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Japaner bilden in Tokio ein "Thank you" als Dank an das IOC, das die Sommerspiele 2020 an ihre Stadt vergeben hatte.
© Reuters

Olympia 2020 in Tokio: Die Rückkehr der Spiele

Trotz Fukushima – die Sommerspiele 2020 werden in Tokio steigen. Nach 1964 ist die Stadt erneut Gastgeber. Was gab den Ausschlag?

„Endlich kommen die Spiele nach Japan“, sagte Premierminister Shinzo Abe nach der Entscheidung am Sonntag strahlend, kurz nach fünf Uhr morgens japanischer Zeit. Es war der zweite Anlauf Tokios nach der Bewerbung für die Spiele 2016, die Rio de Janeiro schließlich gewann. Bei einem Public-Viewing-Event in Tokio brach Jubel aus, als Jacques Rogge, scheidender Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das Ergebnis verkündete.

War die Entscheidung vorhersehbar?

Unter Buchmachern war Tokio leichter Favorit gewesen. Auch mehrere Indizes, die anhand vergangener Entscheidungen über die Spielevergabe und der Merkmale der eingereichten Bewerbungen ein Punktesystem entwickeln, sahen Tokio leicht vor den Konkurrenten Madrid und Istanbul. Es war das knappste Rennen seit langem. Im zweiten Wahlgang gewannen die Japaner schließlich mit 60 zu 36 Stimmen gegen Istanbul.

Über die letzten Monate hatte man sich in Japan bereits als vorzeitiger Sieger gefühlt. Tsunekazu Takeda, Vorsitzender des japanischen olympischen Komitees und Bewerbungschef von „Tokyo 2020“, hatte wiederholt gesagt: „Unsere Bewerbung ist die beste. Ich mache mir keine Sorgen.“ Schließlich hat Spanien seit langem mit einer ökonomischen Krise zu kämpfen, die sich auch politisch ausdrückt und Madrids Fähigkeit, die Spiele überhaupt zu finanzieren, infrage gestellt hatte. Istanbul machte zuletzt ein Dopingskandal türkischer Athleten zu schaffen. Zudem waren erst kürzlich die Bilder von den Ausschreitungen im Stadtzentrum Istanbuls um die Welt gegangen.

Welche Rolle spielte die Nuklearkatastrophe von Fukushima?

„Tokyo 2020“ galt lange Zeit als sichere Option in Zeiten globaler Unsicherheit – bis Mitte Juli bekannt wurde, dass in Fukushima, gut 200 Kilometer nordöstlich von Tokio, täglich rund 300 Tonnen radioaktives Wasser auslaufen. Seit der Havarie dreier Atomreaktoren im März 2011 ist die Nuklearkatastrophe also weitaus weniger unter Kontrolle, als die japanische Politik immer wieder behauptet hatte. Misstrauen erweckte zudem das Timing, mit dem die Hiobsbotschaften über die Reaktoren an die Öffentlichkeit gelangten. Die Betreiberfirma Tepco wusste etwa schon länger von den gefährlichen Lecks. Kommuniziert wurden sie aber erst nach der Oberhauswahl am 21. Juli, bei der die regierende Liberaldemokratische Partei, die einzige kategorische Befürworterin der Atomkraft, eine komfortablere Regierungsmehrheit erreichen wollte. So mussten sich Bewerbungschef Takeda, Premier Abe und auch der Tokioter Gouverneur Naoki Inose zuletzt dem starken Misstrauen der Öffentlichkeit stellen. „In Tokio ist das Leben völlig normal“, beteuerte Takeda. In Japan war unterdessen eine englischsprachige Website eröffnet worden, die für sämtliche Teile Tokios radioaktive Strahlenwerte zeigt. „Die Strahlung in Tokio ist nicht höher als in London, Paris, New York oder anderen Weltstädten“, sagte Takeda. Bei der 45-minütigen finalen Präsentation vor dem IOC am Samstag warf Shinzo Abe schließlich seine persönliche Würde in die Waagschale: „Ich werde Verantwortung für Maßnahmen übernehmen, um die Situation absolut risikofrei zu halten.“

Womit hat Tokio gepunktet?

Die Japaner versprechen, mehr als 80 Prozent der Wettkämpfe in einem Acht-Kilometer-Radius um die Innenstadt zu veranstalten, lästige lange Wege, wie es teilweise bei den Spielen in London 2012 war, sollen vermieden werden. Und es soll auch garantiert sein, dass es die bisher grünsten Olympischen Spiele werden. Ein weiterer Pluspunkt war, dass ein Gros der Infrastruktur bereits steht. Zwar wird ein neues Olympiastadion gebaut. Aber insbesondere das öffentliche Verkehrssystem gehört schon jetzt zu den besten und modernsten der Welt.

