Die Wahlversprechen vom neuen Fifa-Chef: Gianni Infantino: Auf Pump an die Macht
Vor der Wahl stellte der neue Fifa-Präsident Gianni Infantino allen Verbänden üppige Zuschüsse in Aussicht. Doch wer bezahlt die Party am Ende? Europa hat sich vermutlich auf Pump an die Macht zurückgekauft.
- Johannes Nedo
- Dominik Bardow
Die präsidialen Gesten hatte er sehr schnell parat. Als Gianni Infantino am Freitagabend, nach seiner ersten kurzen Pressekonferenz als neuer Fifa-Chef, vom Podium im Zürcher Hallenstadion gehen wollte, rief ihm eine chinesische TV-Journalistin zu, er möge doch bitte auch noch ein paar Worte an ihr Millionenpublikum richten. Infantino beugte sich nach vorne, breitete die Arme weit auseinander und sagte mit einem milden Lächeln, wie sehr er die Fußball-Begeisterung der Chinesen schätze.
Wie man sich perfekt präsentiert, weiß der 45 Jahre alte Schweizer genau. Im Zweifel geht ihm für jeden ein Kompliment über die Lippen – und schon hat er die Menschen für sich gewonnen. Sein erster Arbeitstag am Montag im Fifa-Hauptquartier passt perfekt in diese moderne Marketingstrategie, die dem Fußball-Weltverband zuletzt so abging. Infantino hat zu einem Fußballspiel auf dem Zürichberg geladen, für Mitarbeiter, Journalisten und ehemalige Fußballstars. Und mit Infantino auf dem Feld. Ein Präsident im Trikot statt im Anzug auf der Vip-Tribüne. Das ist mal was Neues.
Dabei steht der bisherige Uefa-Generalsekretär Infantino für die Rückkehr des Establishments. Zum ersten Mal seit 1974 ist wieder ein Vertreter des europäischen Verbands an die Spitze der Fifa gerückt. In dieser Zeit, den vergangenen vier Jahrzehnten, hat sich der Fokus im Weltverband verschoben – weg vom alten Platzhirsch Europa hin zu neuen Märkten in Asien, und hin zu Ländern in Afrika oder Mittelamerika, wo Fußballentwicklung vor allem Aufbauarbeit ist und oft auch Unterschlagungsarbeit. Sein Vorgänger Joseph Blatter war zwar ebenfalls Schweizer, aber regierte eher gegen die Europäer als mit ihnen. Auch das wichtigste Turnier der Fifa, die WM, entfernte sich zuletzt immer mehr. Die WM 2010 fand in Südafrika statt, 2014 in Brasilien und auch die nächsten Turniere 2018 in Russland und 2022 in Katar sind weit weg vom alten Europa. Doch nun verkörpert Infantinos Wahl das Comeback des ersten Fußball-Kontinents.
Erstmals seit 1974 rückt ein Uefa-Mann an die Fifa-Spitze
Das meiste Geld wird seit jeher in Europa verdient, bei den großen Teams, Ligen und Wettbewerben. Und dort kämpft man man seit jeher dagegen, dass die Umverteilungsorganisation Fifa zu viel von dem schönen Geld an den Rest der Welt weiterleitet. Deshalb hatte auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Kandidaten Infantino unterstützt. Nicht nur DFB-Chef Rainer Koch zeigte sich nach dem Wahlsieg „erleichtert, dass Europa Einfluss behält“. Doch ist das wirklich so?
Durch die Reformen, die am Freitag ebenfalls beschlossen wurden, wurde die Rolle des Präsidenten abgewertet, zu einer Art Aufsichtsratsvorsitzenden. Der neue starke Mann in der Geschäftsführung soll der Fifa-Generalsekretär sein, was sich schon daran zeigt, dass er künftig mehr Gehalt bekommt als der Präsident. Infantino hat im Wahlkampf versprochen, für das Amt einen Nichteuropäer vorzuschlagen. Der Kandidat stellte den Verbänden weltweit zudem üppige Zuschüsse in Aussicht. Fünf Millionen Dollar will er an jeden Verband pro Jahr künftig ausschütten – bisher waren es 250 000 Dollar.
Doch wer bezahlt die Party am Ende? Europa hat sich vermutlich auf Pump an die Macht zurückgekauft, wenn Infantino seine Wahlversprechen einlöst. Daran zweifeln aber viele. „Wahlkampf ist etwas anderes als Regieren“, sagten viele Funktionäre. Und doch kann es sein, dass die europäischen Verbände ihren Fans erklären müssen, warum die WM-Turniere künftig auf 40 Mannschaften aufgebläht werden. Oder die Zahl der Teams bleibt gleich, aber die Gewinnbeteiligung der europäischen Verbände und Klubs fällt geringer aus. Selbst über Play-offs zwischen Afrika und Europa um WM-Plätze gibt es Gerüchte.
