Olympische Spiele in Tokio vor Absage: „Die Hängepartie ist extrem belastend“
Johannes Herber von der Sportlergewerkschaft Athleten Deutschland hält Olympia in Tokio für unwahrscheinlich. Er fordert mehr Klarheit vom IOC.
Der ehemalige Basketball-Nationalspieler Johannes Herber ist seit vergangenem Jahr Geschäftsführer der Sportlergewerkschaft „Athleten Deutschland e.V.“ Im Interview spricht er über eine mögliche Absage der Olympischen Spiele.
Herr Herber, das Coronavirus hat auch den Sport mit voller Wucht getroffen. Glauben Sie als Vertreter der Athleten Deutschlands, dass die Olympischen Spiele in diesem Sommer in Tokio noch stattfinden werden?
Es gibt immer ein bisschen Hoffnung. Und im Moment kann ja niemand sagen, wie schnell und wie gut die Maßnahmen gegen das Virus die starke Verbreitung eindämmen. Aber klar ist auch, dass die Entwicklung in den vergangenen Tagen sehr rasant war und es immer unwahrscheinlicher wird, dass die Spiele stattfinden. Für die Athleten, die wir vertreten, wünsche ich mir dennoch, dass es noch diesen Funken Hoffnung gibt.
Fast alle großen Sportveranstaltungen für dieses Jahr, unter anderem die Fußball-EM, sind abgesagt worden. Es gibt inzwischen Kritik, dass das Internationale Olympische Komitee IOC das mit den Olympischen Spielen noch nicht getan hat.
Nun hat das IOC auch mehr Zeit, die Spiele würden ja erst Ende Juli und nicht wie die Fußball-EM im Juni beginnen. Deswegen kann ich verstehen, dass das IOC noch etwas wartet. Wir von Athleten Deutschland fordern deshalb auch keine sofortige Absage. Allerdings muss das IOC strikt und für alle nachvollziehbar dem Prinzip folgen, das es sich selbst gesetzt hat: Die Gesundheit aller Involvierten zu schützen und die Eindämmung des Virus zu unterstützen. Wir schauen dabei nicht nur auf die Athleten, sondern auch auf jene, die vor Ort die Spiele vorbereiten müssen und in den Lieferketten arbeiten.
Fühlen sich die Athletenvertretungen vom IOC in den Kommunikationsprozess hinreichend eingebunden?
Ich für uns kann sagen, dass wir kaum mehr mitbekommen, als in den offiziellen Mitteilungen bekannt gegeben wird. Es wäre aus unserer Sicht wichtig zu wissen, welches die konkreten Kriterien sind, nach denen das IOC am Ende seine Entscheidung trifft. Die momentane Hängepartie ist für die Athleten extrem belastend und wir wünschen uns deshalb so viel Klarheit wie möglich.
Wie konkret sind die Athleten in ihrem Alltag betroffen?
In vielerlei Hinsicht. So sind die meisten Trainingsstätten geschlossen. Viele trainieren zu Hause, teilweise in ihren Wohnungen. Dann herrscht heilloses Durcheinander, was die Qualifikationswettkämpfe angeht. Bei den Boxwettbewerben in London zum Beispiel wurde kurz vor den Entscheidungen abgebrochen. Hinzu kommt, dass es den Athleten schwerfällt, in diesen Zeiten die Spannung hochzuhalten, weil vieles gegen die Olympischen Spiele in diesem Jahr spricht. Aber natürlich ist den Athleten bewusst, dass derzeit alle Menschen von dieser Unsicherheit betroffen sind.
Dennoch wäre der Verzicht auf Olympia für manche besonders schwer.
Viele Athleten haben sich auf diese Olympischen Spiele viele Jahre vorbereitet, es soll für sie der Höhepunkt ihres bisherigen Lebens werden. Wenn das unmittelbar bevorstehende Ziel dann plötzlich gekippt werden sollte, wäre das unglaublich bitter für diese Athleten. Olympische Spiele sind etwas sehr Besonderes, schon allein, weil sie nur alle vier Jahre stattfinden. Ich denke da zum Beispiel an unseren Sprecher Max Hartung. Für ihn wären diese Spiele sicher die letzten in seiner Karriere. Sollten sie ausfallen, wäre es hart für ihn. Aber er ist eben nur ein Fall von ganz vielen.
Wie groß wäre der finanzielle Schaden für die Athleten bei einer Olympia-Absage?
Das ist momentan noch nicht absehbar, aber für einige könnte es existenzbedrohend werden. Dabei ist für die meisten Athleten aus Deutschland eine finanzielle Grundsicherung durch die Anstellung bei der Bundeswehr oder Bundespolizei sowie durch die Förderung der deutschen Sporthilfe gegeben. Aber sicher wird es Ausfälle von Sponsorengeldern geben, wodurch gerade die Sportler mit Freiberuflerstatus in eine finanzielle Schieflage geraten werden. Ich denke da zum Beispiel an unsere Beachvolleyballer. Sie finanzieren ihre Trainingslager und Trainer selbst, haben hohe Ausgaben für ihre Reisen und medizinische Betreuung.
Sollte Olympia doch stattfinden, wäre dann überhaupt eine Chancengleichheit gewährleistet?
Das ist ein guter Punkt, denn tatsächlich dürfte das kaum möglich sein. Viele Qualifikationswettkämpfe haben noch gar nicht stattgefunden. Wie soll man sich zum Beispiel in der Leichtathletik qualifizieren, wo es nach Norm geht und diese Normen bei ausbleibenden Wettkämpfen nicht erzielt werden können? Das ist alles sehr schwierig. Hinzu kommt, dass in manchen Ländern wie zum Beispiel China die ersten Wettkämpfe wieder stattfinden, während hierzulande alles abgesagt worden ist. Sollten die Spiele in Tokio durchgeführt werden, müsste man sich an den Gedanken gewöhnen, dass es nicht die fairsten Spiele sein werden. Die Wettbewerbsverzerrung wäre da und wir müssten sie hinnehmen.
Dann wäre doch eine Verschiebung um ein Jahr, wie es nun der europäische Fußballverband Uefa mit der EM gemacht hat, das Beste, oder nicht?
Sicher würde ein Großteil der Athleten mit einer Verschiebung der Spiele angesichts der Umstände vorliebnehmen. Auch wenn es eine harte Nuss wäre, die Qualifikationswettbewerbe nun komplett neu aufzurollen. Aber eine Verschiebung um ein Jahr würde eine größere Fairness garantieren.