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Ringen – für Spiele in Berlin oder Hamburg. Michael Vesper will den Bürgern die Ängste nehmen, dass die Spiele sie etwas kosten.
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DOSB-Chef Michael Vesper: "Finanzieller Ruin durch Olympische Spiele? Das Gegenteil ist der Fall"

Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des DOSB, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Olympische Spiele in Deutschland, Lehren aus London und Reformpläne des IOC.

Herr Vesper, als Minister in Nordrhein-Westfalen haben Sie es mit Düsseldorf nicht mal in die Endrunde der deutschen Olympiabewerber geschafft, als DOSB-Verantwortlicher haben Sie zweimal mit München verloren. Befeuert das jetzt Ihren Ehrgeiz?

Sie wissen doch, im Sport kann man verlieren. Wichtig ist, danach wieder aufzustehen. Aber Spaß beiseite.

Floskel beiseite, wollten Sie wohl sagen.

Das auch. Es ist nach 1972 an der Zeit, dass Deutschland wieder einmal Olympische Spiele ausrichten darf.

Sagen Ihnen das auch IOC-Mitglieder?

Definitiv. Wir sind nach der bitteren Niederlage im Jahr 2011 für Winterspiele 2018 in München immer wieder darauf angesprochen worden, dass man einer deutschen Bewerbung mit großer Sympathie entgegen sehen würde. Aber man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass einem der Erfolg auf dem Silbertablett serviert würde. Gerade eine Bewerbung um Sommerspiele ist heftig umstritten und hat harte Konkurrenz, ob das Paris ist, Rom, eine US-amerikanische Stadt oder ein Bewerber aus Südafrika.

Dennoch erscheint es schwerer, die eigene Bevölkerung zu überzeugen als das IOC.

Naja, schauen Sie: Die Umfragen spiegeln stabile ungefähre Zweidrittelmehrheiten für Olympische Spiele in Deutschland wider. Das Problem ist immer die Zustimmung vor Ort. Und wenn Sie sehen, dass in München bei einer Wahlbeteiligung von 29 Prozent 48 Prozent dafür und 52 Prozent dagegen waren, heißt das: 15 Prozent aller Wahlberechtigten haben es letztlich entschieden, weil sie als Gegner zur Abstimmung gegangen sind. Es ist eben auch ein Mobilisierungsproblem. Ich weiß noch aus meiner politischen Zeit, dass es immer leichter ist, gegen etwas zu mobilisieren als dafür. Damit müssen wir uns beschäftigen.

Der Sport muss seine Kampagnenfähigkeit beweisen?

Das ist das eine. Zum anderen ist es wichtig, dass die Bürger bei der Abstimmung über die nötigen Informationen verfügen. Es muss klar sein: Wo steht das olympische Dorf, welche Investitionen sind geplant, was kostet die Veranstaltung, wie viel gibt das IOC dazu? Sonst ist es eine rein emotionale Entscheidung, die stärker von der Fifa-Entscheidung für Katar beeinflusst wird als durch die Fakten der Olympischen Spiele.

War das mit dem olympischen Dorf jetzt ein Seitenhieb gegen Berlin, weil noch nicht feststeht, wann der Flughafen Tegel geschlossen wird?

Nein, so war das nicht gemeint. Die Berliner haben uns versichert, dass 2017 die Fläche planerisch zur Verfügung steht.

Die Vorentscheidung zwischen Berlin und Hamburg fällt durch eine Meinungsumfrage im Februar. Beraten Sie die Berliner und Hamburger dabei, um bei dieser Umfrage gut abzuschneiden?

Es ist jetzt erstmal Sache der Städte, ihre Einwohner davon zu überzeugen, dass die Spiele der Stadt und ihren Bürgern etwas bringen. Da war das Ergebnis aus dem September ja gar nicht so schlecht. Ohne große Vorbereitung und inhaltliche Diskussion ist rausgekommen, dass in Hamburg 53 Prozent für die Spiele in ihrer Stadt sind, in Berlin war es ungefähr pari. Das ist in solch einem frühen Stadium, in dem zudem kontroverse Themen diskutiert wurden wie Katar und Sotschi, nicht übel.

