Fazit zu den Paralympics: Die Leere zwischen den Spielen
Rio de Janeiro war weniger spektakulär als London – was heißt das für die Zukunft der Paralympics?
Die olympischen Ringe auf den Zeltplanen der Imbissbuden verblassen bereits. Viel Sonne, Wind und Regen an der Praia de Macumba, dem beliebten Surfgebiet in Rio de Janeiro, haben die Farben ausbleichen lassen. Olympia verschwindet so langsam aus Rio. Die Abschlussfeier der Paralympics am Sonntag im Maracanã stellte den Schlusspunkt der großen Wochen von Rio dar, die am 5. August mit der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele begannen. Das Stadion wird noch einmal voll sein. Für viele ist das Finale der Paralympics ein emotionaler Höhepunkt, in Rio wird es aber nur wenige Menschen interessieren. Olympia sei eben doch schon etwas anderes, heißt es auf Nachfrage in den Straßen. Noch immer kämpfen die Paralympics um Akzeptanz, nicht nur in Brasilien – kein Wunder, wenn selbst die Führung des nicht paralympischen Sports nicht hinter dem paralympischen Sport steht.
Thomas Bach interessiert sich anscheinend nicht so sehr für die Paralympics, dass der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees alles stehen und liegen lassen würde. In Rio hat Bach nicht vorbeigeschaut, auch bei der Abschlussfeier fehlte der umstrittene Funktionär aus Deutschland. Die paralympische Szene ist entsetzt. Der Chef des wichtigsten Sponsors der Veranstaltung, Otto Bock, Hans Georg-Näder, hat in Rio gar den Rücktritt Bachs gefordert. Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), geht zwar nicht so weit, stellt aber etwas erregt fest, dass Bach „der erste IOC-Präsident ist, der sowohl bei der Eröffnungs- als auch Abschlussfeier fehlt“. Verena Bentele, Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, äußert sich kritischer. Sie sagt: „Die Werte des Sports zu leben, erfordert dringend Reformen. Wir brauchen mutige Vertreter im IOC und IPC, die sich dieser Aufgabe stellen wollen. Mit seiner Abwesenheit von Rio hat Thomas Bach keinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Paralympics geleistet.“
Wenn selbst der Präsident des IOC nicht daran interessiert ist, sich zur Veranstaltung des Internationalen Paralympischen Komitees (IOS) zu bekennen, wie soll da öffentliches Interesse wachsen? Wie sollen paralympische Sportler zu echten Stars werden? Sprinter Liam Malone, vom Können her stärker einzuschätzen als der gefallene Paralympics-Star Oscar Pistorius, würde mit seinem Auftreten und Erfolg als neuer Star taugen. Doch als der smarte Neuseeländer mit der Surfer-Lockenpracht seine drei Medaillen ersprintete, war das Stadion nicht einmal halb voll. Auch große sportliche Leistungen, wie etwa die aus dem 1500-Meter-Lauf der Männer, als die ersten vier Läufer schneller waren als der Olympiasieger von Rio, hätten mehr Interesse verdient gehabt – aber das sagt sich so leicht seit Jahren in der Szene. Man kann die Menschheit schließlich nicht zum Zuschauen zwingen.
Voll war es in Rio vor allem, wenn die Brasilianer in den Teamwettbewerben am Start waren. Bei den Fernsehübertragungen von den Paralympics in Deutschland brachen die Quoten erst zu später Nacht ein. Es ist ungewiss, wie es mit den Paralympics im deutschen TV weitergeht. Der Discovery Channel hat die Rechte gekauft, die Öffentlich-Rechtlichen sind – Stand jetzt – draußen. Mediales Interesse ist schließlich oft nur ein Spiegelbild des öffentlichen Interesses. Und beides ist in der Zeit zwischen zwei Paralympischen Spielen gering.
Verena Bentele will, dass dass der paralympische Sport näher an den olympischen Sport heranrückt
Ein großes Problem sei das, findet Verena Bentele. Ihr Vorschlag ist, dass der paralympische Sport näher an den olympischen Sport heranrückt. „Wenn zum Beispiel ein Biathlon-Weltcup in Ruhpolding stattfindet, könnte doch auch ein paralympischer Biathlon dort stattfinden.“ Der paralympische Sport brauche auch einen Saisonkalender mit mehr Veranstaltungen als bisher, damit er nicht nach den Spielen in der Wahrnehmung abrutsche, findet die ehemalige Biathletin Bentele. Von einem Zusammenlegen der Olympischen und Paralympischen Spiele hält sie allerdings nichts, da sei die Gefahr zu groß, dass Olympia zu sehr dominiere.
Die Vorschläge klingen einleuchtend, ihre Realisierung ist aber nicht einfach. Die Finanzierbarkeit ist schwierig, auch weil es zu wenig international bekannte Stars gibt. In einen 58 Jahre alten Sieger im paralympischen Straßenrennen können sich womöglich mehr Menschen hineinversetzen als in einen bis unter den Helm zugedopten Millionär, der bei der Tour de France in Alpe d’Huez den Berg hochkachelt. Dennoch wird Paralympionike Hans-Peter Durst eben ein Star nur in seiner Szene bleiben, solange im Sport immer nur nach der allerbesten Zeit geschaut wird.
Kein Wunder, dass in diesem Zusammenhang der 1500-Meter-Lauf die Welt erschreckte – das konnte ja eigentlich nicht sein. Doch, es konnte. Und auch beim Thema Doping sind die Paralympics nun in Rio in einer Realität angekommen , in der sich der olympische Sport schon seit langer Zeit bewegt.
Der paralympische Sport wird weiter um Wahrnehmung kämpfen. Das Problem haben aber viele olympische Sportarten auch. Wie hießen noch mal die Olympiasieger im Schießen? Die Erinnerung an sie verblasst schneller als die aufgedruckten olympischen Ringe auf den Sonnendächern der Imbissbuden am Surferstrand von Rio. Diese Paralympics waren sicher kein Fortschritt zu den perfekt inszenierten Vorgängerspielen von London 2012 – ein Rückschritt allerdings auch nicht.