Skistar Felix Neureuther: "Die Zweifel waren wichtig für mich"
Skirennfahrer Felix Neureuther über den Weltcup-Start, seine schwere Verletzung, Motivationsprobleme – und das Leben als Profisportler und Vater.
Herr Neureuther, Ihr Rücken macht Ihnen schon länger Probleme, jetzt war auch noch Ihr Knie kaputt. Können Sie schon wieder richtig Gas geben?
Mein Knie hat sich sehr, sehr gut entwickelt. Zuletzt war es ja wieder der Rücken, der Probleme bereitete. Ich glaube, für den Rücken habe ich ein paar Schritte übersprungen. Ich bin sehr schnell ans Limit gegangen, wenn auch noch nicht auf ganz eisigen Hängen und bei schwierigen Pistenbedingungen.
Musste sich der Rücken erst wieder an die spezifische Belastung durch das Skifahren gewöhnen?
Das mit dem Rücken war ein schleichender Prozess. Mein Körper war die Belastungen vom Skifahren nicht mehr so gewohnt, weil ich seit November Pause hatte. Außerdem haben wir uns im Sommer vor allem um das Knie gekümmert. Die Stabilisierung des Rückens konnte man da vernachlässigen. Das ist der Grund, warum es jetzt eine Überbelastung für den Rücken gibt. Der vergangene Sonntag war der erste Tag, an dem ich gesagt habe, mein Rücken tut nach dem Training nicht mehr weh als davor. Das war ein riesengroßer Fortschritt.
Die Entscheidung, in Sölden zu starten, fiel trotzdem erst am Samstag. Einen Tag vor dem Rennen. Warum?
Die Trainer haben gesagt, man dürfe nicht den Fehler machen und gleich wieder überziehen. Deshalb habe ich in dieser Woche noch einmal Pause gemacht, bin erst am Donnerstagabend nach Sölden gereist. Weil der Rücken beim Training in den letzten zwei Tagen stabil war, haben wir gesagt, ein Start macht Sinn. Es ist für mich schon wichtig, wieder ein Renngefühl zu bekommen, auch mit Blick auf den Slalom in Levi.
Sie haben relativ spät mit intensivem Schneetraining begonnen, mehr als ein halbes Jahr nach der Operation. Ihr Kollege Stefan Luitz, der einen Tag nach Ihnen am Kreuzband operiert worden war, legte früher los.
Wir hatten zwei unterschiedliche Narbenstellen am Kreuzband, bei Stefan wurde zur Rekonstruktion des kaputten Kreuzbandes die Semitendinosussehne und bei mir die Quadrizepssehne verwendet, und bei der dauert die Heilung einfach länger. Außerdem bin ich auch keine 26 Jahre mehr wie Stefan, sondern schon 34. Und dann habe ich Familie zuhause, da ist man vielleicht nicht ganz so bereit, fünf, sechs Tage in der Woche in die Reha zu stecken und von zuhause weg zu sein. Ich war da sicher im Sommer nicht mit der allerletzten Konsequenz hinter dem Aufbau her.
Sie haben auch zugegeben, dass es Momente in den vergangenen Monaten gab, in denen Sie Zweifel hatten, ob es noch einmal funktioniert? Wie war das?
Die Momente hat jeder Sportler nach einer Verletzung. Aber wenn du in einem fortgeschrittenen Sportleralter bist, dann werden die Momente, in denen du zweifelst, mehr. Es war ja schon eine schwere Verletzung und dann noch einmal zurückkommen zu wollen, ist schon eine Herausforderung. Jeden Tag in der Früh aufzustehen, in die Reha zu gehen und das Programm durchzuziehen, da war ich vom Kopf her phasenweise nicht ganz bereit, diesen Weg zu gehen.
Wann waren die Zweifel vorbei?
Erst einmal war es für mich sehr, sehr wichtig, diese Momente erlebt zu haben. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht über die Zukunft, auch darüber, wie es mit mir weitergeht. Dazu kam, dass ich im Sommer lange Probleme mit einer Allergie hatte. Ich habe mich immer ein bisschen krank gefühlt, aber man wusste nicht genau, woher es kommt. Bis man festgestellt hat, dass ich auf Haselnüsse allergisch bin. Seit ich sie weglasse, geht es mir körperlich wieder gut. Und als ich wieder auf Ski stand, habe ich erkannt, wie viel Spaß der Sport mir macht und dass es sich schon lohnt, im Kraftraum anzupacken und richtig Gas zu gebe. Da hat mich der Virus wieder gepackt.
"Ich kann nur immer wieder sagen, dass meine Frau da absolut einzigartig ist."
Sie mussten sich auch an einen neuen Trainer gewöhnen. Albert Doppelhofer, der viele Jahre Ihr Disziplincoach war, ist zum Perspektivkader gewechselt, seine Position hat Bernd Brunner übernommen.
Es ist natürlich eine Umstellung, denn der Albert war ja eigentlich auch immer in Garmisch vor Ort, hat mich dementsprechend angetrieben. Aber Bernd hat es mir sehr einfach gemacht.
Ihre Tochter Matilda ist gerade ein Jahr alt geworden. In den nächsten Monaten werden Sie sie nicht so oft sehen. Wie gehen Sie damit um?
Ich kann nur immer wieder sagen, dass meine Frau, die Miri (Miriam Gössner, d. Red.), da absolut einzigartig ist. Es ist nicht selbstverständlich, wie sie mich unterstützt. Das erleichtert das Ganze extrem. Es war keine einfache Situation, als ich das erste Mal sechs, sieben Tage am Stück weg war. Als ich nach Hause kam, dachte ich mir, dass sich Matilda freut, dass ich wieder daheim bin. Als sie dann die Arme nicht nach mir, sondern nach der Mama ausgestreckt hat, tat das schon weh. Mittlerweile ist das kein Problem mehr, sie hat sich daran gewöhnt. Einfach ist es sicher nicht, weg von zu Hause zu sein. Aber es ist ja absehbar, wie lange das noch geht bei mir.
Sie haben gerade den Vertrag mit Ihrem Skiausrüster um vier Jahre verlängert. Heißt das, Sie sind bei den Olympischen Spielen in Peking 2022 noch dabei? Dann wären Sie 38.
Ich will’s nicht ausschließen. Es hängt davon ab, wie es sportlich läuft, wie es mir körperlich geht und wie bereit ich noch bin, tatsächlich so viel Zeit zu investieren, um richtig Gas zu geben.
Bedauern Sie es manchmal, dass Wintersportler nur ein paar Monate im Rampenlicht stehen?
Ich bin ganz froh, dass ich mal raus bin. Wenn ich mir die Fußballer anschaue, die nur eine gute Woche im Winter und zwei, drei Wochen im Sommer abschalten können.
Wintersport ist trotzdem ein Ganzjahressport, nicht nur wegen der Vorbereitung, die ja schon kurz nach dem Ende der Saison beginnt. Wie viel Zeit investierten Sie im Sommer in Ihren Beruf Skifahren?
In diesem Jahr war ich 34 Tage auf Schnee, das war aber schon ein reduziertes Programm. Und wenn du jung bist, brauchst du definitiv wesentlich mehr Skitage in der Vorbereitung. Und dann ist man auch fünf bis sechs Tage in der Woche für ein oder zwei Einheiten im Kraftraum. Daneben auch noch Sponsorentermine, da bin ich im Sommer so circa 30 bis 35 Tage unterwegs. Das ist allerdings schon sehr viel im Vergleich mit vielen anderen Skirennläufern.
Sie hatten im vergangenen Winter Zeit, Ihren Sport von außen zu betrachten. Haben sich Sichtweise und Einstellung verändert?
Ich habe sehr viel gesehen und auch gesehen, wie wunderschön dieser Sport ist. Ich habe mir jedes Rennen angeschaut, und habe für mich reflektiert, worauf es ankommt, wenn ich wieder zurückkomme, welche Eigenschaften man mitbringen muss. Ich habe auch meine Konsequenzen gezogen.
Zum Beispiel?
Das prägendste Beispiel war für mich im Riesenslalom, dass du nur mit Runterfahren und Taktieren nicht weit kommst. Marcel Hirscher und Henrik Kristoffersen versuchen, bei jedem Schwung in jedem Rennen, voll ans Limit zu gehen. Das machen andere nicht, vielleicht können sie es auch nicht so.
"Es geht ja nur noch um Macht und ums Geldverdienen."}
Sie haben immer wieder angeregt, das Alpin-Programm zu straffen und die Abschaffung des Super-G ins Spiel gebracht. Hat Sie die Zeit vorm Fernseher in Ihrer Meinung bestätigt?
Ich war zum Beispiel immer ein großer Befürworter der Parallelrennen in den Städten, aber diese Magie, die sie für die Läufer haben, haben sie auf mich als Fernsehzuschauer nicht ausgeübt. Ich finde Teamwettbewerbe fast interessanter als diese Einzel-Parallelrennen.
Auch über Alpin-Ski hinaus haben Sie das aufgeblähte Programm der einzelnen Sportarten kritisiert.
Es ist einfach zu viel. Den Fernsehsendern bleibt bei den Olympischen Spielen zum Beispiel aufgrund des dichten Programms überhaupt keine Zeit mehr, auf die Athleten einzugehen und dem Zuschauer die Sportler auch emotional näher zu bringen. Ich bin einfach der Meinung, dass weniger besser wäre.
Sie waren bei drei Olympischen Winterspielen dabei, Pyeongchang haben Sie aus der Ferne verfolgt. Empfindet man als Zuschauer Olympia anders als die Athleten vor Ort?
Wenn du eine Silbermedaille gewinnst, ist das natürlich Wahnsinn. Aber wenn man sich vorgestellt hätte, was das für Sportdeutschland bedeutet hätte, wenn die Spiele nicht in Südkorea stattgefunden hätten sondern in München. Dann wären beim Eishockeyfinale die Straßen leergefegt gewesen, alle hätten das Spiel angeschaut. Es gab viele geniale Leistungen und auch magische Momente bei diesen Winterspielen, aber das spürst du als Sportler auch nicht so, wenn es vor 1000 Zuschauern stattfindet. Es ist einfach insgesamt sehr schwierig, Olympische Spiele in Ländern auszutragen, die keine Wintersporttradition haben. In traditionellen Orten ist die Stimmung eine ganz andere, viel emotionaler. Das sieht man ja auch im Ski-Weltcup, in Kitzbühel oder Schladming.
Was muss passieren, dass sich einmal ein traditioneller Wintersportort findet, der Olympia ausrichten will und nicht schon vor der Bewerbung am Widerstand der Bevölkerung scheitert?
Es ist viel kaputt gemacht worden in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Das wieder hinzubekommen, dauert viele, viele Jahre. Es geht ja nur noch um Macht und ums Geldverdienen, aber die Leute akzeptieren das nicht mehr. Ich glaube, viele erkennen, dass das große Ganze, dass unsere Welt, absolut im Vordergrund stehen muss und nicht die Macht der Funktionäre. Und das ist leider nicht mehr geschehen in den vergangenen Jahren.
Sollten sich da nicht Athleten besser einbringen? Zum Beispiel auf den Weg, den der Säbelfechter Max Hartung bestreitet. Er versucht, mehr Unabhängigkeit und Professionalität für die Athletenkommission des DOSB zu erreichen.
Ich bin mit Max im regen Austausch. Ich finde, er macht das super. Ich habe ihm gesagt, dass er uns Sportlern damit sehr hilft.
Können Sie als meinungsstarker Athlet vorstellen, da mitzumachen?
Vorstellen kann ich es mir prinzipiell schon. Aber wenn man noch aktiv ist, ist das schon sehr schwierig. Wenn, dann wäre das etwas für nach der Karriere. Die Frage ist, inwieweit man wirklich eingreifen und etwas verändern kann. Wenn ich das Gefühl habe, ich kann etwas bewirken, könnte ich mir das schon vorstellen. Aber es geht da nicht nur um meine Person, ich will mich nicht in den Vordergrund drängen. Das ganze System zu durchbrechen, ist wahnsinnig schwer. Das schafft ein einzelner Sportler ohnehin nicht, da müssten alle zusammenhalten.
Das Gespräch führte Elisabeth Schlammerl.