Kolumne „Fußball verstehen”: Der schlechteste Abstiegskampf der Bundesliga-Geschichte
Hannover 96 und der 1. FC Nürnberg haben zusammen bislang 33 Punkte gesammelt und der VfB Stuttgart macht dem HSV Konkurrenz. Damit setzt sich ein Trend fort.
Noch stehen vier Spieltage an, sind zwölf Punkte zu vergeben, aber niemand erwartet ernsthaft, dass Hannover, Nürnberg und Stuttgart allzu viele davon holen werden. Diese drei Klubs liefern sich nämlich das, was man wohl den schlechtesten Abstiegskampf der Geschichte nennen muss – jedenfalls in der deutschen Bundesliga. Das ist kein Geschmacksurteil, sondern erklärt sich anhand der Punktezahl. Die beiden Letzten der Tabelle, Hannover und Nürnberg, haben zusammen bislang 33 Punkte gesammelt, was schrecklich wenig ist, denn selbst in besonders traurigen Zeiten kamen die beiden Schlusslichter am Saisonende fast immer auf über 50 Punkte.
Stuttgart als momentan Drittletzter kommt auch nur auf 21 Punkte, und so kann es durchaus sein, dass in gut vier Wochen der Minusrekord des Hamburger SV gebrochen wird. Der rettete sich 2014 nämlich mit nur 27 Punkten in die Relegation und überstand diese dann durch zwei Unentschieden gegen Fürth.
In England wurde zuletzt viel über den „Abstieg als Erlösung“ geschrieben, weil Fulham und Huddersfield so deprimierend von Niederlage zu Niederlage eilten. Vermutlich wäre auch in Hannover, Nürnberg und Stuttgart jeder herzlich froh, wenn diese Saison endlich vorbei wäre. Doch obwohl das Trio so rettungslos wirkt, ist (anders als Fulham und Huddersfield) noch keiner der drei Vereine rechnerisch abgestiegen. Stuttgart und (sehr theoretisch) auch Nürnberg könnten sich sogar noch direkt retten, weil Schalke zu allem Elend auch noch die schlechteste Saison der letzten 30 Jahre spielt.
Diese extreme Konstellation verändert auch die Anatomie des Abstiegskampfes. Immer schon hat dabei der Umgang mit Misserfolgen und Enttäuschungen eine besondere Rolle gespielt. Schwächer besetzte Mannschaften hatten daher oft auch einen Vorteil gegenüber jenen Teams, die mit anderen Zielen in die Saison gegangen waren und unversehens um die Rettung kämpfen mussten. In dieser Saison ist die Abwesenheit von Erfolgserlebnissen besonders extrem, Nürnberg und Hannover haben nur drei von 30 Spielen gewonnen und Stuttgart fünf. Es braucht also eine besonders hohe Frustrationstoleranz – bei der Mannschaft selber und der sportlichen Leitung wie auch bei den Fans.
Man könnte deshalb die Nürnberger im Vorteil wähnen, sich an wenig gut festzuhalten. Der Club wirkt trotz der Doppeldemission von Trainer und Sportdirektor im Februar einigermaßen stabil. Oder ist nun doch der VfB Stuttgart im Vorteil, der an diesem Wochenende mit neuem Trainer einen weiteren Neustart angeht? Auf jeden Fall könnte der extreme Abstiegskampf in dieser Saison zur Blaupause für die Zukunft werden, denn der Trend über viele Jahre zeigt, dass immer häufiger wenige Punkte fürs Überleben reichen. Die Kunst, klaglos leiden zu können, wird nicht aus der Mode kommen.
Christoph Biermann