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Sie sind Dynamo. Die Fankultur in Dresden ist vielfältig.
© Reuters

Zweite Fußball-Bundesliga: Dynamo Dresden: Eine Liebe in Sachsen

Dynamo Dresden genießt einen zweifelhaften Ruf. Dabei ist der Klub vor allem einer mit sehr besonderer Geschichte.

Ein Samstagabend Anfang Dezember in Dresden, Geburtstagsparty im alternativen Viertel Neustadt. Auf dem Fest isst man vegan und wählt grün. Die Gäste sind Zugezogene. Dass es am nächsten Tag ins Stadion von Dynamo gehen soll, löst ungläubiges Staunen aus. Als hätte man angekündigt, in ein Kriegsgebiet ziehen zu wollen oder NPD zu wählen. Lediglich ein Sachse wirft ein, dass es doch auch linke Fans aus der Neustadt bei Dynamo gebe, dass an Spieltagen auch der nette Nachbar den schwarzgelben Schal anziehe und in die Straßenbahn Richtung Hygienemuseum steige.

Von Kriegsgebiet und NPD kann im Stadion keine Rede sein. Eine Mütze der Band "Böhse Onkelz" ist einziges Indiz für eine möglicherweise rechte Gesinnung. Ansonsten ist das Spiel gegen Aue ein Fußballfest mit einer Stimmung, die man in vielen Erstligastadien vergeblich sucht.

Was macht den Verein gleichzeitig so beliebt und gefürchtet? Wer geht zu Dynamo? Und woher kommt die geballte Leidenschaft, die selbst St.-Pauli-Fans in Sachen Choreografien übertrumpfen kann?

Das Leitbild: Dynamo ist Dresden, Dresden ist Dynamo

Die Sportgemeinschaft Dynamo ist mit der Stadt Dresden so untrennbar verbunden wie das beeindruckende Panorama um die Augustusbrücke und die Putten auf dem Zwinger, das Wort vom Tal der Ahnungslosen und die Pegida-Demonstrationen. Bilder wie die vom martialisch anmutenden Aufmarsch der Dynamo-Fans in Karlsruhe, in Camouflage gekleidet und mit Pyrotechnik bewaffnet, prägen das vermeintliche Bild des Vereins. Aus diesem Grund hängte sich der Komiker Jan Böhmermann einen Dynamo-Schal um, als er im vergangenen Herbst Adolf Hitler parodierte. Braunversifft und gewaltbereit erscheint der Verein vielen Außenstehenden, deswegen geht von der auf der Feier anwesenden Neustadtklientel auch niemand ins Stadion. So weit, so klischeehaft. So einfach ist die Sache mit Dynamo aber nicht. Faninitiativen wie "1953 International" schreiben sich seit 2006 antirassistische Fankultur auf die Fahnen, die Anzahl der Eskalationen ist stark rückläufig.

Wir leben unsere Tradition

Fragt man Dynamo-Fans, woher sie ihre Begeisterung haben, fallen oft die Ausdrücke "genetisch" oder "vererbt". Beim Derby gegen Erzfeind Aue sieht man Großmutter und jugendliche Enkelin im Stadion ebenso wie den tätowierten Ultra, der seinen kleinen Sohn dabei hat. Im Osten war man damals eine Größe, spielte um den Europapokal und gewann acht Mal die DDR-Meisterschaft.

Wir sind die Nummer eins im Osten

Wer Dresden und vor allem Dynamo verstehen will, muss die Geschichte dahinter verstehen. Ein Fan, der Anfang der Neunzigerjahre zum ersten Mal mit seinem Vater zu Dynamo ging, erzählt von den gewaltgeprägten Achtzigern und dass die Aktionen heutzutage "ein Kindergeburtstag" seien. Zwei Stunden lang schwelgt er in seiner Retrospektive, spricht von Meilensteinen der Vereinsgeschichte: Von dem Zwangsabstieg 1995; nach dem Skandal um die zehn Millionen Mark Schulden, musste Dynamo von der Erst- in die Drittklassigkeit. 2000 ging es sogar bis in die viertklassige Oberliga Nordost. Beim absoluten Tiefpunkt saßen 900 Zuschauer auf den Rängen – bei einem Heimspiel. Diese Enttäuschung schweißte zusammen, machte Dynamo zu einem Verein, bei dem jeder jeden kannte. Später kam dann der Aufschwung, die Übernahme durch die Fans, die mehrfache Rettung durch Finanzhilfen und der Traum von der Bundesliga.

