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Smart Watches zählen Schritte, messen Laufstrecke und Tempo und dienen als Telefon.
© dpa

Lauf-Gadgets beim Marathon: Die Überwachung des Langstreckenläufers

GPS-Uhren, Fitness-Tracker und Smartwatches verändern das Laufen - auch beim Berlin-Marathon. Doch die Überwachung kann Nachteile haben.

Mindestens 84 Mal wird Fried Allers am Sonntag auf seine Uhr schauen, zwei Mal pro Kilometer auf den 42,195 Kilometern des Berlin-Marathons, schätzt er. Schneller vergehen wird der Leidensweg deswegen nicht, das weiß er. „Da schaut man auf seine Uhr bei Kilometer 34,2 und dann schaut man das nächste Mal drauf und man ist nur 400 Meter gelaufen“, beschreibt er das Phänomen, sich ständig auf seiner GPS-Uhr überprüfen zu müssen.

Er wird nicht der einzige Läufer mit GPS-Sender am Handgelenk, Arm oder Hüfte sein an diesem Sonntag. Trotz Beschilderung kontrollieren immer mehr Läufer ihre bereits gelaufenen Kilometer und vor allem ihr Tempo mit GPS-Uhren, Smartphone oder Bewegungssensoren im Schuh, die Daten an eine Uhr oder ans Smartphone schicken. Gerade bei Halbmarathon- oder Marathonveranstaltungen piepen die GPS-Uhren bei jedem Kilometer unisono, sodass es die Beschilderung eigentlich gar nicht mehr bräuchte. Mit der Einsamkeit des Langstreckenläufers und dem meditativen Eintauchen in die Monotonie und den Schmerz der Marathondistanz hat das nicht mehr viel zu tun. Aber was ist der Mehrwert der ständigen Überwachung und was sind die Gefahren, wenn man seine Läufe bei Facebook teilt oder auf Servern von Sportartikelherstellern speichert?

„Oh, Entschuldigung, ich habe vergessen, das Bluetooth auszuschalten“, sagt der 32-jährige Fried Allers und drückt schnell auf ein Knöpfchen am runden Plastikgehäuse seiner Laufuhr. Gerade hatte sie vibriert, weil eine Nachricht angekommen war, kaum lesbar auf dem etwa acht Zentimeter kleinen Display. Die Bluetoothverbindung braucht Allers, um die Daten vom Lauf, also die genaue Route, Streckenlänge, Geschwindigkeit und die vom optischen Pulsmesser auf der Unterseite des Displays gemessene Pulskurve auf die App des Uhrenherstellers auf sein Smartphone zu übertragen. Von dort exportiert er die Daten nochmals in eine andere App. Dort hat er einen kostenpflichtigen Premiumaccount und kann die gesammelten Daten genau analysieren.

Hobbyläufer und Profis nutzen die Technologie

Ein Blick auf die App verrät: 4640 Kilometer ist Allers seit dem 30. August 2015 gelaufen, 560 davon in den Schuhen, die er am Sonntag tragen wird. „Ich kann sehen, was ich gemacht habe und dass es etwas bringt“ sagt er. Motivation ist wohl der Hauptgrund für den Boom der Gadgets, bessere Trainingsplanung ist ein weiterer. Bei Intervallen kann Allers vorher Intervalllänge und Auslaufpausen einprogrammieren. Er sieht die elektronische Unterstützung als willkommene Hilfe für Laien. „Jemand, der Profi ist, braucht das nicht“, sagt er. „Aber ich habe ja keine Ahnung, deswegen benutze ich Uhr und App“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Ein weiterer Vorteil der Pulsmessfunktion ist die Überwachung der Gesundheit. Fried Allers brütet gerade eine Erkältung aus. Das merkt er unter anderem daran, dass sein Ruhepuls bei 50 statt wie normalerweise bei 40 Schlägen pro Minute liegt. Ausrüstungsspezialist Urs Weber von der Laufzeitschrift „Runner’s World“ hält gerade die integrierten Gesundheitsfunktionen wie die Gesundheits-App von Apple für sinnvoll. „Gesundheitsapps können das Alltagsleben einfacher machen“, sagt er. Außerdem kann man sich beim Lauf von Freunden und Bekannten tracken lassen, das erhöht das Sicherheitsgefühl.

Besonders für Menschen, die bisher keinen oder wenig Sport machen, könnten Diagramme, virtuelle Pokale und Übersichten über gelaufene Kilometer Anstoß und Ermutigung sein. „Gerade für die Motivation sind sie ein Segen“, sagt Weber über Uhren und Apps. Durch die Überwachung etwa der täglich gelaufenen Schritte könnte vor allem Schreibtischtätern bewusst werden, wie wenig sie sich in ihrem Alltag bewegen und dass eine Umstellung des Lebensstils sinnvoll sein könnte.

