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Hin und weg. Bei der EM ist das Spiel bisher weitestgehend an Mario Götze vorbeigelaufen.
© dpa/Peter Kneffel

Nationalmannschaft: Götze, Gomez und die Neuner-Debatte

Vor dem Turnier schien sie beendet, nach zwei offensivschwachen Auftritten ist sie nun mit voller Wucht zurück: die Neuner-Debatte. Joachim Löw setzt bisher auf Mario Götze.

Oliver Bierhoff hat am Ende den Spielball geschenkt bekommen, wie es üblich ist auf den britischen Inseln, wenn ein Spieler drei Tore erzielt hat. Eine schöne Geste, findet Bierhoff noch heute. Eine, von der er damals freudig überrascht wurde. So viele Hattricks hatte er ja noch nicht erzielt. In der Nationalmannschaft nur diesen einen, im August 1997 gegen Nordirland in Belfast. In der 69. Minute wurde Bierhoff beim Stand von 0:1 eingewechselt, zehn Minuten später stand es 3:1 – durch drei Tore von Bierhoff, alle auf Vorarbeit des ebenfalls kurz zuvor eingewechselten Thomas Häßler. „Mir sind die Tore passiert“, sagt Bierhoff, „ohne dass ich es gemerkt habe.“

Ach! So würde man sich das bei der Europameisterschaft auch wünschen – dass der deutschen Fußball-Nationalmannschaft das mit dem Toreschießen einfach passiert. Stattdessen hat man den Offensivspielern in den Spielen gegen die Ukraine (2:0) und Polen (0:0) die verzweifelte Anstrengung angemerkt, die gequälte Suche nach dem Weg zum Tor. Es fluppt einfach nicht wie damals in Belfast bei Oliver Bierhoff, der noch ein richtiger Mittelstürmer war, wohnhaft im Strafraum, reaktionsschnell und abschlussstark. „Ich würde gerne noch spielen können“, sagt Bierhoff, der seit inzwischen zwölf Jahren als Manager für die Nationalmannschaft arbeitet, „aber ich habe meine Zweifel, ob Joachim Löw mich nominieren würde.“

Auf der Roten Liste der bedrohten Arten

Die Zweifel sind berechtigt. Bierhoff galt selbst in seiner aktiven Zeit als fußballerisch limitiert, auch wenn er es mit seinen Maltafüßen erstaunlich weit gebracht hat. Stürmer wie er stehen im modernen Fußball längst auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Und auch Joachim Löw, der Bundestrainer, sagt: „Ich möchte keinen sturen Mittelstürmer, der nur in der Mitte steht.“ Keinen Bierhoff also. Der Rest des Landes ist sich da allerdings nicht mehr ganz so sicher. Wenn man nach dem Polenspiel eine Umfrage gemacht hätte: Wer soll im nächsten Gruppenspiel gegen Nordirland im Sturm spielen: Mario Götze oder Oliver Bierhoff?, dann hätte sich das Volk vermutlich mit einfacher Mehrheit für Bierhoff ausgesprochen.

Die Kritik an Götze als falscher Neun schwillt langsam an, Bierhoff empfindet sie als „nicht differenziert genug“. Es sei nun mal so, „dass du als Stürmer lange aus dem Spiel raus bist“. Bei der EM ist das Spiel bisher irgendwie über Mario Götze hinweggeflogen. Aber was kann er dafür, wenn seine Kollegen Flanken schlagen, als erwarteten sie im Strafraum Horst Hrubesch oder artverwandte Kopfballungeheuer? „Er füllt eine Rolle sehr gut aus, die nicht auf ihn zugeschnitten ist“, sagt Bierhoff über Götze. „Er versucht, seinen Körper einzusetzen und Räume zu schaffen.“

Zu wenige Laufwege in zu hohem Tempo

Die Frage „Falsche oder echte Neun?“ beschäftigt die Nation nun schon ein paar Jahre, und gerade jetzt vor der EM schien man sich auf die pragmatische Antwort geeinigt zu haben: Kommt drauf an. Auf den Gegner zum Beispiel. Nach zwei Versuchen mit dem zarten Mario Götze anstelle des wuchtigen Mario Gomez in der Spitze droht die Debatte nun aber wieder ins Grundsätzliche abzudriften.

Das Vertrackte ist: Götze spielte gegen Polen bis zu seiner Auswechslung so, dass man sich nach einer echten Neun sehnte. Er gewann gegen die beiden Kanten in der polnischen Innenverteidigung gerade 20 Prozent seiner Zweikämpfe. Gomez wiederum spielte nach seiner Einwechslung so, dass man sich nach einer falschen Neun sehnte. In den 20 Minuten nach seiner Einwechslung kam er auf fünf Ballkontakte und spielte drei Fehlpässe.

Laut Bundestrainer Löw aber hatten die bisherigen Schwierigkeiten seiner Mannschaft in der Offensive nichts damit zu tun, „ob wir mit einer falschen oder einer richtigen Neun spielen. Das Problem war, dass wir zu wenige Spieler in der Box hatten, zu wenige Laufwege in hohem Tempo in den Sechzehner, um dem Gegner irgendwie Stress zu bereiten.“

Die Nordiren sind vermutlich noch ein bisschen stressresistenter, als es die Ukrainer und Polen waren. Mario Götze erwartet am Dienstag im Pariser Prinzenpark „einen Gegner, der sehr, sehr tief steht, die Räume eng macht und versucht, unser Spiel zu zerstören“. Bisweilen verteidigen die Nordiren mit sechs Mann in letzter Linie und bauen davor, in engem Abstand, noch eine zweite Kette auf. „Wenn wir aus dem Halbfeld hohe Bälle in den Strafraum schlagen, spielen wir denen genau in die Karten“, sagt Joachim Löw.

Es sei denn, Oliver Bierhoff wird doch noch reaktiviert.

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