Mit 18 rückt Gianni Infantino in sein erstes Fußballamt
Es herrscht viel Unsicherheit, was Infantino wirklich vorhat und umsetzen kann. Die beschlossenen Reformen, die neben viel Sinnvollem auch die Forderung nach 40 WM-Teams enthalten, wird er umsetzen müssen. Nicht nur, weil er das versprochen hat. Sondern vor allem, weil das US-Justizministerium die Fifa wie viele Unternehmen alleine durch die Möglichkeit einer Anklage vor sich hertreibt. Gleichzeitig sinken die Einnahmen, die Fifa ist zuletzt 550 Millionen Dollar unter dem Gewinnziel geblieben.
Oft wurde Infantino in den vergangenen Tagen gefragt, wie er seine Wohltaten bezahlen will. Er wolle mit Sponsoren reden, sagte der neue Präsident, und an anderen Stellen sparen. Vor allem aber verwies er stets auf eines: seine Karriere. Der Jurist arbeitete seit dem Jahr 2000 bei der Uefa, seit 2009 war er deren Generalsekretär, die Nummer zwei des Präsidenten Michel Platini – in dieser Zeit verdreifachte sich der Umsatz und der Kontinentalverband verteilte fünfmal so viel Geld an die Verbände. Damit will er zeigen: Ich bin der perfekte Fußball-Manager und ein geborener Funktionär.
Bereits mit elf Jahren organisiert der Sohn italienischer Einwanderer im Wallis Turniere. Mit 18 rückt er in sein erstes Fußballamt, bei seinem Heimatverein in der Nähe des Örtchens Brig, nur zehn Kilometer von Joseph Blatters Heimatstädtchen Visp gelegen. Und Infantino steigt hoch ein: Er wird gleich Vereinspräsident. Die Wahl gegen zwei ältere Konkurrenten gewinnt er schon damals wegen eines großen Versprechens: Er kündigt an, seine Mutter werde jede Woche alle Trikots waschen. Ein begabter Spieler ist er trotz Spielmacherposition nicht. „Ich hatte zwei linke Füße“, beschreibt sich Infantino selbst. So konzentriert er sich früh auf die Funktionärslaufbahn.
Wie gut er sich auf das Vernetzen versteht, ist auch am Freitag beim Fifa-Kongress in Zürich unübersehbar. Während der Wahlgänge ist er ständig im Innenraum des Hallenstadions unterwegs. Er plaudert locker mit tunesischen Delegierten und kurz darauf unterhält er sich mit konzentrierter Miene mit dem Verbandspräsidenten der USA – mit allen wirkt er vertraut. Nach mehr als 15 Jahren bei der Uefa kennt er fast jeden in der Fußballwelt. Bei seinem Wahlkampf, den ihm die Uefa mit einem Budget von 500 000 Euro finanzierte, umrundete er fünfmal die Welt. „Ich kann jetzt Tipps zu jeder Airline geben“, kokettiert er.
94 der 209 Fifa-Verbände haben Gianni Infantino nicht gewählt
Mit solchen Sprüchen gewinnt Infantino, der mit seiner Frau und vier Kindern am Genfer See lebt, seine Zuhörer schnell für sich. Doch bei der Uefa sind auch viele Mitarbeiter nicht unglücklich darüber, dass der Chef nun weiterzieht. Insider beschreiben ihn als Karrieristen, der sich nicht immer moralisch einwandfrei verhalten habe. Der erst dem ehemaligen Präsidenten Lennart Johansson treu ergeben gewesen sein soll und dann Platini – auch wenn er nicht mit allen dessen Initiativen einverstanden gewesen sein soll und sich von ihm etwas gebremst gefühlt habe.
In seine Amtszeit bei der Uefa fällt auch der laxe Umgang des Kontinentalverbands mit Spielmanipulationen in Griechenland und der Türkei. Und die Gerüchte um Korruption bei der Vergabe der EM 2012 an Polen und die Ukraine. Gemeinsam mit Platini hatte Infantino zudem Reformen wie Amtszeitbeschränkungen blockiert. Die Europäer haben nun aber ganz eigene Probleme. Die Uefa muss sich künftig anhören, dass die Fifa nun transparentere Standards hat. Und nach der Sperre von Platini, gegen die der Uefa-Präsident weiter vor Gericht kämpft, braucht der europäische Verband nun auch einen neuen Generalsekretär. Über all diese Fragen will die Uefa am kommenden Freitag in Nyon beraten.
Nach einer Position der neuen europäischen Stärke klingt das nicht gerade. Und eines darf nicht vergessen werden: 94 der 209 Fifa-Verbände haben Infantino nicht gewählt. Vor allem in Afrika und Asien muss der Schweizer als Reisepräsident weiter werben. Auf das unterschwellige Unbehagen, nun könne die Arroganz des besserwisserischen alten Europas wieder überhand nehmen, reagierte Infantino sofort: „Die Fußballwelt ist nicht gespalten. Es war kein Krieg, sondern eine Wahl. Und ich will der Präsident aller sein.“
Folgen Sie der Sportredaktion auf Twitter: