WM 2014: Die Revolution bei der WM heißt Flexibilität
Unser WM-Kolumnist Lucien Favre sieht keine Dauerläufer unter den Spielern bei der WM in Brasilien. Er erkennt bei den meisten Spielen nur Kräfteeinteiler und eine Revolution.
Die lateinamerikanische Dominanz? Überrascht mich nicht so sehr. Die Mannschaften sind taktisch gut ausgebildet, sie spielen mit großer Leidenschaft und kommen am besten mit den klimatischen Bedingungen zurecht. Das sind ja manchmal drei Spiele in einem, wenn es heiß anfängt, dann plötzlich regnet und sich anschließend drückende Schwüle über den Platz legt.
Ohne Fitness ist alles nichts, aber natürlich ist Fitness nicht alles. Jetzt sind wir wieder bei der Taktik. Es gibt ja bei dieser WM keine großen taktischen Überraschungen, das wird auch niemand ernsthaft erwartet haben. Die verschiedenen Systeme sind bekannt, genau genommen gibt es seit 1958 kein neues System mehr. Das revolutionäre Element der Zukunft ist die Flexibilität. Die Fähigkeit, ansatzlos von einem ins andere System zu wechseln und damit den Gegner aus dem Konzept zu bringen.
Das funktioniert bei den Lateinamerikanern sehr gut, etwa das Switchen von einem 3-5-2 auf ein 3-4-2-1. Es gab ja schon Spiele in der Vorrunde, da hat eine Mannschaft 30 Minuten lang richtig Tempo gemacht, und diese 30 Minuten waren dann entscheidend. Das wirkt dann vom optischen Eindruck vielleicht so, als wäre diese Mannschaft über 90 Minuten Tempo gegangen, aber dieser Eindruck täuscht. Auch die Chilenen hatten bei ihrem sehr großartigen 2:0 über Spanien ihre Ruhephasen, aber die blendet man in der Nachbetrachtung gerne aus, weil eben die Tempointervalle zwischendurch so beeindruckend waren.
Lieber kein Tipp
Mich haben da besonders die Mexikaner beeindruckt. Ich hatte sie nicht so stark erwartet, aber sie spielen sehr attraktiv und mit viel Mut, dazu mit hoher taktischer Disziplin und Flexibilität. Deswegen bin ich sehr gespannt auf das Achtelfinale gegen die Holländer. Mexiko lebt von der mannschaftlichen Geschlossenheit, die Holländer profitieren von ihrer Konterstärke und der individuellen Stärke vor allem von Arjen Robben, aber auch von Robin van Persie.
Ein bisschen enttäuscht bin ich von den Argentiniern, von denen ja viele dachten, sie wären die stärkste südamerikanische Mannschaft. Das sind sie bisher ganz bestimmt nicht, trotz Lionel Messi und Angel dí María. Die einzelnen Mannschaftsteile harmonieren noch nicht miteinander, mit den drei Gegentoren in der Vorrunde waren die Argentinier ja noch ganz gut bedient. Deswegen traue ich meinen Schweizer Landsleuten im Achtelfinale durchaus eine Überraschung zu. Das Konterspiel hat zuletzt gegen Honduras mit Josip Drmic und Xherdan Shaqiri sehr gut funktioniert, so können sie auch Argentinien in Verlegenheit bringen. Aber... so etwas Ähnliches habe ich ja auch schon vor dem 2:5 gegen Frankreich gesagt. Deswegen bleibe ich dabei: lieber kein Tipp!