Südafrikas Wayde van Niekerk: Die Zukunft der Leichtathletik ist leise
Wayde van Niekerk soll der neue Leichtathletik-Star nach Usain Bolt sein – doch der Südafrikaner passt nicht ganz ins Schema.
Sebastian Coe wird auch den Ausgang dieses Rennens nicht gerne gesehen haben. Der Engländer ist Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF und daran interessiert, dass es wieder aufwärts geht mit der olympischen Kernsportart. Dass wieder von außergewöhnlichen Leistungen und außergewöhnlichen Persönlichkeiten gesprochen wird und nicht von Betrug und Doping. Schon am vergangenen Samstag hatte der Mehrfachsünder Justin Gatlin über 100 Meter anstelle der scheidenden Leichtathletik-Lichtgestalt Usain Bolt gewonnen. Das sei nicht nach dem Drehbuch gelaufen, sagte Coe anschließend.
Am Donnerstagabend sollte das gute Drehbuch wieder gefunden werden. Wenigstens der proklamierte Bolt-Nachfolger Wayde van Niekerk sollte nach seinem Sieg über 400 Meter auch über 200 Meter gewinnen. Daraus aber wurde nichts. Auf den letzten Metern zog Ramil Gulijew aus der Türkei an van Niekerk vorbei. Mehr noch als über die Niederlage dürfte sich Coe über die Reaktion van Niekerks wenige Sekunden nach dem Zieleinlauf gewundert haben. Der Südafrikaner riss die Arme nach oben und jubelte. Anschließend sagte er: „Ich bin erleichtert und froh.“
Der haushohe Favorit hatte also Silber gewonnen und nicht Gold verloren? Darf der Nachfolger der Legende Bolt so denken? Die Sache ist wohl die: Der dominierende Sprinter der vergangenen zehn Jahre und der vielleicht dominierende in den nächsten vier, fünf Jahren könnten unterschiedlicher kaum sein.
Bolt ist laut, er liebt die Show, die Provokation und die Aufmerksamkeit. Van Niekerk ist leise, macht kein Aufhebens um sich, er sagt brave und vernünftige Dinge. Es gibt nichts, was einen an ihm stören kann. Und gerade das stört wiederum jene, die nach Bolt eine neue Figur in der Leichtathletik mit Strahlkraft herbeisehnen.
Die Niederlage van Niekerks über die 200 Meter war für die Zweifler nur ein neuerlicher Beweis dafür, dass die Leichtathletik weiter nach dieser Figur suchen muss. Zumal van Niekerk sich offenbar beeindrucken ließ von den Attacken seines Sprinterkollegen. Er sei verärgert über manche Kollegen, sagte er der BBC nach dem Rennen mit Tränen in den Augen. „Ich denke, ich habe hier nicht den Respekt bekommen, den ich verdient habe.“
In Rio lief van Niekerk in unverschämten 43,03 Sekunden ins Ziel
Van Niekerk meinte wohl die Anfeindungen seines Sprinterkollegen Isaac Makwala aus Botswana. Makwala war wegen einer grassierenden Viruserkrankung bei diesen Weltmeisterschaften von den Veranstaltern nicht für das 400-Meter-Finale zugelassen worden, über 200 Meter durfte er nach großem öffentlichen Protest doch noch antreten.
Makwala deutete dabei mehrmals an, dass die Veranstalter eben gerne den neuen Helden van Niekerk siegen sehen wollten und nicht ihn. Von Bolt wusste man in der Vergangenheit, dass er derlei Provokationen auf der Bahn bitter bestrafte. Nun spielte der sicher noch gehandicapte Makwala im Finale keine große Rolle, doch van Niekerk wirkte – auch mental – angeschlagen wie nie in den vergangenen Jahren.
In dem ganzen Hype um Bolt war fast untergegangen, dass die eigentliche Sensation in der Leichtathletik spätestens seit dem vergangenen Jahr nicht mehr der Jamaikaner, sondern eben van Niekerk ist. Bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro unterbot van Niekerk den seit 1999 bestehenden Weltrekord von Michael Johnson über 400 Meter. Dessen 43,18 Sekunden galten als eine dieser Fabelrekorde, aufgestellt in einer Zeit, in der die Dopingjäger noch chancenloser waren, als sie es heute sind. Van Niekerk lief in Rio in unverschämten 43,03 Sekunden ins Ziel.
Der Südafrikaner verkörpert einen neuen Sprintertypus. Er ist nicht so muskulös wie viele andere seiner Kollegen, sein Laufstil ist eleganter, geradliniger. Dies macht ihn zu einem Sprinter, wie es ihn bislang noch nicht gegeben hat. Van Niekerk ist auf 100 Metern unter zehn, auf 200 Metern unter 20 und auf 400 Metern unter 44 Sekunden geblieben. Das hat außer ihm noch nie jemand geschafft, nicht einmal Usain Bolt.
Trainiert wird van Niekerk von einer 75 Jahre alten Frau. Sie heißt Ans Botha und nahm van Niekerk vor fünf Jahren in ihre Trainingsgruppe an der Universität im südafrikanischen Bloemfontein auf. Die mehrfache Urgroßmutter ist in Athletenkreise berüchtigt für ihre Strenge. „Ich glaube nicht, dass sie so furchteinflößend ist wie viele Menschen sagen. Aber sie ist sicherlich eine sehr strenge Frau“, sagte van Niekerk einmal über seine Trainerin. Er sagte aber auch: „Wenn man weiß, wie man mit ihr umgehen muss, ist sie sehr liebenswert. Sie ist wie eine Mutter für mich.“
Gut möglich jedenfalls, dass van Niekerk nach diesen Weltmeisterschaften in London mütterlichen Trost von seiner Trainerin benötigen wird. Zum einen, weil einer seiner Gegner gemein zu ihm war. Zum anderen, weil er jemand sein sollte, der er gar nicht ist: ein Showman à la Usain Bolt.