Zum Tod von Muhammad Ali: Der Größte aller Zeiten
Ob tänzelnder Boxästhet, Schreihals, Rebell oder Wehrdienstverweigerer: Muhammad Ali ist Mythos und Legende in vielen Dimensionen. Ein Nachruf.
Sein schwerster und längster Kampf dauerte 32 Jahre. Seit Herbst 1984 kämpfte Muhammad Ali gegen Parkinson. Mit Würde und Demut. Schicksalsergeben. Am Samstag hat der größte Athlet in der Geschichte des Sports den Kampf gegen die heimtückische Nervenkrankheit verloren, wurde erlöst von einem Leiden, das ihm im letzten Drittel seines dramatischen Lebens genommen hatte, was ihn einst weltberühmt gemacht hat: Seine Athletik und seine Sprache. Muhammad Ali ist in einem Krankenhaus in Phoenix, Arizona, gestorben. Der dreimalige Boxweltmeister im Schwergewicht wurde 74 Jahre alt.
Unvergessen sind die Dramen im Ring, die Jahrhundertkämpfe in der ersten Hälfte der siebziger Jahre: "Fight of the Champions", den Ali gegen Joe Frazier im New Yorker Madison Square Garden - mit einem schweren Niederschlag in der letzten Runde - nach Punkten verlor, weil ihm in der langen Zwangspause der tänzerische Stil "float like a butterfly, sting like a bee" abhanden gekommen war. Beim "Rumble in the Jungle" in Kinshasa holte Ali sich den Titel zurück. Mit einer neuen Seiltaktik "rope a dope" ermüdete er George Foreman und schlug ihn der achten Runde k.o.
Beim "Thrilla in Manila", der brutalsten und epischsten Schlacht der Boxgeschichte, durfte Frazier auf Geheiß seines Trainers Eddie Futch zur letzten Runde nicht mehr antreten. "Der nächste Schlag hätte tödlich sein können", entschied der weise Mann. Ein völlig ausgezehrter Ali stöhnte derweil: "Es war wie der Tod. Ich habe erfahren, was dem Sterben am nächsten kommt." Er hatte noch seinen "Sklavennamen" Cassius Clay getragen, als er mit 22 Jahren Sonny Liston zur Aufgabe zwang und am 25. Februar 1964 in Miami sensationell Weltmeister wurde.
Beim Comeback zwei Jahre nach seiner Rücktrittserklärung wurde der 38 Jahre alte Ex-Champion von seinem einstigen Sparringspartner Larry Holmes derart verprügelt, dass sein legendärer Trainer Angelo Dundee unter Tränen das Debakel nach der zehnten Runde beendete. Kurz nach dieser Demütigung am 2. Oktober 1980 im Caesars Palace von Las Vegas bemerkten Freunde, dass Alis Hände leicht zitterten und er langsamer sprach, manchmal auch schon nuschelte. Dennoch folgte ein Jahr später das "Drama in Bahama", die entwürdigende Niederlage gegen einen gewissen Trevor Berbick. Der endgültige letzte Kampf mit knapp 40 Jahren am 11. Dezember 1981. Die beiden Niederlagen waren die vierte und fünfte in 61 Kämpfen.
Wie Ali Bill Clinton zum Weinen brachte
Alis letzter weltöffentlicher Auftritt bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2012 in London war erschütternd und hatte Millionen auf aller Welt vor den Fernsehgeräten und 79.000 Zuschauer im Olympiastadion zutiefst bestürzt. Die Spiele, die so heiter werden sollten, hatten bei der Flaggen-Zeremonie ihren traurigsten Moment. Der größte Boxer aller Zeiten, einst Inbegriff des athletischen Körpers und wachen Geistes, saß gebrechlich auf einem Stuhl, als die Olympische Fahne ihn erreichte.
Im weißen Anzug, gebeugt, spindeldürr, das Gesicht mit der schwarzen Sonnenbrille eine Maske, konnte der Olympiasieger von 1960 nur unter Aufbietung der letzten Kräfte sich erheben und, gestützt auf seine Frau Lonnie, die anderen prominenten Fahnenträger ein Stück begleiten. Seine Frau flüsterte ihm immer wieder ins Ohr, das Tuch anzufassen und dem Publikum zuzuwinken. "Muhammad liebt das Bad in der Menge und ist so überwältigt", teilte Mrs. Ali anschließend mit.
