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In London ohne russische Flagge. Hammerwerfer Sergej Litwinow gehört zu den 19 Leichtathleten aus Russland, die bei den am Freitag beginnenden Weltmeisterschaften unter neutraler Flagge antreten dürfen.
© dpa

US-Dopingjäger Travis Tygart: „Die IAAF war der Fuchs im Hühnerstall“

US-Dopingjäger Travis Tygart über den Leichtathletik-Weltverband, die Weltmeisterschaften in London und falsche Siege.

Herr Tygart, am Freitag beginnen die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in London. Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro waren überschattet von Doping-Skandalen. Wie sauber werden die Wettbewerbe in London sein?

Es tut sich zumindest etwas. Inzwischen haben die Verantwortlichen in der Leichtathletik immerhin eine unabhängige Anti-Doping-Organisation gegründet, die sogenannte Athletics Integrity Unit. Das ist ein Fortschritt. Noch bis vor Kurzem war der Weltverband IAAF blind in dieser Hinsicht, beziehungsweise wollte er nicht hinschauen auf die schmutzige Leichtathletik. Die IAAF war der Fuchs im Hühnerstall.

Berichten zufolge erhielten 2011 ranghohe Vertreter der IAAF eine Art Schutzgeld von Athleten, die auffällige Blutwerte hatten. Auch sind offenbar Blutproben jamaikanischer Sprinter, die Spuren eines Dopingmittels enthielten, von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada nicht weiter verfolgt worden. Wie korrupt ist das System?

Natürlich hat die Leichtathletik durch die grassierende Korruption unter hochrangigen Funktionären ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem. Dies führt dazu, dass viele saubere Athleten auch unter Verdacht stehen, und das ist sehr unfair. Es geht jetzt darum, dass sich die Wada und die internationalen Sportorganisationen schnell reformieren, um die Leichtathletik zu retten. Wir hoffen, dass das passiert. Aber das Zeitfenster, in dem gehandelt werden muss, wird sich schnell schließen.

Die US-Anti-Doping-Agentur gilt als erfolgreichste Einrichtung im Kampf gegen Doping. Aber wie sieht es mit den Anti-Doping-Agenturen weltweit aus?

Jede Organisation muss besser werden, um letztlich saubere Athleten zu schützen, auch die US-amerikanische. Wir arbeiten jeden Tag hart dafür. In Russland aber arbeitete zuletzt keine Anti-Doping-Agentur, sondern eine Doping-Agentur. Diese half beim Betrügen der russischen Sportler und schickte sie schließlich zu Wettbewerben, bei denen sie sauberen Athleten die Siege stahlen.

Wie stark ist die Wada?

Derzeit kontrolliert der Sport die Wada, und er wird das wohl auch noch weiter tun. Die Wada ist Einflüssen aus Sportmarketing und Sportpolitik ausgesetzt und so lange das der Fall ist, wird die Wada nicht erfolgreicher darin sein, saubere Sportler vor Dopingsündern zu schützen.

Die deutsche Anti-Doping-Agentur beklagt sich regelmäßig darüber, dass sie nicht genug finanzielle Mittel hat, um Doping bekämpfen zu können. Ist dies das Hauptproblem im Kampf gegen Doping?

Natürlich sind die finanziellen Ressourcen ein Schlüssel im Kampf gegen Doping. Und die Sache ist ja: Das Geld ist da. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) gab in seinem Finanzreport 2015 ein Vermögen von rund 1,4 Milliarden Dollar bekannt. Es fehlt derzeit aber der Wille, das nötige Geld für den sauberen Sport zu investieren.

Travis Tygart, 46, ist der wichtigste Dopingjäger in den USA und Leiter der US-Anti-Doping-Agentur.
Travis Tygart, 46, ist der wichtigste Dopingjäger in den USA und Leiter der US-Anti-Doping-Agentur.
© dpa

19 russische Sportler dürfen als neutrale Athleten in London antreten. War das eine richtige Entscheidung des Leichtathletik-Weltverbandes? Oder hätten alle russische Athleten nach Bekanntwerden von systematischem Doping in Russland gesperrt werden sollen?

Nicht antreten zu dürfen, obwohl man sauber ist, ist das Schlimmste. Deswegen finde ich es gut, dass diese Athleten in London an den Start gehen dürfen, zumal sie die harten Richtlinien der IAAF gemeistert haben.

Wie sehen Sie die Fortschritte Russlands im Kampf gegen Doping?

Das ist eine schwierige Frage. Die IAAF sperrt russische Athleten größtenteils aus, der Wada-Präsident erzählt etwas von Fortschritten in Russland. Das Wichtigste wäre nun Transparenz. Auf der Internetseite der US-Anti-Doping-Agentur kann man sich darüber informieren, welcher Sportler wann und wie oft getestet wurde. Warum zum Beispiel gibt es so etwas nicht in Russland. Das würde uns schon helfen.

Russland gilt nun als die Doping-Nation. Besteht die Gefahr, dass andere Länder deshalb aus dem Fokus rücken? Auch in Deutschland war immer von der Doping-Nation DDR die Rede, später war die Verwunderung groß, dass auch in der Bundesrepublik gedopt wurde.

Ich verstehe die Frage, aber letztlich geht es einfach nur darum, die Regeln einzuhalten und Russland hat dagegen krass verstoßen. Die Strafe muss hart sein, und im Falle von Russland mit dem Teil-Ausschluss bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro war sie das nicht. Russland hatte systematisch gedopt. Wenn das IOC künftig ähnlich handelt, bekommt der Sport das Problem nicht in den Griff.

Russland ist nicht das einzige Land, das unter systematischem Dopingverdacht steht. Jamaika gilt als Sprint-Wunderland. Was macht dieses Wunder möglich?

Die sauberen Athleten von Jamaika verdienen ein gutes Anti-Doping-System und es ist sehr unfair, diesen Athleten jetzt vorzuwerfen, dass sie das nicht haben. Es sind die jamaikanischen Behörden, die daran schuld sind. Die Behörden müssen die Sportler einfach intensiver kontrollieren.

Die Vergangenheit hat gezeigt: Viele Sieger der Leichtathletik entpuppten sich als Betrüger. Glauben Sie, dass der Verrat in der Leichtathletik und im Sport generell irgendwann einmal gestoppt werden kann?

Sind wir ehrlich: Unter dem Druck zu gewinnen, ist das ein hehres und leider kein realistisches Ziel. Wir müssen eine neue Kultur etablieren können, eine, nach der unsaubere Siege keine echten Siege sind. Ich habe jüngst mit einem Doping-Sünder gesprochen, der hat mir auch genau das erzählt, dass sich seine Siege nicht gut angefühlt haben. So geht es sicher den meisten, die betrogen haben. Denn schmutzig zu gewinnen, macht einfach keinen Spaß.

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