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Auf Distanz. Trainer Bruno Labbadia rückte nach der Niederlage von Matheus Cunha (r.) ab.
© imago images/Chai v.d. Laage

Unfrohe Weihnachten für Hertha BSC: Ein Verein im Zustand innerer Gereiztheit

Das Fußballjahr 2020 endet für Hertha BSC mit einer bitteren Niederlage. Dass die Mannschaft nicht entscheidend vorankommt, nervt nicht nur Trainer Labbadia.

Die Beiträge von Fußballprofis in sozialen Medien sind oft von einer erschreckenden Gleichförmigkeit. Es gibt einige Floskeln, „Come back stronger“ zum Beispiel, oder bestimmte Emojis wie den Oberarmmuskel, die verlässlich auftauchen, und die knappen, meist nichtssagenden Texte sind in der Regel so glatt geschliffen, dass es nicht schwer ist, dahinter das Werk einer darauf spezialisierten Agentur zu vermuten.

Als Matheus Cunha, der Offensivspieler von Hertha BSC, am Sonntag um 19.34 Uhr auf seinem Twitteraccount einen Beitrag veröffentlichte, gab es keinen Anlass, an seiner Urheberschaft zu zweifeln. Seinem Tweet fehlte die belanglose Geschmeidigkeit, die sonst typisch ist. Nur etwas mehr als eine Stunde war vergangen, seitdem der Brasilianer mit seinem Team 1:4 beim SC Freiburg verloren hatte, und nun wandte sich Cunha direkt an „meine Herthafans“. Er wisse, so schrieb er, „heute war kein guter Tag für uns, es gibt Leute, die viel reden, aber ich spiele wirklich für dich, für unsere Hertha und diejenigen, die wirklich helfen wollen! Ich werde mich verbessern und dir CUNHA zurückgeben!“

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Das etwas holprige Deutsch sprach dafür, dass Cunha seinen ursprünglich auf Portugiesisch verfassten Text im Internet hatte übersetzen lassen. Vor allem aber sprach es dafür, dass ihm niemand die Hand geführt hatte. Dem Eintrag war all das zu entnehmen, was Fußballprofis sonst mit aller Macht zu vermeiden versuchen: Emotionalität, Ärger und damit auch Authentizität. Verbunden mit den üblichen Nebenwirkungen. Es dauerte nicht lange, bis, ebenfalls in den sozialen Medien, die Frage aufkam, wen er wohl mit der Passage „Es gibt Leute, die viel reden“ gemeint haben könnte. Etwa seinen Trainer?

Bruno Labbadia geht auf seinen besten Spieler los

Bruno Labbadia hatte nach der schwer verdaulichen Niederlage in der Tat viel geredet. Vor allem hatte er viel über Matheus Cunha geredet, den er schon zur Pause ausgewechselt hatte. Wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt gewissermaßen.

Labbadia hatte einen Plan gehabt, wie er das Spiel gegen die Freiburger angehen wollte. Aber die wenigsten seiner Spieler hielten sich in der ersten Halbzeit an diesen Plan, am allerwenigsten Matheus Cunha.

Er mache so etwas selten, erklärte Labbadia: einen Spieler öffentlich herauspicken, ihn coram publico kritisieren. „Aber ich sag’s ganz ehrlich: Ich bin total verärgert. Ich weiß gar nicht, wie viele Gespräche ich mit ihm geführt habe, immer wieder. Wir ziehen ihn nicht runter. Er zieht sich selber runter. Er bringt seine Leistung nicht und zieht die Leute runter.“

Matheus Cunha ist mutmaßlich der beste Fußballer, den Hertha BSC gerade unter Vertrag hat. Er kann das Besondere, er kann in seinen besten Momenten den Unterschied ausmachen. Aber zuletzt gab es von ihm nicht mal mehr gute Momente.

