Frankreichs Fußball sucht das Volk: EM auf Bewährung
Es ist viel kaputtgegangen in den Tagen der WM 2010 in Südafrika. Trainer Didier Deschamps soll dieser Tage seine Mannschaft und die französische Nation wieder einen.
Didier Deschamps ist ganz froh, dass er mal über Systemfragen reden kann. Über 4-3-3 oder 4-2-3-1, es ist noch nicht ganz sicher, wofür er sich entscheidet im zweiten Vorrundenspiel der französischen Nationalmannschaft am Mittwoch in Marseille gegen Albanien. Vielleicht spielt diesmal Manchester Uniteds Anthony Martial, vielleicht auch Bayern Münchens Kingsley Coman. Da lächelt der kleine Mann mit dem früh ergrauten Haar und sagt, „dass ich nicht nur elf Spieler habe, ich verwalte Personal“. Über Albanien redet er übrigens nicht so gern, nach den Erfahrungen aus zwei Spielen in den Jahren 2014 und 2015, einer Niederlage und einem Unentschieden, was den Albanern den Status eines französischen Angstgegners eingebracht hat. Und so überhaupt nicht reden mag Deschamps über den politisch-kulturellen Hintergrund seiner Aufgabe. Aber dieses Aufgabenfeld prägt seine Arbeit, seitdem er sie im Juli 2012 angetreten hat.
Didier Deschamps, der Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1998, ist auch eine Art Integrationsbeauftragter. Er muss richten, was die Generation zwischen dem WM-Team von 1998 und dem aktuellen Aufgebot zu verantworten hat, nämlich die Entfremdung zwischen Nation und Nationalmannschaft. „Wir brauchen das Publikum“, sagt Deschamps. „Ohne die Unterstützung der Franzosen kann diese EM kein Fußballfest werden.“
Als die von Didier Deschamps angeführte Mannschaft 1998 in Paris die Weltmeisterschaft gewann, fühlte sich die Grande Nation endlich wieder groß, aber wer weiß das schon noch? Der Sport der Herzen ist „le foot“ längst nicht mehr, das ist einigermaßen unumstritten Rugby, auch wenn es da nie zu einem Weltmeistertitel reichen wird. Aber Rugby steht für alles, was die Franzosen den Fußball spielenden Millionären absprechen, für Bodenständigkeit, Stolz und Anstand.
In den wenigsten Pariser Bistros werden die Spiele übertragen
Es ist viel kaputtgegangen in den Tagen der WM 2010 in Südafrika, als die Franzosen sich vor den Augen der Welt blamiert fühlten von einer Mannschaft, die gegen ihren Trainer streikte und sich in der Diktion von Gangster-Rappern der Öffentlichkeit mitteilte. Frankreich hat den Fußball damals verstoßen, und der Fußball tut sich schwer mit der Rehabilitierung. Die Zuschauerzahlen in der Liga sind bescheiden, ein echter Wettbewerb wird erstickt von dem sportlich und finanziell konkurrenzlos operierenden Unternehmen Paris Saint-Germain. PSG aber wird weniger als französisches Projekt empfunden denn als ein aus Katar finanziertes. Darunter leidet die Attraktivität der Liga, auch und gerade bei den Franzosen.
PSG schmückt sich mit Stars aus der ganzen Welt, aber für die einheimischen Granden ist die Ligue 1 nur zweite Wahl. Ob Antoine Griezmann, Paul Pogba oder Hugo Lloris – alle ziehen sie die großen Ligen jenseits der Heimat vor. Auch der neu entdeckte Nationalheld Dimitri Payet, überragender Spieler und Schütze des späten Siegtors beim 2:1 zur EM-Eröffnung gegen Rumänien, wurde erst nach seinem Wechsel aus Marseille zu West Ham United zu einem begehrten Star – und damit auch wieder für die Nationalmannschaft interessant.
Der Fußball sucht in Frankreich eine Basis, und er tut sich schwer damit, auch bei der EM. Für viele Spiele gibt es noch Karten, vor jedem Stadion trifft man alle paar Meter auf verzweifelte Schwarzmarkthändler, die ihre Ware nicht loswerden. In den wenigsten Pariser Bistros jenseits der Touristen-Hotspots werden die Spiele im Fernsehen übertragen. Auch der Zuspruch für Les Bleus, die einheimische Mannschaft in den blauen Trikots, ist noch ausbaufähig. Französische Nationaltrikots sind im Straßenbild so gut wie gar nicht auszumachen. Der Applaus am Freitag in Saint-Denis nach dem schwer erkämpften Sieg über die Rumänen war freundlich, aber keineswegs euphorisch. Die Nationalmannschaft spielt bei der EM auf Bewährung.
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