Deutscher Halbfinal-Gegner bei der U21-EM: Der rumänische Fußball-Traum lebt weiter
Die rumänische U21 steht sensationell im EM-Halbfinale und will dort auch die Deutschen ärgern. Ex-Nationaltrainer Christoph Daum traut es ihnen zu.
Das Torspektakel blieb diesmal, am Dienstagabend in Cesena, aus. Doch die Freude im Stadio Dino Manuzzi war groß. Von den Tribünen schallten Hagi- und Radu-Rufe der rumänischen Fans. Ein Meer aus gelben Trikots säumte das Stadion. Sie konnten es nicht fassen. Der Traum, sensationell U-21-Europameister zu werden, scheint für sie nicht mehr unerreichbar. Im Halbfinale gegen Deutschland können sie den nächsten Schritt machen.
Nach 94 Minuten stand für Nationalelf Rumäniens fest: Gruppensieger in der Gruppe C, Halbfinaleinzug und obendrauf gab es noch das Ticket für Tokio 2020. Das Remis gegen den hochgehandelten Mitfavoriten Frankreich reichte dem Underdog der diesjährigen U-21-EM, um sich zum Geheimfavoriten der EM zuspielen.
Erstmals seit 1998 sind die Rumänen bei einer U-21-Europameisterschaft dabei. Damals noch Gastgeber, heute gehören sie schon jetzt zur Überraschung in diesem Turnier. Drei Spiele, zwei Siege (4:1 gegen Kroatien und 4:2 gegen England) und ein Unentschieden (0:0 gegen Frankreich). Doch woran liegt es, dass die junge Mannschaft von Trainer Matei Mirel Radoi bei der diesjährigen U-21-EM so brilliert?
Einer, der Rumäniens Fußball besonders gut kennt, ist der Deutsche Christoph Daum. Dort war er von 2016 bis 2017 A-Nationaltrainer. „Rumänien hat im Kader der U-21 sehr hochtalentierte Spieler auf einigen Positionen wie Ianis Hagi oder Torhüter Ionut Radu“, sagt Daum dem Tagesspiegel. Der heute 65-Jährige hatte Ianis Hagi, Sohn der größten Fußball-Legende Rumäniens Gheorghe Hagi, schon früh in die U21 berufen.
Hagi und Radu sind Rumäniens Vorbilder
„Er sollte sich dort erst zum Führungsspieler entwickeln, bevor er den Sprung in die A-Nationalmannschaft wagt“, betont Daum. In der Tat konnte Ianis Hagi, wie sein Vater mit der Nummer zehn auf dem Rücken, in den vergangenen Partien mit seinen Leistungen für sein Land glänzen. So bewies der vielseitige Offensivmann unter anderem, dass auch er direkte Ecken und Freistöße verwandeln kann, wie einst sein Vater. Schon früh konnte der 20-Jährige vom Namen Hagi profitieren. So wechselte der Junior 2016 zum AC Florenz, wo er aber nur in der zweiten Mannschaft spielte und im Januar 2018 zum FC Viitorul Constanta, dem selbstgegründeten Verein von Hagi Senior, zurückkehrte. Seither wird Ianis Hagi von seinem Vater in Viitorul weiter ausgebildet und trainiert.
Auch Torwart Radu ist laut Daum ein außergewöhnliches Talent: „Radu ist für seine 22 Jahre ziemlich reif, er gibt der gesamten Mannschaft Rückhalt und Stabilität. Das beflügelt die Mannschaft und gibt Selbstvertrauen, wenn man so einen guten Mann hinten stehen hat.“ Und tatsächlich konnte er schon während der U-21-EM-Qualifikation mit nur vier Gegentoren in sechs Spielen überzeugen. Sein bisheriger Turnierverlauf kann sich ebenso sehen lassen. Aktuell hat er pro Spiel erst ein Gegentor kassiert, drei insgesamt. Als Kapitän in der gestrigen Partie konnte er auch seine Führungsqualitäten zeigen und ließ den gegnerischen Angreifern zudem keine Chance.
Nachwuchsförderung ist verbesserungswürdig
Dass die U21 nun unter den besten vier Teams Europas steht, ist gerade deshalb beachtlich, da die Nachwuchsförderung und Nachwuchsausbildung in Rumänien verbesserungswürdig ist. „In der Vergangenheit sind viele rumänische Familien mit ihren talentierten Fußballkindern nach Westeuropa ausgewandert“, sagt Daum. „In England oder Frankreich genießen die Kinder in Fußballakademien eine sehr gute Ausbildung. Das fällt auch im aktuellen Spielkader der U-21auf.“ So spielt zum Beispiel Torhüter Ionut Radu beim FC Genua in Italien, Innenverteidiger Alexandru Pascanu bei Leicester City in der englischen Premier League und der Flügelspieler Andrei Ivan bei Rapid Wien.
An diesem Problem versucht Gheorghe Hagi höchstpersönlich zu arbeiten und zu zeigen, dass es in Rumänien mit dem Nachwuchs auch anders laufen kann. In der Nähe von Constanta am Schwarzen Meer arbeitet er mit jungen Talenten – wie seinem Sohn. Als Trainer in Constanta glückte ihm 2014 erst der Aufstieg in die erste rumänische Liga, drei Jahre später konnte der 54-Jährige in der Saison 2017 sogar die Meisterschaft feiern. Und auch in der letzten Saison gelang ihm mit der Mannschaft der Pokalsieg. Mit seiner Fußballschule und dem FC Viitorul Constanta brachte Hagi senior bereits viele junge Talente hervor. „Hagi ist der einzige, der schon immer stark auf den Nachwuchs gesetzt hat, andere Vereine wie Dinamo Bukarest oder Steaua Bukarest, kümmerten sich in der Vergangenheit nicht viel um den Nachwuchs“, erklärt Daum.
Dass die rumänischen Talente trotz der Probleme mit der eigenen Nachwuchsschmiede in Italien aufblühen bei der U21-EM, sollte den anderen Nationen eine Warnung sein. Es wächst ein vielversprechender Nachwuchs heran, der Hoffnung macht. Sollte es der rumänischen Mannschaft weiterhin gelingen an ihre starke Mannschaftsleistung anzuknüpfen, so könnte es für Deutschland im Halbfinale am Donnerstag schwer werden.
Kristina Smirnov