WM 2014: Willmanns Kolumne: Fußball ist für alle da - Fußball ist Freiheit
Unser Kolumnist Frank Willmann ärgert sich über die WM. Über Korruption, Politiker in Fußballstadien und Spieler mit Soldaten. Und trotzdem findet er den Sport wunderschön. Weil er so unberechenbar ist.
Ich erwache aus einem harten Traum. Nichts für Softies. Die beste Nachricht zuerst. Berlins Partiebürgermeister Wowereit fährt schon bald nach Brasilien, um dort ein Bad in der Menge zu genießen. Die Menge soll eine echte, also keine bezahlte Anhäufung von Menschen sein. Was wollte ich nochmal erzählen? Der Traum! Ich war Diktator. Als erste Tat habe ich Joseph Blatter und danach alle anderen bösen Kapitalisten verhaften lassen. Nun standen deren Hausangestellten weinend um meinen Diktatorenschreibtisch und ich wusste nicht mehr aus noch ein. Ich weinte mit ihnen. Und ließ mich verhaften.
Ist dieses erbarmungslose nächtliche Ereignis meine Reaktion auf Frau Merkels Kabinenpredigt? Oder ist unsere Bundeskanzlerin ein aufrechter Fan? Ist ihr Fanverhalten echt, halb echt, wahr, wirklich, PC oder möglicherweise sogar Ultra? Interpretiere ich eventuell zu viel in ihr Handeln? Sie soll ja auch nur ein Mensch sein. Kann sie nicht, wie jeder andere auch, die Toilette zum Kacken benutzen und Fußball live in Brasilien neben FIFA-Bösewicht Blatter gucken? Ist ja keine schlimme Veranstaltung. Kein Whistleblower in der Nähe, nur der Benefiz-Chor der Schmeichler und nicht dieser nervende Menschenrechtetratsch.
Bis 1990 war der Fußball in der Politik tabu
Meine Antwort ist naturgemäß banal und besserwisserisch. Ich mag keine Politiker im Fußballstadion. Es liegt der schale Hauch des Kalküls über ihren Gesten. Bis 1990 war ihnen der Fußball tabu. 1974 hielt es Helmut Schmidt nicht einmal für nötig, die Weltmeisterschaft im eigenen Land zu eröffnen. Willy Brandt soll mit seinem Sohn in den späten Sechzigern privat ein Spiel besucht haben. Dann schob sich Helmut Kohl ins Bild. Machte das Private zum Öffentlichen. Seither müssen wir die BundeskanzlerInnen beim Fußballgucken beobachten.
Die deutschen Nationalspieler Podolski und Özil sind in ihrer Kindheit gern Bobbycar gefahren. Polizei oder Feuerwehr? Daran scheiden sich heute die Geister. Polizei fetzt am meisten. Diese kühne Strenge. Eine Hand am Holster, die andere zum Peacezeichen geformt. I'm sexy an I know it.
Poldi, Özil, die brasilianische Militärpolizei mit echten Wummen. Böse gucken mit richtigen, fetten Teilen in der Hand. Die kinderkopfgroße Löcher in die Leiber der Verbrecher pusten. Wir eklektizistischen Feingeister erinnern uns an die legendären Teletubbies. Diese Erscheinungsform solider Pädagogik kam einst aus dem Mutterland des Fußballs. Ihre klaren Ansagen sendeten die unsichtbaren Götter direkt aus dem Bunker via sprechenden Duschkopf an die Kinder der Welt. Blubberdönsbaba. Das Aus der Teletubbies kam, als amerikanische baptistische Fundis in des Teletubbies Tinky-Winky violetter Körperfarbe eine latente Schwuchtelei erkannten. So hat alles im Leben seine zwei Seiten.
Wasserspritzpistoleros ahoi! Der FIFA-Partner hat immer recht. Als Fußballfan fühle ich zuweilen, dass Coca Cola, MC Donalds und Budweiser mit ihrem reichhaltigen Angebot an gesunden Nahrungsmitteln genau das Richtige für die lieben Kleinen sind! Nachmittags bolzen auffem Platz, danach Cola und Pommes satt hat noch keinem rammdösigen Pfadfinder geschadet. Gemüse und Salat ist für Mädchen! Darauf ein Bud! Fußballer müssen nicht zwangsläufig infantil sein. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den genialen Thomas Müller hinweisen. Dessen Laufwege so unerforschlich sind wie das Eröffnungsdatum des Berliner Flughafens. Auch den geschätzten Herren Kroos und Lahm ist die Playstation nicht Mutti und Vati in einem.
Korrumpel aller Länder, vereinigt euch!
Wer ist uns nicht alles seit Donnerstag 22 Uhr über die Mattscheibe getanzt? Unvergesslich der geradezu revolutionäre Drang des Moderators Opdenhövel, endlich einmal die Wahrheit über die Fifa zu sagen. Auch Beckenbauer hat plötzlich nichts mehr zu verbergen, wer will schon als Gartenzwerg im eigenen Vorgarten stehen! Zwanziger meldet sich aus der Gruft und der DFB scheut sich nicht vor der klaren Aussage, keine Meinung zu den kriminellen Machenschaften der FIFA zu haben! Korrumpel aller Länder, vereinigt euch! Kleiner Scherz: Lasst uns einen neuen Fußballweltverband gründen.
Brasilien verliert fast gegen Mexiko. Holland zaubert Spanien aus. Ronaldo ist der einsamste Fußballer der Welt. Was sagt uns das? Dass unser geliebter Fußball unberechenbar ist. Fußball ist für alle da. Fußball ist Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.
Vorm Brandenburger Tor spielen sich derweil dramatische Szenen ab. Das deutsche Volk greint, zappelt, wehklagt und wünscht sich göttlichen Beistand. Dicke Schminke macht samt Fahnen, Trikots, Girlanden und Liedgut dort den Fan aus. Menschen geraten in Verzweiflung oder Ekstase. Seligkeit ist nah. Gänsehaut zieht sich großflächig über die Körper. Des Fußballs Schönheit. Der eine erlebt das allein in seinen vier Wänden, die andere auf dem Sofa im Stadion des 1. FC Union Berlin. Der nächste vorm Brandenburger Tor. Ich kann glücklicherweise nicht an allen drei Orten gleichzeitig sein. Trotzdem verbindet alle Menschen das Gleiche: Die Liebe zum Spiel.