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Von Edelmetall verdammt weit weg: Christoph Harting.
© dpa

Leichtathletik-Stars sind nur Ersatz bei Olympia: Der tiefe Fall von Christoph Harting und Gina Lückenkemper

Für einige Stars der deutschen Leichtathletik reicht es wohl nicht für Olympia. Dabei waren die Ambitionen groß. Was ist da schiefgelaufen?

Die Behauptung, der Diskuswerfer Christoph Harting sei ein Großmaul, ist gleichzeitig richtig und falsch. Letzteres, weil der 31-Jährige zumindest dieses eine Mal in seiner Karriere wirklich abgeliefert hat. Bei den Sommerspielen in Rio der Janeiro feuerte er den Diskus in seinem letzten Versuch auf 68,37 Meter und wurde Olympiasieger. Das ist nun fünf Jahre her.

Harting verpasste seitdem die Leichtathletikweltmeisterschaften 2017 in London, bei den Europameisterschaften in Berlin ein Jahr später scheiterte er mit drei ungültigen Versuchen in der Qualifikation. Hinzu kamen etliche Fehlversuche bei nationalen Wettkämpfen. Fast regungslos hatte er die meisten Niederlagen im Ring hingenommen. Er sagte, und so viel zum Vorwurf, er sei ein Großmaul: Ist mir egal, was zählt, das sind die Olympischen Spiele – und der Traum vom Weltrekordwurf auf 80 Meter oder jenseits davon.

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Nun, von 80 Metern ist Christoph Harting in diesem Jahr bislang knapp 15 Meter entfernt. Und an den Olympischen Spielen in Tokio darf er nur dann teilnehmen, wenn sich einer seiner drei Konkurrenten aus dem deutschen Lager verletzen sollte. Harting reist als Ersatzmann nach Tokio. Das hat der Deutsche Leichtathletik-Verband am Wochenende bekannt gegeben. Die Reaktion von Harting? Erstmal keine. Der Sportler fühlt sich seit jeher missverstanden. Interviews gibt er nur selten.

Vor wenigen Wochen immerhin hatte er sich in einem Videogespräch auf der Homepage des Trainingszentrums Kienbaum zu Wort gemeldet. Er sagte darin, dass er nach Tokio reisen werde, um zu gewinnen. „Ich trainiere nur für Edelmetall.“

Pandemie erschwerte Comeback

Das hatte früher auch David Storl, ein weiteres Sorgenkind der deutschen Leichtathletik, getan. Der Kugelstoßer wurde 2011 mit 21 Jahren der bis dahin jüngste Weltmeister in dieser Disziplin. Zwei Jahre später verteidigte er den Titel. Aber dann wurde es immer schwieriger für ihn. Storl stößt die Kugel mit der klassischen Angleittechnik.

Doch an die Weiten der Drehstoßer kommt der Deutsche schon lange nicht mehr heran. Erst vor wenigen Wochen schaffte der US-Amerikaner Ryan Crouser mit der Drehtechnik einen neuen Weltrekord mit einer Weite von 23,37 Metern. Storl hatte zuletzt auch viel mit Verletzungsproblemen zu kämpfen. In dieser Saison bestritt er wegen Rückenbeschwerden noch keinen einzigen Wettkampf. In Tokio wird er nicht dabei sein.

Die deutschen Leichtathletikfans werden bei Olympia ein paar Stars vermissen – zumal auch noch Gina Lückenkemper mutmaßlich nicht in Erscheinung treten wird. Die Sprinterin galt bis vor kurzem noch als eine Art Vorzeigefrau der deutschen Leichtathletik. Doch der Körper bereitet auch ihr seit geraumer Zeit Probleme. Bei den Europameisterschaften 2018 in Berlin hatte sie über 100 Meter noch die Silbermedaille gewonnen.

Danach plante Lückenkemper Großes. 2019 wagte sie den Sprung in die USA, wollte unter der Leitung der Trainer-Koryphäe Lance Brauman einen Leistungssprung machen.

Doch es ging alles ziemlich daneben. Wegen der Pandemie fand sie sich bald in Deutschland wieder und versuchte hierzulande die Trainingspläne aus den USA umzusetzen – aber Lückenkemper kam nicht mehr richtig in Tritt. Auch weil sie sich im Mai dieses Jahres einen Muskelfaserriss zuzog. Die Konsequenz: Wie für Harting ist auch für Lückenkemper nur auf der Ersatzbank Platz bei den Olympischen Spielen.

Weit von Top-Form entfernt: Gina Lückenkemper.
Weit von Top-Form entfernt: Gina Lückenkemper.
© picture alliance/dpa

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) wird hoffen müssen, dass die wenigen übriggebliebenen Medaillenkandidatinnen und -kandidaten wie etwa die Weitspringerin Malaika Mihambo oder der Zehnkämpfer Niklas Kaul gut in Form sind. Zu diesen zählt auch die Mittel- und Langstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen.

Neuer deutscher Rekord über 10.000 Meter

Die 24-Jährige soll in Tokio über 10.000 Meter an den Start gehen. Auf den ersten Blick scheint das verwunderlich, hatte sie doch bei den Weltmeisterschaften vor zwei Jahr in Katar die Bronzemedaille über 5000 Meter geholt.

Ihr Management teilte dem Tagesspiegel mit, dass diese Distanz für Klosterhalfen sehr reizvoll sei. Zumal Klosterhalfen mit ihren langen Beinen und der späten Laktatbildung prädestiniert sei für die lange Strecke. Hinzu kommt wohl, dass Klosterhalfen nach einer schweren Verletzung im vergangenen Jahr nicht wie ihre große Konkurrentin Sifan Hassan über mehrere Strecken antreten kann. Dafür fehlt ihr noch die Kraft.

Klosterhalfen, die in diesem Jahr über 10.000 Meter einen neuen deutschen Rekord aufgestellt hat, dürfte bei den Olympischen Spielen in Tokio die große Wundertüte sein. Und ein bisschen trifft das auf das gesamte deutsche Leichtathletikteam zu. Sicher aber ist: Die Erwartungen sind nicht besonders groß. Das kann auch befreiend sein.

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