Auch die Finanzierung schien im Fall Tokios am glaubwürdigsten. Das veranschlagte Budget ist zwar mit 3,4 Milliarden US-Dollar etwas höher als das der beiden Konkurrenten. Für den Fall aber, dass der geplante Etat gesprengt wird, was bei Olympia eigentlich die Regel ist, bürgt die Stadt Tokio zu hundert Prozent. Eine gute Versicherung, denn keine Stadt der Welt hat eine so hohe jährliche Wirtschaftskraft wie die japanische Metropole. Die Zentralregierung Japans hat zudem zugesagt, Kosten für Sicherheit und Gesundheit, Zoll, die Einreise der Besucher und Ähnliches zu übernehmen. Auch auf die Wirtschaft kann „Tokyo 2020“ zählen. Toyota, größter Autobauer der Welt, hat seine Unterstützung schon angekündigt.

Fairer Wetterbewerb? Weltoffenes Japan? Deutschlands Ambitionen?

War der Wettbewerb der Konkurrenten fair?

Die führenden japanischen Politiker und Funktionäre wurden über die vergangenen Monate nicht müde, die Internationalität ihrer Hauptstadt und ihres Landes zu betonen. „Tokio ist eine der weltoffensten Städte überhaupt“, war häufig zu vernehmen. Die Realität sieht etwas anders aus. Mitte April diffamierte Tokios Gouverneur Inose in einem Interview mit der „New York Times“ den Mitbewerber Istanbul: Die Stadt sei unterentwickelt und als Austragungsort ungeeignet. In der Türkei müsste noch zu viel an neuer Infrastruktur gebaut werden. Über muslimische Länder generell wusste Inose zu berichten: „Das Einzige, was sie gemeinsam haben, ist Allah, dass sie sich gegenseitig bekriegen und (soziale) Klassen haben.“ Erst nach großer internationaler Kritik bat Inose um Entschuldigung für seine Äußerungen. Ende vergangenen Jahres war Inose von seinem rechtsnationalen Vorgänger Shintaro Ishihara installiert worden. Ishihara hat immer wieder Schlagzeilen gemacht, indem er Japans Rolle im Zweiten Weltkrieg verharmloste, sich für ein stärkeres Militär im Land aussprach und in Tokio lebende Ausländer pauschal für Kriminalität verantwortlich erklärte.

Wie sieht es generell um die Weltoffenheit Japans aus?

Die Schranken für Einwanderung sind hoch, nur rund zwei Prozent der Bevölkerung haben keinen japanischen Pass. Flüchtlinge nimmt das Land so gut wie gar keine auf. Im Jahr 2010 baten 1202 Menschen um Asyl, 39 bekamen es. 2011 wurden sogar nur 21 von 1867 akzeptiert. Bei Umfragen spricht sich immer wieder eine Mehrheit gegen mehr Ausländer aus. Immerhin können sich die Japaner aber mit dem Gedanken anfreunden, die Welt für zumindest einen Monat willkommen zu heißen. 2012 war noch eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Austragung der Spiele in Tokio. Im Frühjahr lagen die Zustimmungswerte bei 70 Prozent, vergangene Woche schon bei 92 Prozent.

Welche Bedeutung hat die Entscheidung für Ambitionen Deutschlands?

Europa wird nun für die folgenden Spiele wieder ins Zentrum rücken. Eine gute Nachricht für München. Die bayerische Landeshauptstadt wird nämlich nicht nur vom DFB ins Rennen um die Fußball-Europameisterschaft 2020 geschickt, sondern kann auch auf die Ausrichtung der Winterspiele 2022 hoffen. Nicht nur Oberbürgermeister Christian Ude glaubt nun an die „große Chance“. Zwar scheiterte München beim Rennen um die Spiele 2018, doch das Konzept war gut und mit jedem weiteren Versuch steigen erfahrungsgemäß die Aussichten. Dennoch brachte sich im eigenen Land noch einmal namhafte Konkurrenz in Stellung. Berlins Landessportbund-Präsiden Klaus Böger plädiert dafür, die Sommerspiele 2024 in die Bundeshauptstadt zu holen (siehe Interview). Allerdings war das wohl eher eine formale Bewerbung. Denn der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat bereits alles für München in die Wege geleitet, am 30. September soll über die Bewerbung entschieden werden. Es wäre schon eine Art Berliner Putsch nötig, um das zu kippen. Dafür müsste Berlin die großen Verbände im DOSB wie die Schwimmer oder die Leichtathleten auf seine Seite ziehen und die starke Wintersportlobby besänftigen. Auch die Bundespolitik müsste sich für die Hauptstadt starkmachen. Dafür scheint die Zeit zu knapp. Nur wenn München in der IOC-Abstimmung 2015 scheitern und keine andere europäische Stadt den Zuschlag für 2022 erhalten würde, könnte sich eventuell eine Nische für Berlin 2024 auftun. Allerdings hätte die Stadt dann nur zwei Jahre, um eine Bewerbung aus dem Boden zu stampfen – das wäre kaum machbar.

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