zum Hauptinhalt
In Brasilien kann es sehr warm und schwül werden, auch im Winter.
© dpa

WM 2014 - Wie umgehen mit der Hitze?: Abkühlen hilft beim brasilianischen Wetter

Der Sportmediziner Hans-Georg Predel spricht im Interview über die Nöte der Spieler im heißen Klima Brasiliens, Lahms ungewöhnliche Aussetzer und den leichten Vorteil der lateinamerikanischen Teams.

Professor Predel, Sie sind an der Deutschen Sporthochschule Köln Fachmann für Leistungsmedizin. Spieler und Trainer klagen über das Klima und die damit verbundenen „kritischen Belastungen“. Was ist denn kritisch an der Belastung?

Also zunächst muss man festhalten, dass der menschliche Körper, zumal der von jungen und gesunden Sportlern, sehr viel aushält. In den Medien klang es jetzt oft so, als würden sich die Spieler bei der WM gesundheitsgefährdenden Bedingungen aussetzen und stünden vor dem Kollaps. Das ist eigentlich Quatsch, wenn man ein paar Dinge berücksichtigt, die bei Profis ohnehin selbstverständlich sind.

Nämlich?

Dass man sich nicht in der prallen Sonne aufhält und wenn, nur geschützt. Dass man ausreichend Flüssigkeit vor und während des Spiels zu sich nimmt. In der Diskussion geht es aber ja eher um die Leistungsfähigkeit, und die ist schon eingeschränkt. Bei Belastungen im Grenzbereich, und da können wir eine Fußball-WM getrost hinzuzählen, sieht man, dass die klimatischen Bedingungen auch bei hochtrainierten Profis einen leistungsmindernden Effekt haben, besonders was Konzentration und Koordination angeht. Nicht wesentlich, aber so über den Daumen fehlen vielleicht drei bis fünf Prozent. Und das können im Spitzensport ja die entscheidenden Prozent sein. Man kann eine erhöhte Fehlerquote beobachten, etwa die untypischen Ballverluste Philipp Lahms im Mittelfeld, die dann zu Kontern führen. Das sind Kollateralschäden des Klimas.

Also haben wir den klimatischen Bedingungen zu verdanken, dass die WM derart spektakulär verläuft?

Absolut. Das Klima beeinflusst auch taktische Überlegungen. Die Teams wollen ein Tor schießen, solange sie noch frisch sind. Ist die Frische dann weg, steigt die Fehlerquote und es kommt zu solchen Schlachten wie gegen Ghana.

Das eigentliche klimatische Problem ist die Luftfeuchtigkeit, nicht die Temperatur. Warum?

Die körpereigene Klimaanlage funktioniert nicht mehr. Bei Belastung schwitzt der Körper und gibt darüber Hitze ab. Bei hoher Luftfeuchtigkeit kann der Körper den Schweiß aber nicht mehr so gut absondern, weil die Luft in der Umgebung sehr feuchtigkeitsgesättigt ist. Es gibt also keine Verdunstungskälte und die Körperkerntemperatur steigt.

Der Italiener Claudio Marchisio berichtete nach dem Spiel gegen England von Halluzinationen. Das klingt stark nach einem Warnsignal.

Das ist es auch. Hätte er das während des Spiels geäußert, hätte ihn ein verantwortungsvoller Mannschaftsarzt vom Platz genommen. Da sieht man, was über die angesprochenen geringgradigen Einschränkungen hinaus passieren kann. Es kann nämlich zu ernst zu nehmenden neurologischen Einschränkungen kommen, etwa im Bereich der Wahrnehmung. Die nächsten Schritte wären Bewusstseinstrübung und Fieberkrämpfe.

Muss man sich denn Sorgen machen?

Die Belastungsgrenze ist fließend, aber ich glaube nicht, dass ein Spieler mit einem Hitzschlag umkippen wird. Alle Mannschaften, auch die aus kleineren Nationen, sind medizinisch professionell aufgestellt und werden das zu verhindern wissen.

Sind die Trinkpausen eine gute Idee?

Absolut. Nur greifen sie zu kurz. Man müsste eigentlich zwei Trinkpausen pro Halbzeit machen, das würde den Spielern sicherlich guttun. Ich behaupte auch, dass die Koordinations- und eventuellen Wahrnehmungsprobleme wie im Falle von Marchisio zu den überdurchschnittlich häufigen Zusammenstößen etwa in Kopfballduellen führen. Übrigens ist die Hitze auch schuld an den vielen Fouls.

Wo der Sportmediziner Optimierungspotenzial sieht

An den Fouls?

Das Aggressionspotenzial steigt unter Hitze an. Man kennt das von Autofahrern, die bei Hitze aggressiver fahren. Es gab ja schon einige rüde Fouls und wenn das Turnier nun in die K.-o.-Phase geht und eventuell 120 Minuten gespielt werden müssen, werden wir sicherlich noch mehrere solcher Szenen sehen. Vorausgesetzt, es bleibt so heiß.

Was kann man denn überhaupt tun, um sich auf die klimatischen Bedingungen einzustellen? Die Engländer etwa sollen in Thermokleidung und Jacken trainiert haben.

Ich glaube nicht, dass eine solche Simulation der Hitze Sinn macht. Die Anpassung des Körpers erfolgt, man kann sie aber nicht durch solche Brechstangen-Methoden beschleunigen. Es dauert eben eine Weile.

Das klingt nach einem Vorteil für die lateinamerikanischen Teams, die sich nicht akklimatisieren müssen.

Es ist kein gewaltiger Vorteil, eben die angesprochenen letzten Prozentpunkte. Aber es ist auch nicht so dramatisch, wie oft dargestellt, dass die Europäer bei 30 Grad kaum noch atmen können und die südamerikanischen Teams fröhlich wie die Gazellen über den Platz springen.

Früher steckten sich die Nationalspieler Eisbeutel in die Stutzen, wenn es zu heiß war. Bringt das etwas oder ist das eher eine mentale Sache?

Nein, das ist eine gute Idee. Das Training in dicken Jacken ist eher etwas für den Kopf, weil man sich aggressiv der Situation stellt. Eisbeutel sind gut, denn sie führen dem Körper Abkühlung zu, die er selber nicht erreichen kann. Man sieht ja immer wieder Spieler, die sich Wasser ins Gesicht schütten. Das macht Sinn, denn wenn das Kühlsystem des Körpers nicht wie gewohnt arbeiten kann, muss man ihm von außen behilflich sein. Eine große Abkühlung werden die Eispacken in den Stutzen nicht bringen, aber auch da fließt das Blut vorbei und kühlt ab. Und wie gesagt: Es geht um einige wenige Prozent, da kann auch so etwas helfen.

Haben Sie als Fachmann noch einen Tipp für die deutsche Nationalelf?

Abkühlen. Und das in doppelter Hinsicht. Man muss den Körper von außen besser kühlen, in jeder sich bietenden Gelegenheit. Da sehe ich nach meinen bisherigen Eindrücken noch Optimierungspotenzial beim deutschen Team. Und fußballerisch sollte die Mannschaft versuchen, cooler und rationaler zu spielen. Ballverluste in der Vorwärtsbewegung zwingen das ganze Team, im Sprint nach hinten zu arbeiten. Das ist bei den Bedingungen noch mal besonders kräftezehrend. Aber so schlau ist die Mannschaft sicherlich auch selber.

Stephan Reich

Zur Startseite