Handball-WM in Katar: Die Wurfgewalt des Steffen Weinhold
Deutschland trifft bei der Handball-WM in Katar im Achtelfinale heute auf Ägypten. Wie weit das Team von Dagur Sigurdsson kommt, hängt vor allem von Steffen Weinhold ab.
Dank moderner Kommunikationsmittel sind am Samstag zwei Welten aufeinander geprallt, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Steffen Weinhold hat an diesem Abend eine SMS aus der Heimat erhalten, genauer gesagt aus Kiel. Auf dem Bild sind seine Teamkollegen vom THW zu sehen, wie sie, dick eingepackt mit Mützen und Handschuhen, auf einer von Schnee befreiten Laufbahn ihre Runden drehen. 400 Meter und das Ganze schlappe 16 Mal. THW-Coach Alfred Gislason, der Felix Magath unter den Handball-Trainern, kennt in der Vorbereitung auf die Bundesliga-Rückrunde bekanntlich keine Freunde. „Wir spielen zwar auch alle zwei Tage, aber im Vergleich dazu haben wir es hier richtig gut“, sagt Weinhold und wirft einen Blick aus dem Fenster. Zwei Etagen weiter unten, im Pool-Bereich des deutschen Mannschafthotels in Doha, liegen die Menschen bei 23 Grad Celsius in der Sonne und faulenzen. „Für mich ist das Bild eine zusätzliche Motivation, noch mal alles rauszuhauen und ein paar Tage länger hier bleiben zu können“, sagt Weinhold.
Am Montag beginnt auch für die Deutschen die K.-o.-Phase bei der Handball-Weltmeisterschaft, im Achtelfinale treffen sie dann auf Ägypten (16.30 Uhr, live bei Sky). Wie weit die Nationalmannschaft nach ihrem überraschenden Gruppensieg noch kommen kann im weiteren Turnierverlauf, wird ganz entscheidend davon abhängen, ob Weinhold seine starken Leistungen aus der Vorrunde in den Ausscheidungsspielen bestätigen kann. Dass Bundestrainer Dagur Sigurdsson seiner Stammformation am Samstag im letzten Gruppenspiel gegen Saudi-Arabien (36:19) eine kollektive Pause eingeräumt hat, könnte sich perspektivisch noch auszahlen. „Ein paar blaue Flecken sind schon verschwunden“, sagt Weinhold.
Eigentlich fehlen Steffen Weinhold für die Position im rechten Rückraum ein paar Zentimeter Körperlänge
Hämatome sind bei der Spielweise des 28-Jährigen programmiert. „Steffen geht immer voran, als zweiter Kapitän ist er einer unserer Leader“, sagt Sigurdsson, der einen Vorzug des Linkshänders besonders zu schätzen weiß: „Er geht dahin, wo es richtig wehtut.“ Das wiederum liegt in Weinholds körperlichen Voraussetzungen begründet. Mit 1,91 Meter ist der gebürtige Fürther eigentlich zu klein gewachsen für die Position im rechten Rückraum. Um über den für gewöhnlich mit Zwei-Meter-Hünen besetzten Mittelblock der Gegner werfen zu können, fehlen ihm schlichtweg ein paar Zentimeter.
Weinhold kann diesen Nachteil durch seine individuellen Stärken allerdings problemlos kaschieren: Sehr regelmäßig gewinnt er die Eins-gegen-Eins-Situationen mit seinem direkten Gegenspieler und initiiert damit das, worum es im Handball grundsätzlich geht: eine Überzahlsituation. Wenn sich dann der nächste Verteidiger dem Rückraumspieler annimmt, spielt Weinhold einfach zu seinem Nebenmann weiter, der seinerseits die entstandene Lücke nutzen kann. „Abräumen“ heißt das in der Handball-Fachsprache. Wenn die Verteidiger dagegen passiv am Halbkreis stehen bleiben und die Doppeldeckung vernachlässigen, kann Weinhold aus sieben, acht Metern selbst den Abschluss suchen. Aus derart geringer Torentfernung sind seine Geschosse fast immer unhaltbar für den gegnerischen Torhüter.
Steffen Weinhold ist drittbester deutscher Werfer bei der Handball-WM in Katar
„Steffen ist in Kiel bei einem absoluten Spitzenklub gelandet und bringt große Erfahrung mit, von der alle profitieren“, sagt Bundestrainer Dagur Sigurdsson, „er ist ein sehr mannschaftsdienlicher Spieler.“ Das schlägt sich auch in den Statistiken nieder: Mit 22 Feldtoren – also Siebenmeter nicht berücksichtigt – ist Weinhold bislang drittbester deutscher Werfer hinter Kapitän Uwe Gensheimer (24) und Rechtsaußen Patrick Groetzki (23). Darüber hinaus führt er die teaminterne Wertung bei den Vorlagen an. 14 seiner Zuspiele haben bereits zu erfolgreichen Torabschlüssen geführt.
Was passiert, wenn Weinhold ausnahmsweise mal nicht mitwirken kann, war im Vorrundenduell der Deutschen gegen Argentinien zu sehen. Nach zwei frühen Zwei-Minuten-Strafen lief der Rückraumspieler bereits in der ersten Halbzeit Gefahr, vom Platz gestellt zu werden. Ohne ihren individuell stärksten Mann fehlte es dem deutschen Spiel an Kreativität und Wurfgewalt. Weinholds Pendant im linken Rückraum, Paul Drux von den Füchsen Berlin, überzeugt gemessen an seinem Alter zwar auch mit einer herausragenden Leistung, so konstant und clever wie Weinhold kann der 19-Jährige die ihm aufgetragenen Aufgaben aber natürlich noch nicht erledigen. „Nach seinem Wechsel zu uns hat Steffen noch mal einen enormen Schritt nach vorn gemacht“, hat sein Vereinstrainer Alfred Gislason kürzlich erzählt. „Schönes Lob, freut mich“, sagt Weinhold darauf angesprochen. An Kiel will er im Moment trotzdem lieber nicht denken.