Katar und Sotschi haben die Stimmung negativ beeinflusst. Warum ist es nicht gelungen, die Sommerspiele von London als gutes Beispiel zu vermitteln?

In der Zeit nach London war die Stimmung ungeheuer positiv, doch die Leute erinnern sich eben eher an die jüngsten und negativen Ereignisse. Aber Sie haben Recht: Die beteiligten Städte und wir vom DOSB müssen stärker in den Vordergrund stellen, was die Spiele in London alles bewirkt und ausgelöst haben und was die Spiele in Vancouver geschafft haben. Wenn man heute diskutiert, hat man manchmal den Eindruck, Olympische Spiele würden nur noch in Diktaturen stattfinden. Wir haben in den letzten vier Jahren zwei wunderbar gelungene Spiele in Kanada und Großbritannien gehabt. Und noch nie sind Olympische Winterspiele auf den verschiedenen Medienkanälen so stark verfolgt worden wie in Sotschi. Auch da hat die politische Diskussion also nicht dafür gesorgt, dass das Ereignis selbst abgelehnt worden wäre.

Also werden Olympische und Paralympische Spiele eher mit den Nebenwirkungen eines Großprojekts als mit den Chancen des Sports in Verbindung gebracht.

Wenn es um die Spiele vor der eigenen Haustür geht, ja. Dem kann man nicht nur mit rationalen Argumenten begegnen, sondern muss auch an emotionale Highlights erinnern, die die Spiele in London oder die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land gebracht haben. Man muss vor allem die Ängste nehmen, dass die Spiele die Stadt finanziell ruinieren. Das Gegenteil ist der Fall.

Warum?

Weil die Durchführungskosten der Spiele durch Zuschüsse des IOC, Vermarktung und Eintrittskarten gegenfinanziert werden und weil sich die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur, wenn man es klug macht, nachhaltig rechnen und die Stadt voranbringen. So wie sie München 1972 vorangebracht haben, so wie es in London 2012 der Fall war, wo sie einen maroden Stadtteil zurück in die Stadt geholt und den Menschen Naherholungsgebiete, jede Menge Sportstätten, eine neue U-Bahn-Linie etc. beschert haben.

Michael Vesper, 62, ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Vor 2006 war Vesper, Mitbegründer der Grünen im Jahr 1979, als Politiker aktiv.
Michael Vesper, 62, ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Vor 2006 war Vesper, Mitbegründer der Grünen im Jahr 1979, als Politiker aktiv.
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Ist das Problem einer Olympiabewerbung heute eher die Skepsis gegenüber Großprojekten als der offensive Widerstand?

Das ist natürlich ein Großprojekt. Und Olympische Spiele zu organisieren, ist in der Tat eine riesige Herausforderung. Aber wir sind doch in Deutschland in der Lage, so etwas auch finanziell nachhaltig zu organisieren. Das kann aber nur gelingen, wenn man es transparent tut, alles veröffentlicht, was wichtig ist, indem man Argumente liefert und Ängste nimmt.

Wie wollen Sie diese Ängste nehmen?

Wenn du in sieben Jahren die Spiele im eigenen Land hast, streichst du keine dritte Schulsportstunde, dann lässt du keine Schwimmhallen verfallen, dann hast du auch den Ehrgeiz, den Breitensport voranzubringen, weil das alles zusammengehört. Großbritannien hat 1996 bei Olympia in Atlanta eine Goldmedaille gewonnen. In London 2012 waren es 29. Als London 2005 den Zuschlag erhielt, trieben 13,9 Millionen Briten mindestens einmal pro Woche Sport, im Juli 2013 waren es 1,4 Millionen mehr. Das und vieles mehr können Olympische Spiele im Leistungssport und im Breitensport bewirken.