Matheus Cunha steht sinnbildlich für Hertha BSC

Cunha scheint es zunehmend schwerer zu fallen, seine eigene Exzellenz mit dem vermeintlichen Mittelmaß seiner Umgebung in ein harmonisches Verhältnis zu setzen. „Wir wissen, wie wichtig er für uns ist. Aber bei aller Wichtigkeit: Seine Körpersprache in der ersten Halbzeit war ein No-Go“, sagte Labbadia. „Warum, das so ist, wissen wir nicht. Wir machen alles im Verein, dass er sich wohlfühlt. Da muss er sich ganz klar an die eigene Nase greifen.“

Ein bisschen steht Cunha sinnbildlich für die komplizierte Gesamtsituation bei Hertha BSC. Er verfügt trotz seiner fast noch jugendlichen 21 Jahre über große Qualität, hat Brasiliens U 23 fast alleine zu den Olympischen Spielen geschossen, ist auch schon für die Selecao nominiert worden und gilt in seiner Heimat als Stürmer der Zukunft. In der Gegenwart aber spielt er für einen mittelmäßigen Bundesligisten, dessen Fortkommen er aktuell durch offenkundige Minderleistungen sogar akut gefährdet.

Wie bei Cunha, so sind auch bei Hertha BSC die Projektionen seit dem Einstieg des Investors Lars Windhorst größer als die Wirklichkeit. Potenzial ist vorhanden, wird aber nicht verlässlich abgerufen. Von Europa war vor der Saison die Rede, die Realität heißt Mittelmaß. Nach dem letzte Spiel des Jahres liegt Hertha BSC auf Platz 14 mit gerade noch drei Punkten Vorsprung auf die Abstiegszone. Nach dem ersten Spiel des Jahres – einer 0:4-Niederlage gegen die Bayern unter Trainer Jürgen Klinsmann – war Hertha ebenfalls 14. Der Vorsprung auf Rang 16 betrug allerdings nur zwei Punkte.

Hertha BSC tritt auf der Stelle

Und trotzdem: Echter Fortschritt sieht anders aus. Vor Windhorst war Hertha BSC in der Bundesliga eine arme graue Maus. Dank Windhorst, der bisher knapp 300 Millionen Euro hat springen lassen, ist Hertha jetzt eine reiche graue Maus. Mit dieser Erkenntnis verabschiedet sich der Klub, den manche für überambitioniert halten, andere für zu genügsam, in die Weihnachtsferien.

„Wir stehen jetzt zu Recht da, wo wir stehen“, sagte Bruno Labbadia über die gefährliche Nähe zur Abstiegszone. Vor den letzten beiden Spielen gegen den Vorletzten Mainz und den Tabellenelften Freiburg war Hertha dreimal ungeschlagen geblieben, hatte dabei immerhin bei den Europapokalteilnehmern Leverkusen und Mönchengladbach gepunktet. Das Ziel für die beiden vermeintlich leichten Spiele vor Weihnachten lautete: sechs Punkte. Es wurde einer, durch ein schwer erträgliches 0:0 im eigenen Stadion gegen den Abstiegskandidaten aus Mainz. „Das ist total schade, weil wir im Auftrieb waren“, klagte Labbadia nach der finalen Niederlage in Freiburg. „Es ist ärgerlich, wo wir hätten stehen können.“

So verabschiedet sich Hertha in einem Zustand innerer Gereiztheit in die kurze Weihnachtspause. Alle sind irgendwie genervt. Und am deutlichsten brachte das Bruno Labbadia am Sonntagabend in der Pressekonferenz in Freiburg zum Ausdruck.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Trainer öffentlich derart heftige Kritik an seiner Mannschaft und vor allem an einem einzelnen Spieler übt. Dass sich Labbadia zu einem solchen Schritt entschlossen hat, zeigt wohl, wie viel sich in den vergangenen Wochen in ihm aufgestaut hatte. So aufgebracht hat man einen Trainer von Hertha BSC zuletzt vor acht Jahren erlebt, als Jos Luhukay nach einer 1:3-Niederlage beim FSV Frankfurt auf seine Spieler los ging.

Es war der zweite Spieltag der Zweitligasaison 2012/13. Am Ende stieg Hertha BSC in die Bundesliga auf.

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