenigen Zuschauern, aber vielen gewaltbereiten Menschen kreisen.
Aber die Leipziger Fußballfans haben keine Lobby. Bis jetzt gehört der patzige Tonfall zum guten Ton für die Gegner von RB. Da stand auch Falko Götz vor dem Spiel seiner Mannschaft am Freitag nicht zurück. Angesichts jüngster Leipziger Aktivitäten auf dem Spielermarkt – der Klub stockte mit Ex-Nationalspieler Marvin Compper und Kroatiens WM-Teilnehmer Ante Rebic seinen ohnehin schon üppigen Kader noch mal auf – hatte Götz gestänkert, dass er in der gesamten Saison so viel Geld ausgebe wie RB Leipzig in einer Woche. Nach dem Spiel am Freitag sagte Götz, dass seine Mannschaft zu viel Angst gehabt habe vor dem wohl zu prominenten Gegner, bei dem Compper allerdings nur zu einem Kurzeinsatz kam.
Mit RB Leipzig könnte sich der Verdrängungswettbewerb, der mit Hoffenheim begonnen hat, fortsetzen
Derart wurde vor ein paar Jahren auch gegen Emporkömmling TSG Hoffenheim gewettert. Der Klub schaffte es mit den Millionen von SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp in die Bundesliga und ärgerte dort anfangs sogar die Bayern. Aufmüpfige Aufsteiger, die gleich Klassenbester werden und wackligen Bundesligisten den Stammplatz klauen könnten – die mag keiner. Mit Hoffenheim hat dieser Verdrängungswettbewerb begonnen, Leipzig könnte ihn fortsetzen. Selbst die Bayern wetterten gegen Hoffenheim, ihr Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge fragte sich ob des Zusatzes 1899 im Klubnamen, wo sich die Hoffenheimer denn so lange versteckt hätten. Inzwischen wettert Rummenigge nicht mehr gegen den etablierten Bundesligisten aus Baden, heute ist SAP sogenannter Platin-Sponsor beim FC Bayern. Dafür hat Rummenigge nun etwas gegen RB Leipzig und will, dass die Lizenzierungsregeln des europäischen Verbandes Uefa, das sogenannte Financial Fairplay, auch in der Bundesliga angewandt werden. Grundsätzlich sollten Klubs nicht mehr Geld ausgeben dürfen als sie einnehmen. Durch Financial Fairplay wäre der Einfluss von Dietrich Mateschitz auf RB Leipzig beschränkt. Dann dürfte der Red-Bull-Chef nur maximal 15 Millionen Euro im Jahr investieren, und das Thema würde sich von selbst erledigen.
So schnell erledigt sich das Thema wohl nicht. Am Freitag sind die Leipziger zwar noch weit weg von München, aber sie rücken den Bayern ein Stück näher. RB gewinnt gegen Aue nur 1:0, aber kontrolliert 1:0. Nach drei Spieltagen sind die Leipziger ohne Gegentor und mit sieben Punkten erstmals Tabellenführer – bis zum Sonntag womöglich. Und es gibt auch Menschen in der Fußballbranche, die ihnen das nicht übel nehmen. Klaus Allofs, Manager des VfL Wolfsburg, hat gesagt, dass man jedem Verein eine Chance geben müsse, Tradition zu entwickeln. Das gelte auch für Hoffenheim und RB Leipzig. Kölns Manager Jörg Schmadtke sagte in einem Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“: Er habe den Eindruck, dass sich vor allem Vereine über die Finanzierung von Hoffenheim, Leverkusen, Wolfsburg und Leipzig beschwerten, „die solche Möglichkeiten nicht haben, aber entsprechende Offerten sehr wohl nutzen würden“.
Im Stadion von RB Leipzig wirbt der Klubeigner mit Penetranz
Wenn es im Fußball nur nach Tradition ginge, müsste in den USA die gesamte Fußballliga Major League Soccer (MLS) dichtgemacht werden. Sofort. Und was das Financial Fairplay, was solides transparentes Wirtschaften betrifft: Sind damit alle weltbesten Klubs – etwa aus Spanien, England oder Italien – nach oben gekommen? Vor allem mit viel Geld und mit Sponsoren, die reinreden, präsent sind. Auch die Leipziger Fans zahlen für ihre Lust auf Fußball den Preis an den Sponsor: Im WM-Stadion von 2006 wirbt der Klubeigener mit Penetranz. Es ist schließlich seine „Red Bull Arena“. Als Bandenwerbung, an Verkaufsständen und den unzähligen kleinen Kühlschränken außerhalb der Zuschauerbereiche. Die Energiedosen von Leipzig. Aber: Wer Geld gibt, darf im Schaufenster werben. So ist das im Kapitalismus. Und es gibt noch Klubs in der Bundesliga, von Bremen bis Gelsenkirchen, die tragen Sponsoren auf der Brust, die beim Volke unbeliebter und vor allem umstrittener sind als das süße Prickelwasser aus Salzburg, das in kaum einer gut sortierten Bar fehlt – auch wenn es von einer Firma produziert wird, über deren Politik und in den Sport transportierte Ideale sich Negatives sagen lässt.
Einen prominenten Fan hat RB Leipzig am Freitagabend auf jeden Fall im Stadion. Sami Khedira schaut samt Familie dem jüngeren Bruder auf dem Rasen zu, wie er das Trikot mit den beiden Bullen ohne größere Fehler über den Rasen trägt. Mittelfeldspieler Rani Khedira sagt nach dem Spiel lächelnd, es sei ein schönes Gefühl, Tabellenführer zu sein. Und zum überraschenden Besuch seines älteren Bruders, dem Weltmeister, sagt er: „Natürlich will ich auch mal irgendwann mit ihm zusammenspielen“. Bei Real Madrid oder in Leipzig? Der kleine Bruder lacht und sagt: „Sami ist ja erst 27.“
Ein Weltmeister beim Hassverein? Das wäre der Gipfel für Fußballtraditionalisten. Aus heutiger Sicht. Aber womöglich ist in ein paar Jahren alles anders.