Skeptiker sagen: Warum brauche ich Olympische Spiele, wenn die Turnhalle um die Ecke marode ist?

Die Sporthalle wird doch nicht dadurch saniert, dass sich Berlin nicht um Olympische Spiele bewirbt. Im Gegenteil, wenn sich Berlin bewirbt, dann hat es den Ehrgeiz, und zwar mit allen zusammen, Berlin als eine sportfreundliche Stadt zu präsentieren. Dann stören genau solche Turnhallen das Bild. Und die Chance, eine solche Turnhalle saniert zu bekommen, ist erheblich größer in einer Bewerberstadt um Olympische Spiele.

Wie bewerten Sie denn den sogenannten Reformkongress des IOC in Monaco?

Das war beeindruckend. Präsident Thomas Bach ist dem Leitspruch gefolgt: Die gravierendsten Änderungen sollst du gleich am Anfang deiner Amtszeit einleiten. Er hat es in einer Rekordzeit geschafft. Das in einem Dreivierteljahr durchzubekommen, war eine Meisterleistung.

Der erste Praxisfall der Reformen ist schon gescheitert. Südkorea beharrt auf einer eigenen Bobbahn für die Spiele 2018, die danach kaum gebraucht wird, anstatt auf eine im Ausland zurückzugreifen.

Das sehe ich anders, denn die Koreaner hatten den Bau zugesagt. Das war Teil ihres Bewerbungskonzeptes, mit dem sie sich gegen München 2018 durchgesetzt hatten. Es ist ihre eigene Entscheidung. Die Bobfahrer, Rodler und Skeletonis 1000 Kilometer bis nach Japan zu fliegen, wäre auch nur eine Notlösung gewesen.

Aber eine nachhaltige Notlösung.

Schon, aber man muss Ursache und Wirkung sehen. Die Ursache war die Vergabe der Spiele nach Pyeongchang, und die stand unter dem Versprechen, ein neues Wintersportzentrum in die Berge zu setzen, daran wollen die Südkoreaner nun festhalten. Diese Entscheidung sollten wir akzeptieren.

Ist denn durch die sogenannte Reformagenda des IOC die Chance auf die Spiele für eine Nicht-Megacity größer geworden?

Es ist vor allem die Chance größer geworden, in demokratisch verfassten Staaten die Zustimmung der Bevölkerung zu bekommen. Dieses Reformpaket hilft dabei, die Spiele transparenter, flexibler, nachhaltiger und auch kostengünstiger zu veranstalten als bislang. Das ist auch der Mut zu einer gewissen Bescheidenheit.

Nochmal: Kommt das alles denn einer Nicht-Megacity zugute?

Ich denke schon.

Aber die letzten und die nächsten Ausrichter sind alle Megacitys, Athen, Peking, London, Rio, Tokio.

Es hat auch Gegenbeispiele gegeben wie Barcelona. Sydney ist im Kern auch eine kleine Stadt. Wir sind überzeugt, dass weder Hamburg noch Berlin Probleme haben, die technische Hürde zu überspringen, woran Leipzig einst gescheitert ist. Das war natürlich eine Blamage: Als deutsches NOK mit einer Bewerbung an den Start zu gehen, die die technischen Voraussetzungen nicht erfüllt.

In Berlin gab es zuletzt viel politisches Durcheinander, verzweifeln Sie da an den politischen Entscheidungsträgern?

Nein, sowohl in Berlin als auch in Hamburg haben sich die jeweiligen Regierungsparteien eindeutig hinter das Projekt gestellt und auch Teile der Opposition.

Das Risiko des Scheiterns einer Olympiabewerbung an der Bevölkerung ist da. Wie viel Energie und Aufwand stecken Sie trotzdem in die Olympiabewerbung?

Wir haben jetzt eine eigene Vorstandsposition Olympiabewerbung geschaffen. Das ist für uns das wichtigste Projekt 2015.

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