Muhammad Ali war der berühmteste Kranke der Welt, seit er am 19. Juli 1996 in Atlanta die Olympische Flamme entzündete. Es war eine tief bewegende Szene: Ali zitterte. Und mit ihm die ganze Welt. Über drei Milliarden Menschen. Die fast schon in Vergessenheit geratene Ikone, vom Parkinsonschen Syndrom gezeichnet, war zur großen Überraschung wie aus dem Nichts auf den eigenen Olymp zurückgekehrt. 36 Jahre nach dem Gewinn der Goldmedaille in Rom, 15 Jahre nach dem traurigen Abschied vom Boxring. Gekleidet in einen weißen Trainingsanzug, in der zitternden rechten Faust die Fackel, legte der Olympiasieger von 1960 das Feuer der Spiele der XXVI. Olympiade.
Ein Aufschrei.
"Ali, Ali" dröhnte es durchs Stadion, als hätte er Liston, Frazier und Foreman zusammen mit einem Schlag niedergestreckt. Ein Kameraschwenk zeigte einen weinenden Bill Clinton. Mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten war die Welt vor den Bildschirmen zu Tränen gerührt. Zur Eröffnungsfeier der Spiele von Los Angeles zwölf Jahre zuvor war Ali nicht einmal eingeladen worden, obwohl er von seinem Anwesen am Wilshire Boulevard zu Fuß ins Olympiastadion hätte gehen können. "Die denken, ich bin ein blöd geschlagener Boxer", sagte ein bereits lethargischer Ali damals seinem deutschen Besucher. Atlanta war ein weltbewegendes Comeback aus dem Schatten seines Schicksals.
Der charismatischste aller Boxchampions war sein Leben lang Superstar, ob einst als tänzelnder Boxästhet, narzisstischer Schreihals ("I am the Greatest"), schwarzer Rebell, überzeugter Wehrdienstverweigerer ("Ich habe keinen Streit mit dem Vietcong") oder als schwer kranker Mann. Sein Gesicht gilt seit über vierzig Jahren als das bekannteste der Welt.
Muhammad Ali bleibt auf dem Globus für ewig eine Legende, ein Mythos, war mehr als nur ein Boxchampion. Staatsoberhäupter fühlten sich durch seinen Besuch geehrt. UNO-Generalsekretär Kofi Annan ernannte ihn zum Friedensbotschafter der Vereinten Nationen. Präsident George W.Bush hängte ihm im Weißen Haus im November 2005 die Freiheitsmedaille um, die höchste zivile Auszeichnung der Vereinigten Staaten und nannte Ali einen "Mann des Friedens".
Das berühmteste Comeback des Sports
Unvorstellbar vierzig Jahre zuvor. Als Pazifist hatte Muhammad Ali einst das weiße Amerika empört, als er am 28. April 1967 im Rekrutierungsbüro 61 der United States Armed Forces in Houston, Texas, den Wehrdienst verweigerte, die Aberkennung des Titels, den Lizenzentzug, den Verlust von Millionen Dollar und die Verurteilung zu fünf Jahren Haft in Kauf nahm.
Das schwarze Amerika feierte Ali wie einen Freiheitskämpfer und -helden für seine Botschaft: "Warum verlangt man von mir, einem so genannten Neger, eine Uniform anzuziehen und 10.000 Meilen von der Heimat entfernt mit Bomben und Kugeln auf braune Menschen in Vietnam zu zielen, während andere so genannte Neger in Louisville wie Hunde behandelt und ihnen die elementarsten Menschenrechte verwehrt werden?"
Erst drei Jahre später hob der Oberste Gerichtshof das Urteil auf und erklärte den Lizenzentzug für Unrecht. Muhammad Ali kehrte aus der Verbannung in den Ring zurück, zum berühmtesten Comeback des Sports. Dieser außergewöhnliche Mensch hatte nicht nur Sonny Liston, sondern auch "eine Gesellschaft besiegt, die einen selbstbewussten afroamerikanischen Sportler nicht ertragen konnte" (Jan Philipp Reemtsma).
Der strenggläubige Muslim hatte einmal über sein Schicksal gesagt: "Ich habe nie gefragt: 'Warum ich? Ich bin mit so viel Gutem gesegnet. Gott prüft mich." Und jedem, der sein Leiden auf das Boxen zurückführte, den belehrte Ali: "Schließlich haben nicht alle an Parkinson erkrankten Menschen geboxt. Richtig?"
Hartmut Scherzer