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Johan Cruyff hat den Fußball geprägt - als Spieler und Trainer.
© dpa
Update

Zum Tod von Johan Cruyff: Der verspielte Fußballrevolutionär

Er hat den Fußball geprägt wie kaum ein anderer. Nun ist Johan Cruyff im Alter von 68 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben. Ein Nachruf.

Cruyff ist es zu verdanken, dass all die Fußballbeamten, die als Trainer oder andere Verantwortliche den Spielern einimpfen wollten- Hauptsache, hinten steht die Null- nicht den Fußball zerstörten. Ihre Bedeutung wurde geschmälert. Darin sehe ich die Bedeutung von Cruyff: Er hat das Spiel - als Spiel - am Leben gehalten.

schreibt NutzerIn 2010ff

Hendrikus Johannes Cruyff hat in seinem Leben zwei Mal richtig schlechte Erfahrungen mit den Deutschen gemacht. Das zweite Mal war am 7. November 1978, als er zu seinem Abschiedsspiel als Profifußballer den FC Bayern München eingeladen hatte. Es sollte, wie das bei solchen Gelegenheiten üblich ist, ein netter Abend werden, von sportlich minderer Bedeutung. Aber die Münchner hatten an jenem Abend keine Lust, nett zu sein. Bei ihrer Ankunft am Flughafen in Amsterdam war niemand erschienen, um sie in Empfang zu nehmen; das Hotel, in dem die Münchner untergebracht waren, empfanden sie als zweitklassig, und beim Warmmachen im Olympiastadion wurden die Spieler von den Rängen als „Nazi-Schweine“ beschimpft. In der Kabine vor dem Anpfiff richtete Paul Breitner das Wort an seine Kollegen. „Herrschaften“, sagte er, „wir werden heute Geschichte schreiben.“ Und das taten sie. 8:0 hieß es am Ende für die Gäste aus Deutschland, und als Cruyff fünf Minuten vor dem Ende ausgewechselt wurde, waren von den ursprünglich 60.000 Zuschauern nur noch 30.000 da.

Vier Jahre vorher, am 7. Juli 1974, hatten sich die Deutschen schon einmal als Partycrasher für Johan Cruyff und die Holländer betätigt. Dabei schien alles für ihren großen Triumph vorbereitet. Obwohl das WM-Finale im Münchner Olympiastadion ausgetragen wurde und die Deutschen aktueller Europameister waren, galten die Holländer in diesem Duell als der klare Favorit. Bei ihrer ersten WM-Teilnahme seit 1938 waren sie gleich ins Finale gestürmt. Und mehr als das: Mit ihrem totalen Fußball – alle stürmen, alle verteidigen – hatten sie das Spiel revolutioniert.

Ihr Revolutionsführer war Johan Cruyff, dieser schmächtige Kettenraucher mit der Nummer 14, ein Grenzgänger zwischen Mittelfeld und Sturm. Einer, der sich den gängigen Kategorien immer entzogen hat. Cruyff besaß in der Elftal eine Ausnahmestellung wie vielleicht kein anderer Fußballer vor oder nach ihm. Die Rückennummern der holländischen Spieler waren bei der Weltmeisterschaft 1974 in alphabetischer Reihenfolge vergeben worden; deshalb trug Torhüter Jan Jongbloed die Acht und nicht die Eins. Einzige Ausnahme: Johan Cruyff, der auf seiner 14 bestanden hatte. Hollands Kapitän trug nicht einmal das gleiche Trikot wie seine Kollegen. Weil Cruyff bei Puma unter Vertrag stand, hatte er sich geweigert, das Trikot des KNVB-Ausrüsters Adidas überzuziehen. Sein Hemd hatte als einziges nur zwei Streifen auf den Ärmeln; bei allen anderen waren es drei.

