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Durch und durch pragmatisch. Auf eine Aufarbeitung des enttäuschenden Saisonendes verzichtete Trainer Jens Keller. Er glaubt auch so an einen Lerneffekt.
© dpa

Saisonauftakt in der Zweiten Liga: Für den 1. FC Union Berlin zählt nur der Aufstieg

Der 1. FC Union will in dieser Saison den Aufstieg in die Bundesliga schaffen. Die Voraussetzungen dafür könnten kaum besser sein.

Den Gang zur Mannschaft hat er sich gespart. Nur ein kurzer Wortwechsel mit dem Trainer am Donnerstag, ansonsten hält sich Dirk Zingler in Sachen Ansprache zurück. Ist ohnehin nicht seine Art. Was soll er auch sagen? Dass dies ein entscheidendes Jahr für den 1. FC Union werden könnte? Dass die Ansprüche gestiegen sind? Dass ein erneuter vierter Platz nicht mehr als Erfolg, sondern eher als Enttäuschung wahrgenommen werden würde? Dass alles wissen die Spieler selbst. Sie lesen ja Zeitung, hören Radio oder schauen Fernsehen. Also hat sich der Präsident des Berliner Fußball- Zweitligisten ganz bewusst entschieden, nicht noch zusätzlich Druck aufzubauen und sagt stattdessen nur: „Ich freue mich, dass es endlich losgeht. Wir haben genug trainiert, jetzt spielen wir wieder Fußball.“

Der Spielplan will es, dass Union am Sonnabend in Ingolstadt (13 Uhr) gastiert. Gleich zum Auftakt ein echter Gradmesser, der FC kehrt nach zwei Bundesliga-Jahren zurück in die Zweite Liga und zählen zu den großen Aufstiegsfavoriten. Genau wie der 1. FC Union. Platz vier in der abgelaufenen Saison hat Begehrlichkeiten geweckt. Von der Stammmannschaft ist in Person von Roberto Puncec nur einer gegangen, die Zugänge haben fast alle durchweg Startelfpotential. Auf dem Papier ist Union stärker geworden, die Konkurrenz hat davon Notiz genommen. Zehn der siebzehn anderen Zweitliga-Trainer sehen in Berlin den Topfavoriten. „Die Erwartungshaltung ist deutlich höher, was mich jetzt aber nicht unfassbar nervös macht“, sagt Trainer Jens Keller.

Neuzugang Torrejón soll Union auch durch Krisen führen

Das mag stimmen, aber die Frage ist auch nicht, ob Keller mit der neuen Situation umgehen kann, sondern wie sie seine Spieler verkraften. Daran wird sich entscheiden, in welche Richtung es für den 1. FC Union in diesem Jahr geht. Die Fähigkeit, mit Druck umzugehen, unterscheidet in der Regel gute von sehr guten Fußballmannschaften. Genau das war das Problem der guten Unioner Fußballmannschaft der Saison 2016/17. Im Windschatten der Aufstiegsplätze fühlte sie sich wohl und eilte als Verfolger von Sieg zu Sieg. Solange, bis sie selbst die Spitze erklomm. Anfang April war Union Tabellenführer und plötzlich begann es in den Köpfen der Spieler zu arbeiten. Leichtes wurde über Nacht schwer, Schweres wurde unmöglich. Die Verunsicherung ging soweit, dass Damir Kreilach, der in seiner Karriere zuvor nie ein Eigentor erzielte, plötzlich zwei solcher Missgeschicke innerhalb von sieben Tagen unterliefen. Spieler wie Felix Kroos oder Sebastian Polter, die eigentlich die anderen führen sollten, bedurften selbst einer helfenden Hand. Nichts ging mehr und Union verspielte in nur vier Wochen den möglichen ersten Aufstieg in die Bundesliga. „Vielleicht war die Mannschaft mit der Situation überfordert. Auf einmal stand sie im Fokus, was sie so nicht gewohnt war“, sagt Trainer Keller heute.

Keller ist ein pragmatisch veranlagter Mensch, Gutes wie Schlechtes spricht er kurz an, aber dann geht es auch schon weiter. Immer weiter, ganz nach vorn, so wie Nina Hagen in der Klubhymne singt. Keller hat diese Zeile verinnerlicht. Groß aufgearbeitet wurden die Ereignisse aus dem Frühjahr nicht, heißt es aus der Mannschaft. Keller glaubt auch so an einen Lerneffekt. „Das alles war eine neue Erfahrung für uns, und Erfahrung kann man nicht lernen. Deswegen war die Saison sehr wichtig für uns“, sagt er.

Gefühlt war es lange nicht so leicht aufzusteigen wie in dieser Saison

Überraschend war es dann trotzdem, dass Unions Kaderplaner im Sommer wieder fast ausschließlich Spieler holten, die über verhältnismäßig wenig Erfahrung in der Zweiten Liga und erst recht im Aufstiegskampf verfügen. Einzige Ausnahme ist Marc Torrejón, ein 31 Jahre alter Abwehrhüne, der mit dem SC Freiburg bereits aufgestiegen ist und der auch schon in der Bundesliga gespielt hat. Sogar ein Europapokal-Finale kann der Spanier vorweisen. „Mit ihm haben wir jemanden, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann“, sagt Keller und natürlich schwingt bei Unions Trainer die Hoffnung mit, dass sich Torrejón als derjenige erweist, der die Mannschaft auch durch Krisen führt. Vielleicht würden die Berliner schon jetzt in der Bundesliga spielen, wenn sie einen wie ihn im April gehabt hätten. Torrejóns alter Arbeitgeber war mit ihm vor zwei Jahren souverän durch die Zweite Liga marschiert. Im Gleichschritt folgte RB Leipzig. Klubs, mit denen sich Union aus verschiedenen Gründen da noch nicht messen konnte und es im Fall von Leipzig bis heute nicht kann. Macht nichts, hieß es damals. Die spielen eben in einer anderen Liga. Letztes Jahr waren es dann Stuttgart und Hannover, die beiden Absteiger, deren wirtschaftliche Wucht das Kräftemessen am Ende entschied. Machte wieder nichts, auch wenn es knapp war, sagten sie sich beim 1. FC Union.

In dieser Saison ist kein solcher Verein dabei. Und natürlich ändert auch das die Außenwahrnehmung. Immer öfter hören die Spieler im Gespräch mit Fans den Satz: „Na, aber dieses Jahr packen wir es.“ Wäre ja auch wichtig für den Klub. Union erweitert sein Stadion demnächst auf 37 000 Zuschauer. Ein Fassungsvermögen, das dauerhaft nur mit Bundesliga-Fußball zu füllen sein dürfte. Wer weiß schon, ob es den HSV in naher Zukunft doch nicht mal erwischt mit einem Abstieg oder Werder Bremen. Gefühlt war es lange nicht so leicht aufzusteigen wie in dieser Saison.

„Der Fakt, dass die beiden Absteiger Ingolstadt und Darmstadt nicht die klangvollsten Namen haben, hat einige Vereine dazu bewegt, sich richtig gut zu verstärken. Die Zahl der Mannschaften, die dauerhaft oben bleiben können, ist groß“, sagt Dresdens Trainer Uwe Neuhaus. Die beiden Kontrahenten zum Saisonauftakt am Freitagabend, Bochum verlor 0:1 gegen St. Pauli, rechnen sich was aus. Düsseldorf und Braunschweig ebenso. Ganz vorn könnte sich Neuhaus aber seinen alten Klub vorstellen. Was Stuttgart und Hannover im vergangenen Jahr waren, ist aus Sicht der anderen nun der 1. FC Union.

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