Planwirtschaft im US-Fußball: Die Amerikanerinnen siegen bei der WM mit System
Die USA trumpfen bei der Fußball-WM der Frauen groß auf – weil sie ihre Spielerinnen besser fördern als andere Länder. Eine Analyse.
Es gibt einen höher gelegenen Punkt in Lyon, der all die vielen anderen schönen Punkte dieser so prachtvollen Stadt noch einmal überragt. Dort oben, auf dem Hügel Fourvière thront die Notre-Dame de Fourvière, eine wuchtige Basilika aus dem 18. Jahrhundert. Wer in diesen Tagen die Waldwege zu diesem begehrten Ausflugsziel betritt, trifft erstaunlich viele Menschen, die ein Trikot der US-amerikanischen Fußballmannschaft tragen.
Sie geben sich so selbstbewusst wie ihre Heldinnen bei dieser WM spielen. Und nach dem spektakulären 2:1-Sieg im Halbfinale gegen England ist der Hochmut noch größer geworden. Vielleicht auch deshalb, weil der Triumph über die Britinnen auch ein Erfolg für den Frauenfußball an sich war – und in letzter Konsequenz einer des US-Fußballsystems.
In den Staaten organisiert der Verband straff, wie seine Fußballerinnen auszubilden sind. Auf der Insel verantwortet die Liga Wachstum und Fortschritt. Beide Systeme eint, dass sie dank guter Strukturen den Frauenfußball gerade auf ein neues Niveau heben. Zu bewundern war das am Dienstagabend, als die Weltspitze den 53.512 Fans in Lyon eine rasante Partie bot. Was die englischen und US-amerikanischen Spielerinnen zeigten, war der bisherige Höhepunkt einer WM, die Maßstäbe setzt.
„Wir haben die beste Weltmeisterschaft überhaupt gesehen“, sagte Englands Trainer Phil Neville. „Das war ein großartiges Spiel“, sagte US-Kapitänin Alex Morgan kurz vor Mitternacht. An ihrem Geburtstag hatte die nun 30-Jährige nicht nur zahlreiche Glückwünsche souverän entgegengenommen, sondern auch das Siegtor zum 2:1 per Kopf erzielt. „Wir haben heute alles gesehen: VAR, Elfmeter, einen Platzverweis. Es war alles drin, eine unglaubliche Nacht“, sagte Morgan über ein Duell, das Intensität, Tempo und spielerische Klasse verband.
Amerikanischer Plan mit Eigenheiten
Die jeweils so knappen Erfolge der US-Spielerinnen in der K.-o.-Runde gegen Spanien (Achtelfinale), Frankreich (Viertelfinale) und nun gegen England kamen dabei keinesfalls glücklich zustande. Sie sind vielmehr das Ergebnis eines Plans, der durchaus gewissen Eigenheiten unterliegt. In den USA steuert die United States Soccer Federation (USSF) die heimische Profiliga.
Nichts passiert in der National Women’s Soccer League ohne Zustimmung der USSF, die Gehälter der Nationalspielerinnen bezahlt sogar der Verband. Topspielerinnen wie Morgan oder Megan Rapinoe können auf umgerechnet bis zu 150.000 Euro jährlich kommen. Weil die Gelder von zentraler Stelle fließen, verteilt der Verband auch die Nationalspielerinnen gleichmäßig auf die neun Profiteams der Soccer League. Wenn es um Sport geht, endet in den USA der Marktliberalismus.
Der Verband will beispielsweise, dass die Spielerinnen ihren Nationalmannschaftsbonus nur dann beziehen, wenn sie tatsächlich für einen Klub in den USA übers Feld rennen. Das hält Stars wie Rapinoe in der Heimat und die Liga attraktiv. Im aktuellen WM-Kader ist keine Spielerin bei einem Klub außerhalb der USA angestellt. Warum auch? Die Zuschauerresonanz – durchschnittlich besuchen mehr als 6000 Fans ein Ligaspiel – stimmt, die Arbeitsbedingungen an den Standorten sind überdurchschnittlich gut.
Ausgerechnet mit einem planwirtschaftlich anmutenden Ansatz fördert der Verband also seinen Spitzenfußball, der in Titeln zurückzahlt. Am Sonntag steht der Rekordweltmeister vor seinem vierten Stern nach 1991, 1999 und 2015. Nie schnitt man bei einem Weltturnier schlechter ab als auf Platz drei, viermal wurden die USA schon Olympiasieger (1996, 2004, 2008 und 2012). „Wir sind nur aus einem Grund hier“, sagt Trainerin Jill Ellis, „um das Turnier zu gewinnen.“
Englands starke Liga als Nährboden
Die Engländerinnen zeigten derweil, dass auch eine starke Liga den Nährboden für eine erfolgreiche Nationalmannschaft bilden kann. Die etablierten Großklubs bringen hier Schwung, sie investieren längst in Frauenteams, nachhaltig, wie es scheint. Klubs wie Arsenal und Manchester City sind führend in der Women’s Super League, die ab der kommenden Saison von der britischen Großbank Barclays gesponsert wird. Insgesamt 11,6 Millionen Euro sollen in den kommenden drei Jahren fließen. In England forciert der Verband zusätzlich die Verzahnung zwischen Männer- und Frauenfußball, von der Expertise der Premier League profitiert das Nationalteam etwa durch Phil Neville, Champions-League-Sieger einst mit Manchester United.
Vor ein paar Jahren fiel er noch mit sexistischen Tweets zum Thema Frauenfußball auf, inzwischen steht er an der Spitze der Bewegung. „Die letzten 18 Monate waren die besten meiner Karriere“, sagte der Coach nach dem 1:2. Er wirkte trotz der Niederlage so energisch, dass man dem deutschen Frauenfußball einen wie ihn direkt als Berater wünschen würde. „Der Zug fährt mit voller Kraft voraus, wir blicken einer superspannenden Zukunft entgegen“, sagte Neville. Der Status quo reicht Englands Fußballerinnen nicht aus, sie forcieren den Angriff auf die USA. „Aktuell haben sie das beste Team, aber vielleicht holen wir sie mal noch ein.“