Cruyff wurden solche Ausnahmen gewährt, weil er auch als Spieler eine Ausnahmeerscheinung war. Ein begnadeter Fußballer, extrem schnell, extrem trickreich, extrem torgefährlich. Die Deutschen bekamen das im Finale von München schon in der ersten Minute zu spüren. Ein kurzer Antritt von Cruyff im Mittelfeld, die unbeholfene Grätsche von Uli Hoeneß, ein Foul, ein Pfiff, Elfmeter. Bevor das Endspiel richtig begonnen hatte, führten die Holländer schon 1:0. Als Torhüter Sepp Maier den Ball nach Neeskens‘ Elfmetertreffer aus dem Netz holte, ist er der erste deutsche Spieler, der überhaupt den Ball berührt. Die Holländer wären auch Weltmeister geworden, „wenn sie nach ihrer frühen Führung konsequent auf das 2:0 gespielt hätten“, glaubt Berti Vogts, der im Finale als Gegenspieler für Cruyff eingeteilt war. „Stattdessen haben sie versucht, uns zu verarschen. Sie haben uns die Bälle nur durch die Füße gespielt oder am Standbein vorbei, da, wo du nicht hinkommst. So linke Dinger eben. Und dann haben sie gelacht. ,Okay, Freunde‘, haben wir uns gedacht.“ Am Ende gewannen die Deutschen 2:1.

Für das Verspielte, für die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, stand niemand mehr als Johan Cruyff. Er zählt – mit Pelé, Maradona, Beckenbauer und Zidane – zu den großen Fünf der Fußballgeschichte. Drei Mal (1971, 1973 und 1974) wurde er zu Europas Fußballer des Jahres gewählt, drei Mal (1971, 1972 und 1973) gewann er mit Ajax Amsterdam den Europapokal der Landesmeister, neun Mal wurde er Meister in Holland, dazu Spanischer Meister mit dem FC Barcelona. Mit Barca ist ihm eine weitere Revolution gelungen. Als Trainer hat er den Spielstil des Klubs entscheidend geprägt, für den Barca bis heute steht; unter ihm gewann der Verein 1992 seinen ersten Landesmeisterpokal – mit einem gewissen Pep Guardiola im Mittelfeld, den Cruyff maßgeblich gefördert hatte. Dabei hatte er ihm nach dem ersten Spiel bei den Profis noch gesagt: „Du hast langsamer gespielt als meine Großmutter.“ Trotzdem durfte Guardiola bleiben. Weil Cruyff erkannt hatte: „Wer physisch schwach ist, muss intelligent sein.“

Obwohl Cruyff seit 1996 nicht mehr als Trainer gearbeitet hat, hat er den Fußball bis zum heutigen Tag mitgeprägt: beim FC Barcelona als graue Eminenz im Hintergrund, als Berater, gegen dessen Rat lange niemand aufzubegehren gewagt hätte; bei Ajax noch bis vor einem Jahr als Aufsichtsratsmitglied, und in seiner Heimat Holland als Kolumnist und wortgewaltiger Verteidiger seines fußballerischen Erbes. Von seiner öffentlichen Wirkung in den Niederlanden war der Experte Cruyff gewissermaßen Franz Beckenbauer und Jürgen Klopp in seiner Person. Als Marco van Basten 2004 neuer Bondscoach der holländischen Nationalmannschaft werden sollte, musste er Cruyff mit seinem Co-Trainer John van ’t Schip erst eine Art Antrittsbesuch in Barcelona abstatten. „Er hat durchscheinen lassen, dass er Vertrauen in uns hat“, berichtete van Basten nach dem Treffen. Danach stand seiner Ernennung zum Nationaltrainer nichts mehr im Wege.

Als Fußballer und später als Trainer hat Cruyff immer für das Schöne und Gute gestritten, und wenn es das WM-Finale 1974 nicht gegeben hätte, könnte man sagen: Er hat bewiesen, dass Erfolg und Schönheit im Fußball keine Gegensätze sein müssen. „Meine Mannschaft muss technisch das Spiel dominieren, nicht läuferisch“, hat er einmal gesagt. Selbst mit den Deutschen hatte er sich längst versöhnt, seitdem sie keinen teutonischen Kraftfußball mehr spielen, sondern unter Bundestrainer Joachim Löw die Schönheit integraler Bestandteil ihres Spiels geworden ist.

Am Donnerstag ist Johan Cruyff einen Monat vor seinem 69. Geburtstag an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung in Barcelona gestorben. Gary Lineker, die englische Fußballlegende, twitterte nach Bekanntwerden dieser Nachricht: „Der Fußball hat einen Mann verloren, der mehr dafür getan hat, das schöne Spiel schön zu machen als jeder andere in der Geschichte.“

Stefan Hermanns

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