Schädel-Hirn-Trauma: Eisbären-Stürmer Stefan Ustorf tritt zurück
Wenn es Nacht wird, ist es am schlimmsten: Ein Schädel-Hirn-Trauma hat Stefan Ustorf verändert - körperlich, aber auch seelisch. Jetzt hat er seinen Rücktritt verkündet.
Fahl, beinahe grau ist sein Gesicht, und jetzt verzieht er es auch noch so, dass sich Falten auf die Stirn legen. Es ist Stefan Ustorfs Art, die Schmerzen zu überspielen, die er spürt, während alle um ihn herum vor Freude grölen und kreischen und singen. Tor für die Eisbären!
So absurde Züge trägt das fiese Etwas in ihm nun schon: Je mehr Tore sein Eishockeyverein schießt, desto schlechter geht es Ustorf – körperlich. Immer, wenn die schrille Musik durch die Halle dröhnt, was zuverlässig nach jedem Berliner Treffer der Fall ist, brummt sein Kopf noch ein bisschen mehr als ohnehin den ganzen Tag. Dann fährt das Karussell noch ein bisschen schneller. Deshalb schaut Ustorf so gequält und klatscht am Dienstagabend in seinem Sessel nur ganz zaghaft in die Hände, als die Berliner den Ausgleich gegen Nürnberg schießen. Früher wäre er wahrscheinlich direkt aufgesprungen. Wenn er nicht gleich selbst auf dem Eis gestanden hätte. Vorbei.
Stefan Ustorf kann das Einzige, was er in seinem Leben richtig gelernt hat, und das Einzige, was er immer wollte, nicht mehr ausüben. Am Donnerstag hat er seinen Rücktritt vom Eishockeysport bekannt gegeben. An eine Rückkehr aufs Eis sei nicht zu denken, sagte er auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz. Gespielt hat er ohnehin nicht mehr, seitdem er vor 14 Monaten ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat. Die Verletzung also, deren Folgen schon einige Eishockeyspieler und American Footballer zum Karriereende trieb – oder in den Wahnsinn. Einige haben es irgendwann nicht mehr ausgehalten und Schluss gemacht mit ihrem Leben.
Bei Ustorf ist seit dem Dezember 2011, als sein Kopf im Spiel gegen Hannover nach einem ungebremsten, frontalen Check des Gegners erst nach hinten schnellte und dann aufs Eis knallte, nichts mehr, wie es war. Der Stefan Ustorf von damals hat nicht mehr viel zu tun mit dem Stefan Ustorf im Frühjahr 2013: „Ich würde gerne sagen, dass es anders ist, dass ich mich nicht verändert habe, weil ich mich mochte, wie ich war. Aber das stimmt nicht.“
Wie er sich körperlich verändert hat, fällt auf den ersten Blick auf. Nach langer Zeit schaut er, der in den USA lebt, mal wieder in Berlin vorbei. Untersuchungen stehen an, die er sich natürlich in eine Woche gelegt hat, in der seine Eisbären gleich dreimal zu Hause spielen. Er kommt jedes Mal und nimmt immer in der Loge seines Klubs Platz. Dem Brummen im Kopf zum Trotz.
Die Jeans und sein hellblau-kariertes Hemd, in denen er so dasitzt, schlabbern am Körper, sein Gesicht sieht fahl aus und eingefallen. Daran ändert auch die Brille nichts, die er mittlerweile braucht. Zwölf Kilogramm hat Ustorf abgenommen, alles Muskeln. Mit denen konnte er früher seine vielen Verletzungen aushalten. Heute schmerzt nicht nur der Kopf, sondern beinahe der gesamte Köper. „Ich habe Riesenprobleme. Meine Arme kann ich kaum noch bewegen“, erzählt Ustorf. Vor allem in den Schultern habe er Arthrose, die immer schlimmer werde. Das Schlimmste ist das jedoch nicht.
