Europameister in Berlins vierter Liga: Früher mit Götze, heute gegen Altglienicke
Der frühere Junioren-Nationalspieler Abu Bakarr Kargbo gewann in der U-17 die Europameisterschaft. Nun wagt er bei Viktoria 89 einen Neustart.
Es war ein mitreißendes Spiel: Deutschland gegen die Niederlande, Finale der U-17-Europameisterschaft 2009. Mit 1:1 ging es in die Verlängerung – und in der 97. Minute gelang Florian Trinks der Siegtreffer für die Deutschen. So wurde auch Abu Bakarr Kargbo zum Europameister. Die Aussichten auf eine erfolgreiche Karriere waren groß. Der damals 16-Jährige von Hertha BSC gehörte zu einem vielversprechenden Jahrgang – schließlich waren seine Teamkollegen beim EM-Sieg Mario Götze, Skhodran Mustafi und Marc André ter Stegen. „Das war eine aufregende Zeit“, sagt Kargbo.
Verletzungen als Grund für den verpassten Sprung
Mittlerweile geht es in seinem Fußballer-Leben nicht mehr so aufregend zu. Der Stürmer, nun 24 Jahre alt, spielt seit dieser Saison für den FC Viktoria 89 in der Regionalliga Nordost. Vierte Liga statt Nationalmannschaft. Und zu den alten Mitspielern von Götze bis ter Stegen hat er keinen Kontakt mehr.
In den vergangenen acht Jahren ist bei Kargbo, der in Sierra Leone geboren wurde und 2001 nach Berlin geflohen war, wenig so gelaufen, wie er es erhofft hatte. Bei Hertha gehörte er bis 2012 zum Profikader, doch dann lehnte er ein für die zweite Liga angepasstes Vertragsangebot ab und wechselte im Januar 2013 zur zweiten Mannschaft von Bayer Leverkusen. Auch dort blieb er nicht lange, ein halbes Jahr später ging er zum österreichischen Zweitligisten Austria Lustenau. Kargbo tourte weiter, zuletzt spielte er beim SV Rödinghausen in der Regionalliga West.
Die vielen Wechsel haben für ihn vor allem einen Grund: „Ich hatte in den vergangenen Jahren immer wieder mit mittelschweren Verletzungen zu kämpfen“, sagt Kargbo. Darin sieht er auch die Hauptursache für die verpasste Bundesligakarriere.
Neustart, der sich sehen lässt
Nun wagt er einen Neustart in Berlin. Hier wohnen noch immer seine Eltern, hier verbrachte er seine Reha, nachdem er sich in der vergangenen Saison eine Knieverletzung zugezogen hatte. Bei Viktoria ist Kargbo Stammspieler und einer der Leistungsträger. In den bisherigen elf Ligaspielen schoss er bereits acht Tore, damit ist er in der Torjägerliste der Regionalliga-Nordost geteilter Dritter, mit Will Siakam (Fürstenwalde). Mehr Treffer haben nur Streli Mamba von Energie Cottbus und Rufat Dadashov vom BFC Dynamo erzielt (jeweils zehn).
„Was Bakarr auszeichnet, ist seine Qualität im Abschluss, seine Konzentration und seine Handlungsschnelligkeit. Deshalb haben wir ihn geholt. Er hat unser Vertrauen“, sagt Viktorias Sportvorstand Rocco Teichmann. Kargbo sei ein „kompletter Stürmer, der auch in den vergangenen Jahren – egal bei welchem Verein – immer seine Tore gemacht hat.“
Profifußball ade?
Bei Viktoria hat sich Kargbo schnell bestens zurechtgefunden, obwohl er die komplette Vorbereitung verpasste. Den guten Einstand führt er vor allem auf seine Mitspieler zurück, „ohne die ich keine Tore schießen würde“, sagt er zurückhaltend. Ob er über diese Saison hinaus noch viertklassig spielen will, darüber denkt Kargbo derzeit nicht nach: „Sonst mache ich mir nur zu viel Druck.“ Er sei erstmal froh, dass er „wieder verletzungsfrei spielen“ könne. Ganz wegschieben möchte er den Traum vom Profifußball aber noch nicht: „Ich weiß nicht, was nach der Saison passiert. Ob ich vielleicht eine oder zwei Ligen höher spiele, oder einfach in der Regionalliga bleibe, kann ich nicht sagen.“
Ein Aufstieg mit Viktoria in dieser Saison ist nicht mehr möglich. Zu sehr dominiert Tabellenführer Cottbus die Liga. Und Viktoria belegt derzeit nur Platz zehn. Dazu kommt die mehr als ernüchternde Vorstellung gegen Aufsteiger Altglienicke vorigen Sonntag (0:0). Zu wenig für die Ansprüche des Klubs, der in der vorigen Saison Vierter war. Jetzt gilt es für Viktoria, wieder in die Spur zu finden. Kargbo, der in den letzten vier Spielen nicht traf, wird in den nächsten Partien Verantwortung übernehmen müssen.
Maurice Buley