zum Hauptinhalt
Jacob Heidtmann schwamm stark, aber unsauber. Die Folge: Disqualifikation.
© dpa

Nicht schon wieder: Deutsche Schwimmer verpatzen Olympia-Auftakt

In London waren die deutschen Schwimmer erstmals seit 80 Jahren medaillenlos geblieben. Das soll sich in Rio nicht wiederholen - aber der erste Tag lässt Schlimmes befürchten.

Florian Vogel blickte starr nach vorn, Alexandra Wenk schüttelte mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf, Jacob Heidtmann wurde sogar von einem richtigen Weinkrampf geschüttelt. Den meisten deutschen Schwimmern war nach ihren Auftaktrennen im Olympic Aquatics Stadium nicht nach Reden zu Mute. Das Team des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) legte am Samstag in Rio einen Start hin, der einige Parallelen zu der historisch schwachen Vorstellung zu den Spielen von London aufwies. 2012 waren die deutschen Beckenschwimmer erstmals seit 80 Jahren ohne Medaille geblieben, in Rio kamen zum Auftakt sechs von sieben Startern nicht über den Vorlauf hinaus. Allein Brustschwimmer Christian vom Lehn qualifizierte sich über 100 Meter als 15. knapp für das Halbfinale am späten Abend, den Endlauf in der Nacht zu Montag verpasste dann aber auch er. 

Für die Höhepunkte des ersten Schwimmtags sorgten Adam Peaty und Katinka Hosszu und die australischen Freistilsprinterinnen. Der Brite Peaty stellte über 100 Meter Brust bereits im Vorlauf in 57,55 Sekunden einen neuen Weltrekord auf. Und die Ungarin Hosszu unterbot über 400 Meter Lagen den Weltrekord der Chinesin Ye Shiwen sogar um mehr als zwei Sekunden. Hosszus Zeit von 4:26,36 sorgte auf den Tribünen für großen Jubel bei vielen und offene Münder bei einigen. Ähnliche Reaktionen hatte Ye Shiwen bei ihrem Weltrekord-Olympiasieg 2012 in London verursacht, als die damals 16-Jährige auf der letzten Bahn schneller unterwegs war als Ryan Lochte, der Olympiasieger bei den Männern. Die Schwimm-Nation USA blieb am ersten Finalabend ohne Goldmedaille, in der 4 x 100 Meter Freistilstaffel verwies Australien das US-Team in Weltrekordzeit auf Rang zwei.

Heidtmann schwimmt deutschen Rekord - und wird disqualifiziert

Den wahrscheinlich bittersten Start aller Schwimmer erlebte Heidtmann: Der 21-Jährige zeigte über 400 Meter Lagen ein starkes Rennen, unterbot in der Zeit von 4:11,85 Minuten seinen eigenen deutschen Rekord und hätte als fünftschnellster Starter den Endlauf erreicht. Als er aber aus dem Becken kletterte, leuchteten auf der Anzeigetafel hinter seinem Namen die Buchstaben „DSQ“ auf – Heidtmann war disqualifiziert worden. Die Kampfrichter hatten entdeckt, dass der Deutsche beim Wechsel auf die Bruststrecke zwei Delphinkicks mit den Beinen ausgeführt hatte, erlaubt ist aber nur einer. Das deutsche Team kündigte zunächst einen Protest an, entschied sich nach Ansicht der Fernsehbilder aber gegen diesen Schritt.

„Kein Frage: Der erste Tag ist nicht so gelaufen, wie wir uns das gedacht haben. Wir hatten auf drei bis vier Halbfinal- und Finalplätze gehofft“, sagte Chef-Bundestrainer Henning Lambertz. „Es sind individuelle Fehler gemacht worden, nicht nur im Rennen, sondern auch im Vorfeld.“ Damit meinte Lambertz nicht nur Heidtmanns technischen Fauxpas, sondern auch Alexandra Wenk, die seiner Meinung nach die Umstellung auf die späten Startzeiten in Rio nicht diszipliniert genug umgesetzt hatte. Lambertz zeigte sich trotzdem optimistisch für die weiteren Wettkampftage: „Es ist erst ein halber Tag vorbei. Dieses Team ist stark, dieses Team ist gut drauf.“ Lambertz riet Heidtmann, ins olympische Dort zurückzufahren und sich „etwas zu nehmen, was aus Pappe und nicht teuer ist – und das kaputt zu machen“.

Nur Brustschwimmer Christian vom Lehm kam eine Runde weiter

Heidtmanns Fehlkick schien seine Teamkollegen negativ zu beeinflussen. Wenk, Clemens Rapp und Franziska Hentke sowie das 17 Jahre alte Riesentalent Johannes Hintze blieben weit über ihren Bestzeiten und schieden aus. Florian Vogel hatte großes Pech und verpasste den Endlauf über 400 Meter Freistil als Neunter nur um sechs Hundertstelsekunden. Erklären konnten sich die deutschen Schwimmer ihre Auftritte nicht. Wenk zeigte sich „fassungslos“, die Münchnerin sagte, sie habe sich eigentlich gut gefühlt. Diesen trügerischen Eindruck hatte auch Hentke. „Ich war erstaunt, dass ich so langsam war“, sagte die Magdeburgerin, die ihr Ausscheiden über 400 Meter Lagen allerdings verschmerzen kann: Ihre Spezialstrecke 200 Meter Schmetterling steht erst am Dienstag  auf dem Programm. Auch Clemens Rapp stimmte in den Chor der Ratlosen mit ein. „Hinten raus tat alles weh, es ging irgendwie alles nicht“, sagt Rapp. „Das muss man erst einmal sacken lassen.“ Die besten deutschen Starter und Strecken würden aber noch kommen, gab Rapp zu bedenken. Das deutsche Resümee des ersten Tags hätte sicher auch anders ausgesehen, wäre Heidtmann durchgekommen und Vogel nicht hauchdünn gescheitert.

So aber war Christian vom Lehm, der als letzter Deutscher gestartet war, der einzige, der gute Laune hatte. Er habe sich von den Missgeschicken der Kollegen nicht beeindrucken lassen, sagte der 24-Jährige. Und für Jacob Heidtmann hatte vom Lehn noch ein paar tröstende Worte übrig. „Eigentlich pfuscht jeder bei diesen Delphinkicks, alle reizen das aus“, sagte er. „International ist so eine Disqualifikation noch nie vorgekommen, glaube ich.“ Wirklich aufbauen konnte dieser Erkenntnis aber auch niemanden mehr.

Zur Startseite