Wir haben einen Traum

Die Geschichte des Vereins nach der Wende ist die Geschichte einer enttäuschten Gesellschaft, vom falschen Versprechen von blühenden Landschaften. Die große Ernüchterung kam für Arbeitnehmer wie für Fußballfans mit der Erkenntnis, dass die freie Marktwirtschaft auch Tücken hat. Bei Dynamo Dresden kam Veruntreuung hinzu, der Verein war der immer kommerzieller werdenden Fußballkultur und vor allem dem gierigen Transfermarkt nicht gewachsen. Natürlich war es ein Wessi, der den Verein in den Ruin stürzte: Der hessische Bauunternehmer Rolf-Jürgen Otto, Dynamo-Präsident zwischen 1993 und 1995 und Veruntreuer von drei Millionen Mark.

Wir sind der Klub mit den besten Fans

All das frustrierte die Fans und ließ die übriggebliebenen Hardcore-Anhänger noch enger zusammenwachsen. Wohl koordinierte Choreographien, Fanbeauftragte und -initiativen: All das gab es damals um die Jahrtausendwende nicht. Stattdessen schoss man Pyrotechnik durch die Gegend, kassierte Stadionverbote, ließ seinen Frust bei Auswärtsspielen aus. Fans mit Stadionverbot sammelten sich in einer dritten Mannschaft, spielten an Wochenenden selbst und fuhren dann zu Spielen der ersten Mannschaft.

Wir sind eine Gemeinschaft

Einer dieser Fans ist "der Sachse", ein Anhänger aus Leipzig, der seit den Siebzigerjahren im Fanblock sitzt. Seit Jahren hat er seinen Stammplatz im Sitzblock über der Trainerbank, hängt bei jedem Heimspiel sein Fähnchen auf, nimmt die Enkelin mit ins Stadion. Er sammelt Fotos, lässt sich Trikots unterschreiben und gibt seit Jahren dem Trainer einen Glücksbonzen. Als der nicht mehr angenommen wurde, verletzte das den langjährigen Fan tief. "Das Menschliche darf doch nicht zu kurz kommen", betont er mehrfach. An Fans wie ihm zeigt sich, was auch beim Spiel gegen Aue deutlich spürbar ist: Es ist das Gefühl der Gemeinschaft, die einzigartig stark ist. Wenn 25 000 Fans ihre Ränge mit einer riesigen Flagge bedecken, zum 60. Geburtstag Feuerwerk am Elbufer abbrennen und auf beiden Seiten ihre Schlachtrufe skandieren und alles in gelb und schwarz versinkt, dann versteht man die Faszination Dynamo. "Sei da für Momente der kollektiven Freude und des kollektiven Schmerzes, sodass wir Zeuge untrennbarer menschlicher Verbindung sein können", schreibt die Sozialwissenschaftlerin Brené Brown über das kollektive Gemeinschaftsgefühl und beschreibt ihre Erlebnisse beim Schauen von Videos mit Fangesängen und bei einem U2-Konzert. Oder wie es der ehemalige Spieler, Trainer und heutige Sportdirektor Ralf Minge sagt: "Bei uns stehen der Professor und der Müllwagenfahrer nebeneinander und es macht keinen Unterschied."

Wir bleiben unabhängig

Dieser Zusammenhalt ist umso stärker, je klarer das Feindbild – und das beschränkt sich nicht nur auf gegnerische Mannschaften. Was man in Dresden oft zu spüren bekommt, ist das Misstrauen gegen "die da oben": Ob nun die Polizei, der DFB, die Presse oder der kommerzorientierte Vorstand in den Neunzigerjahren – das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, schwingt häufig mit. Dementsprechend groß ist das Misstrauen gegen Außenstehende: Selbst nach mehreren Anfragen weigern sich sämtliche Faninitiativen, einschließlich "1953 International", sich zum Thema Fankultur zu äußern, die befragten Fans sprechen nur unter der Bedingung der Anonymisierung. Institutionen beäugt man hier misstrauisch, von zu starren Regeln hält man nicht viel: Das mit der Pyrotechnik sieht man nicht so eng, Vermummung legen Polizisten schließlich auch an und der Fanmarsch in Karlsruhe sei nur wegen des Drucks der lokalen Polizei derart eskaliert; kurz zuvor in Stuttgart sei es noch friedlich verlaufen, weil die Polizei laufen ließ. Die Fans wollen ihre Angelegenheiten lieber selber regeln: Bei Demos zum Gedenken an den 13. Februar 1945, dem Tag der Dresdner Bombennacht, hätten Dynamo-Fans die vierte Kraft neben Polizei, linken und rechten Demonstranten gestellt und sowohl "linke Chaoten" als auch "Glatzen" einfach "weggemacht", erzählt ein Fan. So sei wieder Ruhe eingekehrt.