Ein Segen ist diese Technologiebegeisterung auch für die Hersteller der Geräte: Weber erlebt bei den Lesern seines Magazins, dass es alle paar Jahre eine neue Uhr sein muss — als Belohnung für all die gelaufenen Kilometer und Ansporn für weitere Leistungen. „Früher hat man sich neue Alufelgen geleistet, heute ist es eine neue Laufuhr“, sagt er. Trotz der hohen Preise ist der Markt für GPS-Uhren auch ein Konsum- und Verbrauchsmarkt, meint der Ausrüstungsexperte.

Die Hersteller speichern alle Daten

Dabei sind es nicht nur begeisterte Hobbyläufer, die mit GPS-Uhr und Pulsmesser laufen: Elite-Favorit Eliud Kipchoge hat ebenfalls einen Laufcomputer am Handgelenk. „Ich laufe immer mit Uhr“, sagt er. Allerdings setzt er sich vorher kein Tempo oder speichert Intervall ein. Die Daten lässt er aber von Trainingsspezialisten analysieren. Fortgeschrittene Bewegungssensoren lassen mittlerweile sogar Aussagen über den Laufstil zu.

Ein Grund für die Beliebtheit der Apps und Uhren ist die technologische Entwicklung in den vergangenen Jahren und die damit einhergehende Preisentwicklung. Mittlerweile kann jeder Smartphonebesitzer den GPS-Sender im Telefon nutzen, eine App herunterladen und sein Smartphone so als Trackinggerät nutzen. Neben den klassischen Tracking-Apps, die einem auf Wunsch nach jedem Kilometer Geschwindigkeit und zurückgelegte Strecke ins Ohr sagen, sind auch unterhaltsame Anwendungen auf dem Markt: So kann man sich von Zombies durch den Stadtpark jagen lassen oder hört Applaus durch die Kopfhörer, wenn der Lauf bei Facebook ein „Like“ bekommt. Ganze Trainingspläne kann man sich herunterladen, Hörbücher mit Laufbezug hören, speziell auf das Lauftraining abgestimmte Playlisten hören.

Trotzdem steht Weber dem Trackingwahn kritisch gegenüber: Viele Apps wurden von Sportartikelherstellern entwickelt, die Apps von Nike, Adidas und Under Armour haben ebenfalls eigene Applikationen und sammeln darüber Daten, die ihnen für Marktforschung und Produktentwicklung nützlich sind. Selbst wenn man sein Profil löscht, behält der Anbieter die Daten.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Ablenkung. „Man lässt sich jegliche Läuferei davon diktieren“, meint Urs Weber. Er hat Läufer erlebt, die beim New York-Marathon telefonierten oder die nicht loslaufen wollten, weil ihre Uhr noch keinen GPS-Empfang hatte, nach dem Motto „Ein Lauf, der nicht dokumentiert ist, hat nicht stattgefunden.“ Er selbst zeichnet zwar seine Läufe per GPS-Uhr auf, teilt sie aber nicht mit anderen, wie es etwa auf Facebook oder in den eigenen Mitgliedernetzwerken der verschiedenen App- Anbieter möglich ist. Seine Devise: „Ich habe kein Interesse daran, denn ich laufe für mich.“

Einfach mal den Stöpsel ziehen

Felix Hackenbruch geht noch einen Schritt weiter. Er läuft seit fünf Jahren und hat schon mehrere Halbmarathons hinter sich, jetzt ist er zum Berlin-Marathon angemeldet. Er hat weder einen spezifischen Trainingsplan noch läuft er mit Uhr. „Ich werde nicht schneller, wenn ich ein Uhr anhabe“, sagt er. Zwar hat er sich mit Trainingsplänen auseinandergesetzt und in den 12 Wochen vor dem Marathon intensiver trainiert; außerdem schaut er vor und nach dem Lauf auf die Uhr, um grob einschätzen zu können, wie schnell er war.Nach einer negativen Erfahrung bei einem Halbmarathon kommt eine Uhr bei ihm allerdings nicht mehr in Frage. „Ich habe ständig auf die Uhr geschaut“, erinnert er sich. „Das stresst einen, weil man ständig darauf achtet, wann man den nächsten Kilometer gelaufen ist.“ Bei einem Halbmarathon ohne Uhr horchte er dagegen in sich hinein, stellte auf halber Strecke fest, dass er noch Energie hatte und legte vor dem Ziel zu. Diese Strategie brachte ihm seine Bestzeit ein.

Aber auch im Training verzichtet er ohne Probleme auf technische Hilfsmittel. „Das ist ja auch Zeit, wo man sich mental freischwimmen kann und Dinge verarbeiten kann“, beschreibt er seine Trainingsmotivation. Das fällt ihm leichter, wenn er keine Uhr ums Handgelenk oder Kopfhörer auf den Ohren hat. Hörte er anfangs noch Hörbücher und Podcasts, hat er selbst das jetzt aufgegeben. „Lieber mal die Stöpsel rausnehmen“, ist seine Devise. „Wenn man schon mal ein bisschen Natur bekommt in Berlin, dann sollte man das auch voll genießen.“

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