Fußball-WM 2018 in Russland: Die moralische Baustelle
In St. Petersburg werden am Samstag die Qualifikationsgruppen für die umstrittene Fußball-WM 2018 ausgelost. Ein Ereignis, das sich weder Sepp Blatter noch Wladimir Putin entgehen lassen.
Kommt Wladimir Putin nach St. Petersburg oder kommt er nicht? Natürlich kommt er. Natürlich wird er am Samstag im Konstantinpalast bei der Auslosung der Qualifikationsgruppen für die Fußball-Weltmeisterschaft eine Rede halten. Veranstaltungen von internationaler Wichtigkeit, besonders im Sport, sind für den Kremlchef und aktiven Judoka stets Chefsache. Um die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 zu sichern, schickte er sieben Jahre zuvor gleich seinen besten Mann zur Vergabe nach Guatemala: Wladimir Putin.
Es wurden die teuersten und umstrittensten Spiele der Neuzeit. Zuerst brachten miserabel entlohnte und rechtlos behandelte Gastarbeiter Russland weltweit Negativschlagzeilen, dann auch Homophobie, Diskriminierung und der Umgang mit den Ureinwohnern der Region um Sotschi: den Tscherkessen, die bei der glamourösen Eröffnung außen vor blieben. Unglücklicherweise fielen die Spiele auch noch mit dem 150. Jahrestag der Deportation der Tscherkessen ins Osmanische Reich zusammen, was Moskau ebenfalls totschwieg.
Sportler und Sportfunktionäre lobten die Spiele von Sotschi allerdings auch als perfekt inszeniert. Obwohl die Spiele schon von der Ukraine-Krise überschattet wurden. Der Höhepunkt der Proteste auf dem Maidan in Kiew fiel zeitlich mit der Abschlussveranstaltung in Sotschi zusammen. Durch die Krim-Krise und die Entwicklungen in der Ostukraine haben sich die Fronten zwischen Russland und dem Westen seit Sotschi verhärtet. Auch deshalb ist die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 an Russland international moralisch noch umstrittener als die der Winterspiele an Sotschi.
Sepp Blatter und Wladimir Putin sollen einen besonders engen Kontakt pflegen
Von Kungeleien ist da die Rede und von besonderen Beziehungen zwischen Noch-Fifa-Präsident Joseph Blatter und dem Kremlchef. Erst kürzlich ließen sich beide beim traulichen Tête-à-Tête in Putins Sommerresidenz bei Sotschi ablichten. Blatter legte sich quer gegen Forderungen, die WM 2018 neu zu vergeben. Es wäre wohl auch zu spät dafür gewesen. Moskau lehnt sich daher entspannt zurück und hat auch aus der internationalen Manöverkritik nach Sotschi nur bedingt konstruktive Schlussfolgerungen gezogen.
Nach wie vor gibt es Diskriminierungsvorwürfe. Immer wieder pöbeln russische Fans bei Fußballspielen dunkelhäutige Spieler heftig an. Und neben der Fifa interessiert sich auch die Anti-Diskriminierungsbehörde der Uno für den Eklat vergangene Woche beim ersten Saisonspiel zwischen Spartak Moskau und dem FC Ufa. Dessen Mittelfeldspieler Emmanuel Frimpong aus Ghana war von den Moskowitern beleidigt worden und hatte ihnen den Mittelfinger gezeigt. Er wurde gesperrt, die Provokateure kamen ungestraft davon.
Russland hat ein Rassismus-Problem - die Funktionäre bestreiten das
Auch Maßnahmen, die das WM-Organisationskomitee bisher zur Bekämpfung von Rassismus beschlossen hat, seien unzureichend, rügten die UN-Diplomaten. Besonders peinlich: Den Tadel trug ein Russe vor. Juri Boitschenko, Moskaus Mann in der Anti-Diskriminierungsbehörde. Kritisiert hatte den Eklat von Ufa auch der brasilianische Fußball-Nationalspieler Hulk, der als Glücksfee für die Auslosung vorgesehen war und dann absagte, aus Termingründen. Russlands Funktionäre leugnen das Rassismus-Problem hartnäckig, inklusive Sportminister und Fifa-Exekutivmitglied Witali Mutko. Hulk, in Diensten von Meister Zenit St. Petersburg, berichtete von permanenten Anfeindungen der Fans in den Stadien des WM-Gastgebers. Nun wird ihn Russlands ehemaliger Nationalspieler Alexei Smertin ersetzen. Vielleicht hilft das ja beim Traum, Titel und Trophäe für Mütterchen Russland in die Heimat zu holen. Zumal die geballte russische Unterstützung in der Fankurve schon in Sotschi ein Wunder herbeiführte: Das erste Mal nach Ende der Sowjetunion 1991 landete Russland auf Platz eins des Medaillenspiegels.
Zwar ist Russland als Gastgeber die Teilnahme an Weltmeisterschafts-Endrunde 2018 sicher. Mehr aber auch nicht. Hektisch sucht der Fußballverband daher nach einem neuen Nationaltrainer. Die Angst vor dem sportlichen Scheitern ist spürbar. Nach dem Vorrunden-Aus in Brasilien 2014 kam die Mannschaft auch in der laufenden Qualifikation für die Europameisterschaft nicht in Tritt. Trainer Fabio Capello musste gehen. Der noch nicht ernannte Nachfolger soll den Weg zur EM 2016 in Frankreich ebnen und dann die Mannschaft für das Heimturnier formen. Noch nie schied ein europäischer WM-Gastgeber in der Vorrunde aus. Dieses Szenario gilt es unbedingt zu verhindern. Capello hat auch das Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft im Vorjahr in Brasilien zu verantworten. Die Chemie zwischen dem Italiener und den Spielern habe nicht gestimmt, behaupten russische Sportjournalisten. Capello verstehe den russischen Nationalcharakter nicht. Als Russen-Versteher war allerdings auch Vorgänger Gus Hiddink nicht aufgefallen. Dem Niederländer lasten Fans und Funktionäre das schlechte Abschneiden bei der vergangenen EM an. Nun soll ein russischer Trainer ran. Zumal der weniger kostet.
Sparen ist auch bei der Weltmeisterschaft angesagt. Fallende Ölpreise und die daraus resultierende Schwäche des Rubels haben Importe um fast ein Drittel verteuert. Um Kosten zu senken wurde die Kapazität in den WM-Stadien von Nischni Nowgorod, Jekaterinburg oder Rostow am Don von 45 000 auf 35 000 Sitzplätze reduziert. Aber das wird natürlich heute in St. Petersburg nicht das Thema sein, wenn Putins Show steigt. (mit dpa)
Elke Windisch