Zwei Herzen schlagen in einer Brust: Deutsch-Türkische Fußballer müssen sich immer erklären
Die einen spielen für Deutschland, die anderen für die Türkei. Doch egal, für wen sie sich entscheiden: Sie werden auf jeden Fall dafür angefeindet.
Kaan Ayhan und Ahmed Kutucu sind in Gelsenkirchen geboren. Nazim Sangaré in Köln, Hasan Kaldirim in Neuwied, Hakan Calhanoglu in Mannheim und Kenan Karaman in Stuttgart. Am Mittwoch (20.45 Uhr/RTL) stehen alle im Kader der Fußball-Nationalmannschaft der Türkei, der Heimat ihrer Eltern, und treffen auf das Team ihres Geburtslandes.
Und dabei diesmal nur auf einen quasi doppelten Landsmann, den in Frankfurt/Main als Sohn türkischer Einwanderer geborenen Emre Can. Der in Gelsenkirchen auf die Welt gekommene Ilkay Gündogan fehlt nach einer Corona-Infektion, der in Bingen geborene Suat Serdar wegen einer Muskelverletzung.
Was sie alle eint, sind die zwei Herzen in ihrer Brust. Und die schwere Entscheidung, die sie treffen mussten. Die Fußballer, die sich beiden Ländern eng verbunden fühlen, mussten entscheiden, ob sie für das Land ihrer Eltern spielen wollen oder für das Land, in dem sie aufgewachsen sind.
Dabei wurde an ihnen gezerrt, sie wurden beeinflusst, teilweise wurde Druck ausgeübt. Ein schwieriges Umfeld für eine emotionale und doch weitreichende Entscheidung junger Menschen, die für viele immer auch als ein Politikum gilt.
Özil blieb in seinen neun Jahren mit 92 Länderspielen immer ein Streitobjekt
Wie groß die Zerrissenheit ist, verspürte Mesut Özil in seiner gesamten Karriere. Als der gebürtige Gelsenkirchener eine erste Umfrage in seiner Familie startete, ergab diese ein Ergebnis von 2:2, wie Özil im Kapitel „Türkisch-deutsches Streitobjekt“ in seiner Biografie erzählte.
Mutter Gulizar, die an seine Wurzeln erinnerte, und Schwester Nese, die die Trikots schöner fand, rieten ihm zur türkischen Nationalmannschaft. Vater Mustafa wollte, dass sein Sohn für das Land spielt, in dem er aufgewachsen ist, Bruder Mutlu erinnerte an die größeren deutschen Erfolge.
Özil entschied sich für Deutschland. Als er seinen türkischen Pass im Generalkonsulat abgeben wollte, sei er zunächst ignoriert worden, berichtete er. Und in seinen neun Jahren mit 92 Länderspielen blieb er immer ein Streitobjekt.
Habe er gut gespielt, sei er der Deutsche gewesen, monierte er. Habe er schlecht gespielt, sei er der Deutsch-Türke gewesen. Und er verstand nicht, „warum nur ich so bezeichnet werde. Bei Sami Khedira sagt keiner „der Deutsch-Tunesier“ oder bei Lukas Podolski und Miroslav Klose „der Deutsch-Pole““.
Özils Karriere im Nationalteam endete nach einem Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, von dem er sich im Gegensatz zu Gündogan öffentlich nicht distanzierte. Bei seinem Rücktritt 2018 äußerte er viele Vorwürfe, später sagte er unter anderem: „Rassismus war immer da, aber diese Situation wurde von diesen Menschen als Entschuldigung dafür genutzt, ihn auszuleben.“
Özil ist der Extremfall, doch den Druck erlebten viele Spieler in seiner Situation. Die Situation spitzte sich um 2010 zu, als der DFB mit dem damaligen Sportdirektor Matthias Sammer aktiv um Spieler mit Migrationshintergrund warb und gleichzeitig der türkische Verband den früheren Dortmunder Profi Erdal Keser als Europa-Scout in Deutschland einsetzte.
Halil Altintop entschied sich damals für die Türkei und erklärte, er könne Özils Entscheidung respektieren, aber nicht unterstützen. Nuri Sahin fand versöhnliche Worte. „Die Jungs haben es nicht bereut, und ich habe es auch nicht bereut“, sagte er: „Das Wichtigste ist, dass man sich wohlfühlt.“
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Doch klar ist: Sie alle werden von beiden Seiten kritisch beäugt. So wurden der Düsseldorfer Karaman und sein damaliger Vereinskollege Ayhan im Herbst 2019 in Deutschland kritisiert, weil sie sich in der Kabine dem Militärgruß anschlossen. Als beide diesen wenige Tage später beim nächsten Spiel verweigerten, gab es Kritik in der Türkei.
Gündogan und Can beeilten sich, Likes unter Fotos des Saluts einzuordnen. „Glauben Sie mir: Nach dem letzten Jahr ist das Letzte, was ich wollte, ein politisches Statement zu setzen“, sagte Gündogan. (dpa)