Halbfinale der Australian Open: Die Verwandlung des Alexander Zverev
Alexander Zverev zeigt sich in Melbourne von einer neuen Seite. Am Freitag kann er als erster Deutscher seit 17 Jahren ein Grand-Slam-Finale erreichen.
Alexander Zverev kennt sich mit Problemen aus. „Es war nicht nur mein Aufschlag, sondern auch meine Vorhand, meine Rückhand, mein Volley, meine Stopps, mein Slice, mein Return, ja sogar mit dem Wachwerden am Morgen – irgendwie hatte ich mit allem Schwierigkeiten“, sagte der 22-Jährige noch auf dem Platz zum großen John McEnroe nach dem erstmaligen Einzug ins Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers. Dort trifft Zverev am Freitag auf den Österreicher Dominic Thiem (9.30 Uhr, live bei Eurosport) und könnte mit einem Sieg der erst dritte Deutsche nach Boris Becker und Rainer Schüttler werden, der bei den Australian Open im Endspiel steht.
Dass es Zverev soweit bringen könnte, hatte ihm vor dem Turnier in Melbourne kaum jemand zugetraut – am allerwenigsten er selbst. „Ich bin ohne jegliche Erwartungen hierhergekommen, weil ich davor einfach schrecklich gespielt habe“, sagte er. Tatsächlich hatte es nach drei desaströsen Auftritten beim ATP-Cup zu Jahresbeginn an Kritik nur so gehagelt. In den Tagen vor den Australian Open muss dann allerdings einiges passiert sein, Zverev präsentierte sich in den ersten fünf Runden wie verwandelt.
Zverev macht sich nicht mehr so viel Stress bei einem Grand Slam
„Ich habe gehofft, dass ich irgendwie durch die ersten Matches komme und mich dann steigern kann“, sagte er. Dabei half ihm einerseits die recht wohlwollende Auslosung, andererseits eine neu entdeckte Lockerheit. „Vielleicht habe ich den Grand Slams früher zu viel Bedeutung beigemessen. Ich war immer sehr ungeduldig“, erzählte er. Sonst sei er nie weggegangen, hatte sich stattdessen voll auf die Turniere fokussiert. In Melbourne sei das in den vergangenen beiden Wochen anders gewesen, er hätte sich auch mal mit Freunden getroffen und sei insgesamt viel relaxter.
Auf dem Tennisplatz wirkt Zverev ruhiger als noch vor einigen Monaten. „Es wird immer noch passieren, dass ich einen Schläger kaputt mache, aber hoffentlich nicht diese Woche. Vielleicht werde ich älter“, sagte er. Von den besten 16 Spielern in Melbourne ist einzig Andrej Rubljow jünger – Zverev besiegte den Russen in drei glatten Sätzen im Achtelfinale. Im Viertelfinale hatte er das Glück, unter glühend heißer Nachmittagssonne gegen einen müden Stan Wawrinka anzutreten. Der Sieg gegen den Schweizer war Zverevs erster gegen einen früheren Grand-Slam-Champion bei einem der großen vier Turniere.
Dass der Hamburger jetzt so weit gekommen ist, mag auf den ersten Blick überraschend sei. Allerdings musste es irgendwann fast zwangsläufig passieren. Die großen Stars, egal ob Roger Federer oder Rafael Nadal haben immer wieder voller Überzeugung betont, dass Zverevs Zeit kommen würde. Der Deutsche bringt alle Voraussetzungen mit, um auch einen Titel bei einem Grand Slam zu holen. Wenn sein Arm nicht wackelt, ist Zverev ein herausragender Aufschläger. Seine beidhändige Rückhand kann es mit jeder anderen ihrer Art auf der Tour aufnehmen. Körperlich ist er mittlerweile voll auf der Höhe und ein Kämpfer war er eh schon immer.
Im Umfeld von Zverev herrscht mittlerweile Ruhe - das zahlt sich aus
Natürlich hat Zverev auch Schwächen, zu oft wird er in einem Match noch passiv und lässt sich zurückfallen. Auch Vorhand und Netzspiel sind ausbaufähig. Aber daran arbeitet er mit seinem Team. Dass er nach der Trennung von Ivan Lendl keinen neuen Coach berief, wurde ihm zuletzt in steter Regelmäßigkeit vorgeworfen. Zverev hat das registriert, es hat ihn womöglich auch angestachelt. So erklärte er auf der Pressekonferenz nach dem Sieg im Viertelfinale durchaus mit Nachdruck: „Ich bin froh, dass ich allen gezeigt habe, dass ich zusammen mit den Leuten aus meinem Team erfolgreich sein kann. Ich war das Problem, und nicht sie.“
Dazu machte er noch einmal klar, wie wichtig ruhiges Arbeiten für einen Tennisprofi ist. Nach Monaten des Streits mit Manager Patricio Apey scheint das Thema vorerst durch zu sein. Seine neue Vermarktungsagentur, die auch Roger Federer betreut, hält ihm den Rücken frei und so kann sich Zverev auf das Wesentliche konzentrieren – sein Tennis. Zuletzt waren während der Matches in seiner Box viele glückliche Gesichter zu sehen, auch das seiner neuen Freundin Brenda Patea. „Als Spieler reagierst du sehr sensibel darauf, wenn irgendwas in deinem Umfeld nicht stimmt. Ich bin sehr glücklich, dass bei mir im Moment alles in Ordnung ist“, sagte er.
Die neue Lockerheit ist noch nicht zu allen Fans durchgedrungen, in Melbourne hat Zverev zu einem noblen Trick gegriffen, um sich zusätzliche Unterstützung zu verschaffen. Sollte er die Australian Open tatsächlich gewinnen, will er das gesamte Siegerpreisgeld – immerhin vier Millionen Australische Dollar (in etwa 2,4 Millionen Euro) – für die Opfer der Buschbrände spenden. „Es gibt Leute in diesem Land, die es nötiger brauchen und echte Probleme haben“, erklärte er. Seine eigenen hat er in diesem Tagen fast vergessen lassen, sie taugen höchstens noch als lustige Anekdote bei Siegerinterviews.