Lange Tage, noch längere Nächte
Die Tage sind ihm zu lang, und die Nächte noch viel länger. Drei Schlafmittel hat er ohne spürbare Wirkung ausprobiert, auch das vierte scheint nun nicht anzuschlagen. Maximal fünf Stunden schläft er mit Unterbrechungen. Das Problem daran ist, dass sich sein Gehirn nur im Schlaf regenerieren kann. „Solange er nicht schlafen kann, wird es ihm nicht besser gehen“, sagt sein Arzt. Wann und ob Ustorf überhaupt wieder einmal ein vernünftiges Leben führen kann, weiß er nicht.
Er spielte in der besten Liga der Welt, der NHL, er spielte für Deutschland und mehr als 600 Mal in der deutschen Liga – für Kaufbeuren, die Berlin Capitals, Mannheim, Krefeld und seit 2004 eben für die Eisbären. Ein Spiel konnte er entscheiden, den Verlauf seiner Krankheit kann er nicht beeinflussen. „Es ist ein extrem frustrierendes Gefühl, nichts tun zu können“, sagt er. „Eine 180-Grad-Drehung. Von hundert auf null von einen Tag auf den anderen.“
Dazu muss man wissen, dass Ustorf sich als Spieler reinhängte wie kaum ein anderer, oft ein bisschen zu viel. Die Hälfte seiner Zähne im oberen Kiefer verlor er, weil er sich in einem recht unbedeutenden Hauptrundenspiel in einen Schuss warf. „Ich habe immer viel gemacht, viel trainiert“, sagt er. Die Tage konnten ihm nicht lang genug sein. Dass nun das genaue Gegenteil der Fall ist, trägt viel dazu bei, dass er sich auch psychisch verändert hat.
Meistens macht Ustorf – nichts. Er sitzt zu Hause auf seiner Couch und sitzt und sitzt. Ja, er kann ein Buch lesen, wenn er allein ist; er kann auch fernsehen. Aber er kann alles höchstens eine Stunde lang. So lange, bis das Karussell im Kopf wieder losgeht. Licht und Lärm erträgt er schlecht. Auch mit der Aufmerksamkeit und der Wortfindung ist es so eine Sache. Untersuchungen ergaben, dass er von den vielen Gehirnerschütterungen, die er vor dem Trauma erlitten hatte, eine ältere Narbe in der linken Gehirnhälfte mit sich trägt. Dort befindet sich das Sprachzentrum.
Während er von seinem Schicksal erzählt, zuckt sein rechtes Knie fast die ganze Zeit. Oft greift er sich ans Kinn, danach wieder in die Haare. Manchmal braucht er lange, bis ihm die richtigen Worte einfallen. Wenn es arg laut wird in der Halle, hört er lieber ganz auf zu reden. Die längste Pause aber legt Ustorf ein, als es um seine Persönlichkeit geht.
Eine Therapie musste er abbrechen, weil der Arzt merkte, dass etwas nicht mehr stimmte. Ustorf war zu weit gegangen. Trotz Kopfschmerzen machte er seine Übungen weiter, immer weiter. Er kennt aus seinem Sportlerleben nur einhundert Prozent. Dass er nebenbei regelrecht aggressiv wurde, erkannte er zunächst nicht. „Er lacht nicht mehr, er ist nur noch schlecht gelaunt, und er ist oft laut – vor allem mit den Kindern.“ Das sagte seine Frau einmal über ihn, und irgendwann sah es auch Stefan Ustorf, das hässliche Gesicht des fiesen Etwas.
Manchmal stellt er sich deshalb die Frage, ob er in seiner Karriere aus heutiger Sicht etwas anders machen würde. Die Antwort ist dann immer die gleiche: „Ich würde jedes Eishockeyspiel wieder so spielen, wie ich es in den 21 Jahren zuvor auch gemacht habe.“ So wie er auch den Lärm erträgt, den seine Besuche bei den Eisbären-Spielen mit sich bringen. Tor für die Eisbären! Es tut wieder weh, doch Stefan Ustorf freut sich – auf seine Art. Er kann nicht anders. Er will es auch nicht.
Katrin Schulze