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Deutschlandfahnen und Deutschland-Wimpel auf einem Balkon in Berlin
© dpa/Paul Zinken

Fußball-WM in Russland: Die Nationalelf eint die Deutschen nicht mehr

Die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland hat sich im Vergleich zur WM 2014 verändert. Das zeigt auch die Debatte um den Fall Özil/Gündogan. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Katrin Schulze

Es ist dieser Satz so oft bemüht worden, dass ihn viele für selbstverständlich halten, obwohl er grundlegend falsch ist: Fußball ist nur ein Spiel. Wie weit weg das von der Wahrheit ist, hat sich selten so deutlich gezeigt wie in den vergangenen Wochen. Die Nationalmannschaft spielte da mal besseren und immer mal wieder auch schlechteren Fußball, aber das hat nur am Rande interessiert – weil viel mehr auf dem Spiel steht. Auf einmal befindet sich das Team mitten in einer gesellschaftspolitischen Debatte. Ein Foto zweier deutscher Spieler mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan vor der an diesem Donnerstag in Russland beginnenden Fußball-WM reichte aus, fast ganz Deutschland aufzurütteln. Mesut Özil und Ilkay Gündogan sollen sich bis heute rechtfertigen für die Aktion, werden dafür angefeindet und von vielen deutschen Fans gnadenlos ausgepfiffen.

Die Einheit scheint verloren gegangen

Die Fußballnation Deutschland versagt ihrem Fußballnationalteam, dem Weltmeister, bedingungslose Unterstützung. Was ist da passiert? Ist das noch dasselbe Land, das vor vier Jahren mit einer berauschend spielenden Mannschaft mitgefiebert und mitgefeiert hat? Die einzigartige Einheit scheint verloren gegangen zu sein – nach innen wie nach außen. 2014 hatte vor allem das Gemeinschaftsgefühl die Deutschen von Sieg zu Sieg getragen. Es war ein Team, natürlich zusammengewachsen, in dem allein die sportliche Leistung zählte und nicht, wer woher kommt. Ein Sinnbild gelungener Integration, für das die Deutschen sich selbst feierten und – zurecht – weltweit gefeiert wurden.

Löw muss mehr als nur eine Mannschaft formen

Vier Jahre später aber wird offenkundig selbst mit der Nationalmannschaft, dem vielleicht einzigen gemeinsamen Nenner, auf den sich die Deutschen verständigen können, keine Einigkeit mehr erreicht. Jetzt genügt es als Spieler nicht mehr, alles für ein Team zu geben. Und der Job als Bundestrainer verlangt von Joachim Löw heute viel mehr, als eine funktionierende Mannschaft zu formen. Wenn schon das Nationalteam im Kleinen so viel Ärger auf sich zieht, was sagt das dann erst übers große Ganze aus? Darüber, wie gespalten die Gesellschaft bis in ihre Mitte hinein ist, wie über Integration gesprochen wird, und wie viele auf der Suche nach Identifikation zu sein scheinen?

Ein Thema für beendet zu erklären, beendet es nicht

Auch der Deutsche Fußball-Bund handelt in der Debatte ungeschickt. Es genügt eben nicht, die beiden Spieler nach ihrem Besuch bei Erdogan zum Bundespräsidenten zu führen und schöne neue Fotos zu inszenieren. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff erklärte barsch, jetzt sei es auch mal gut mit dem Thema. Nur um sich kurz darauf selbst zu korrigieren, dass die Diskussion über Integration allgemein und speziell das Foto nicht beendet sei.

Die gesellschaftliche Debatte verändert die Stimmung der Mannschaft

Es könnte so einfach sein. Wenn der Ball in Russland rollt, könnte es wieder einzig um Fußball gehen. Aber weil noch nie eine öffentliche Debatte so in eine Mannschaft hineingespukt hat, ist tatsächlich der sportliche Erfolg gefährdet. Nicht nur Özil, der sich bisher gar nicht dazu äußert, und Gündogan, der seither sichtlich verunsichert wirkt, haben etwas zu verlieren. Zusammen Geschichte schreiben, ist das Motto der Nationalmannschaft für die WM 2018. Sollte das tatsächlich gelingen, sollte das Team trotz widriger Umstände wieder den Titel holen – es wäre noch viel mehr wert als vor vier Jahren.

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