Gehirnerschütterungen im Sport: Das Kopfproblem
Bei den Eisbären Berlin fehlen derzeit fünf Spieler wegen einer Gehirnerschütterung. Aber auch sonst gibt es im Sport immer mehr Patienten mit dieser Diagnose. Doch es ist schwer, die Spieler davor zu schützen.
Manchmal muss Stefan Ustorf aufpassen, dass er nicht verrückt wird. Zu belastend ist das monotone Brummen, das ihn nun schon seit einer kleinen Ewigkeit plagt. Tagein tagaus ist es, als würde ein Schwarm Bienen in seinem Hirn hausen. Jeden Tag seit Anfang Dezember hat er Kopfschmerzen und kann deshalb nicht joggen, nicht lesen, ja nicht einmal fernsehen, weil ihm dabei irgendwann schwindelig wird. An Training wagt der Eishockeyprofi gar nicht erst zu denken, seit er ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat. Ob der Mannschaftskapitän seine Karriere bei den Eisbären Berlin jemals wird fortsetzen können, ist ungewiss.
Ustorf hat es schlimm erwischt, doch es gibt noch mehr Patienten mit Kopfverletzungen beim erfolgreichsten deutschen Eishockeyunternehmen. Erst am Sonntag, beim 2:1-Sieg der Berliner in Straubing, ist in Jens Baxmann der fünfte Spieler in dieser Saison wegen einer Gehirnerschütterung ausgefallen. Auch andere Klubs beklagen viele Verletzte. „Ich mag hartes Eishockey, aber dass so viele Profis diese Verletzung davontragen, kann nicht sein“, sagt Eisbären-Trainer Don Jackson. Als er vor 30 Jahren noch in der besten Eishockey-Liga der Welt, der NHL, verteidigte, gab es lange nicht so viele und vor allem nicht so schwere Gehirnerschütterungen wie heute.
Das momentan prominenteste Opfer in der NHL ist Sidney Crosby, der Superstar von den Pittsburgh Penguins. Seine Gehirnerschütterung, verbunden mit Verletzungen an zwei Halswirbeln, sorgt dafür, dass das lange vernachlässigte Thema Schädel-Hirn-Trauma zum Aufreger mutiert ist. Wann Crosby wieder aufs Eis kann, weiß niemand. Und damit ist er in der NHL in Gesellschaft. Der Star Eric Lindros musste seine Karriere nach etlichen Gehirnerschütterungen ebenso beenden wie Ben Cottreau von den Hannover Scorpions, für den mit 26 Jahren Schluss war. Und die Zahl der Hirn-Traumata nimmt auch in vielen anderen Sportarten zu.
Warum Eishockey besonders betroffen ist?
Warum es im Eishockey viele Patienten mit dieser Diagnose gibt, erklärt sich Peter John Lee damit, dass „der Sport immer schneller geworden ist. Wir müssen Checks härter bestrafen und Tests einführen“, sagt der Eisbären-Manager. In der Schweiz und Nordamerika sind neuropsychologischen Tests vor Saisonbeginn bereits obligatorisch. In der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) entscheidet jeder Verein, ob er sie macht. Anders als in der NHL, wo Spieler nach schweren Fouls unter Umständen für Monate gesperrt werden, kommt es in der DEL wie im Fall von Baxmann oft noch vor, dass Checks gar nicht geahndet werden.
Dabei könne man Spieler nur durch „viel härtere Strafen“ von Checks gegen den Kopf abhalten, findet Lee. Mit allem, was den Profis zur Verfügung steht, wird in der DEL zuweilen gefoult – Ellbogen, Schläger und ab und zu geht es mit Wucht gegen die Bande. Mitte Februar will sich der Berliner Manager mit anderen Verantwortlichen der DEL zusammensetzen, um entsprechende Regelverschärfungen durchzusetzen. In Nordamerika fordern Sportärzte sogar, Bodychecks aus dem Junioren-Sport gänzlich zu verbannen.
Auch Bernd Kabelka fordert ein Umdenken. „Durch die bekannt gewordenen Langzeiteffekte wie sie bei Boxern auftreten, wird man sich in anderen Sportarten wie im Fußball der Problematik erst richtig bewusst“, sagt der frühere Mannschaftsarzt des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV. Heute betreut unter anderem Footballer. „Früher hatte man den großen Fehler gemacht, diese Verletzungen nicht ganz so ernst zu nehmen. Die Spieler wurden zu schnell wieder eingesetzt“, sagt er. Mit schlimmen Folgen, denn wer mit nicht auskurierter Gehirnerschütterung spielt, riskiert viel. Je mehr Gehirnerschütterungen in kurzer Zeit, desto größer ist der Schaden. Engmaschige neurologische Untersuchungen sind für Kabelka deshalb genauso wichtig wie die richtige Behandlung. Gehirnerschütterungen müssten auf jeden Fall auskuriert werden – notfalls über Monate.
Gibt auch jeder Patient seine Symptome zu?
Damit berührt er einen besonderen Punkt des Sports. Das Problem für Ärzte und Trainer sind nicht jene Gehirnerschütterungen, bei denen die Ausfälle offensichtlich sind. Die werden medizinisch meist gut betreut. Aber es gibt bei Schädel-Hirn-Traumata auch Ausfälle, die erstmal nur der Patient allein spürt. Einschränkungen der Kognition, der Konzentrationsfähigkeit oder eine erhöhte Müdigkeit. Mediziner sehen diese Ausfälle nicht selten bei diffusen Hirnschädigungen. Und Diana Djouchadar, Chefärztin Neurologie der Vivantes-Rehabilitation in Berlin, sagt, man müsse Patienten auch auf solche kognitive Schäden untersuchen. Athleten, „die unter kognitiven Einschränkungen leiden, die würde ich nicht sofort wieder in ein Hochleistungstraining zurückführen. Die müsste man gezielt therapeutisch behandeln.“ Sonst könnten langwierige gesundheitliche Probleme bestehen bleiben.
Das setzt allerdings voraus, dass auch ein Patient ehrlich seine Probleme und Einschränkungen zugibt. Nur: Macht das jeder Profi, der zurück in die Mannschaft will? Macht das ein Athlet, für den es um eine Olympia- oder WM-Nominierung geht? Mit Regeländerungen ist das Problem nicht in Griff zu bekommen.
Richie Regehr, einer der wenigen gesunden Eisbären-Profis, hat sich in der vergangenen Saison mit einer Gehirnerschütterung gequält. „Es ist das Schlimmste, was dir als Sportler passieren kann“, sagt er. „Bei jeder anderen Verletzung weiß man in etwa, wie lange es dauert, bis sie auskuriert ist.“ Bei Schädel-Hirn-Verletzungen aber ist nicht nur ungewiss, wann das Opfer zurückkommt, sondern ob überhaupt.
Frank Bachner, Katrin Schulze