Wir sind engagiert und vielfältig

Diese Anekdote klärt die Frage nach der politischen Orientierung: Es gibt keine – zumindest nicht nach Einlass. "Es ist der Fußball, der zählt", sagt der Sachse. Damit kommt man zu einem weiteren ungeschriebenen Gesetz in Dresden: Der K-Block, wo die treuesten Fans stehen, ist unpolitisch. Als vor ein paar Jahren NPD-Anhänger Flyer verteilten, warfen die Ultras sie aus dem Stadion, und die rechtsextreme Vereinigung "Faust des Ostens" duldeten sie nicht. Als die Pegida-Märsche begannen, stellte sich Vorsänger Stefan Lehmann vor die gelbschwarze Menge und verbat sich jegliche Solidaritätsbekundung mit den Montagsspaziergängern. 2006 gründete sich "1953 International" als Antwort auf Affenrufe gegen einen schwarzen Spieler des gegnerischen Teams. "Da geht das typische linke Neustadtklientel hin“" sagt Dynamos Geschäftsführer Michael Born. Für ihn ist die Gruppe der beste Beweis für die Vielfalt im Block. "Die würden sich garantiert nicht mit unseren Ultras an einen Tisch setzen, wenn die durch die Bank rechts wären."

Wir sind bescheiden, fleißig und ehrgeizig

"Du bist Dynamo", versichert der Verein den Fans immer wieder. "Wir sind Dynamo", steht auf den Bannern im Stadion. Die für Außenstehende manchmal übertrieben anmutende Loyalität der Fans mit dem Verein hat auch ihre guten Seiten. Ohne sie wäre er wohl nicht dort, wo er heute ist. Sonderumlagen, Geistertickets, das Brustsponsoring 2003; mitgliederbestimmte Strukturen haben dazu beigetragen, dass die Anhänger sich verantwortlich fühlen und sich den ökonomischen wie sportlichen Aufschwung auf die Fahnen schreiben können. Ralf Minge etwa begann als Fan und später als Spieler, trainierte und führte den Verein in den Neunzigern und ist heute Sportdirektor – eine typische, lebenslange Dynamo-Karriere. "Damals stand vielleicht mal eine Flasche Bier von der Hausgemeinschaft im Flur, wenn man ein gutes Spiel gemacht hat", erinnert er sich an seine aktiven Zeiten. "Da waren wir nicht so elitär wie heute."

Wir sind Bundesligist

Heute schafft der Verein den Balanceakt zwischen Professionalität und Fannähe, zwischen "Genie und Wahnsinn", wie Geschäftsführer Michael Born es nennt: In monatlichen Treffen zwischen Fanvertretern und Geschäftsführung bespricht man Probleme, debattiert etwa über Pyrotechnik. Gewalt ist eine der roten Linien, die Born nicht überschritten sehen will. Nach Karlsruhe standen lange Gespräche mit den Faninitiativen an. "Das Einsehen war groß, die Aktion war so nicht geplant." Man weiß aber auch, dass solche Ausfälle nicht zu vermeiden sind. "Es gibt Randgruppen, die wollen mit dem Verein nichts zu tun haben und dementsprechend kann man sie nicht erreichen", sagt Born. Fanbetreuer Marek Lange sagt zu der Arbeit mit den Fans und den manchmal emotionalen Diskussionen: "Wir gehen hier drei Schritte vor und zweieinhalb zurück." Er weiß, dass Fußball nie losgelöst von gesellschaftlichen Prozessen stattfindet. Bei den Pegida-Demos waren auf beiden Seiten, bei Demonstranten und Gegendemonstranten, Dynamo-Mützen zu sehen. Dennoch wurde der Punkt im Leitbild zur Vielfalt im Stadion ohne Diskussion angenommen. "Dynamo ist offen für jeden, der unsere Werte anerkennt: Menschen aller Schichten, Hautfarben und Kulturen kommen in unseren Farben zusammen", steht dort. Trikots mit der Aufschrift "Love Football. Hate Racism" sieht man überall im K-Block.

Der Böhse-Onkelz-Fan und der linke Neustädter trinken nach dem Spiel eher kein Bier zusammen. Aber dass sie gemeinsam Fußball und Gemeinschaft zelebrieren, zeigt, dass Dynamo Menschen zusammenbringt. Erst nach dem Schlusspfiff steigt man in die Straßenbahn und fährt zurück in die eigene Welt.

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